«66 (d): The defamation menace»

In Myanmar ist Diffamierung ungenau definiert und ein Verbrechen, das mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Das treibt Journalisten in die Enge.

 

«Muss dein Chef erlauben, was du schreibst?», fragt sie mich. Ich sitze vor einer Frau, deren Job es ist, heikle Informationen zu sammeln. Informationen, die die burmesische Regierung nicht sehen, hören und schon gar nicht publik haben will. Sie gehört einer Frauengruppe an im Osten des Landes, im nördlichen Shan-State, wo Konflikte zwischen bewaffnete Rebellenarmeen und dem burmesischen Militär zum Alltag gehören.

Die Skepsis der Frau den Medien gegenüber ist offensichtlich. «Es waren schon viele Journalisten hier», sagt sie. «Ich habe mit ihnen die gleichen Informationen geteilt, wie mit dir. Am Schluss sind die Informationen aber unter dem Tisch verschwunden».

Es ist eine Frage, die oft im Raum schwebt: Zensiert ihr euch? Kannst du schreiben, was du willst?, fragen mich Freunde von Nah und Fern.

Meine Antwort: Ja, ich kann schreiben was ich will. Nur: Bei mir als Praktikantin stellen sich die heiklen Fragen oft nicht. Da sind meine Kollegen und Kolleginnen in der Redaktion viel mehr im Fokus. Aber auch dort: Nie ist mir ein Fall zu Ohren gekommen, wo die Redaktion sich selbst zensiert hätte.

Bild: Protection for Journalists Committee – Myanmar

Im Gegenteil. Mutig verwies die Reporterin Su Myat Mon den Informationsminister Aung Hla Tun auf seinen Platz: Im Zuge des Eklats um den ehemaligen US-Diplomaten Bill Richardson hatte der Minister vor Journalisten verlauten lassen, dass jeder Kommentar zum Fall der zwei verhafteten Reuters-Journalisten, einem «contempt of court», also einer Missachtung des Gerichts, gleichkomme. Nur der Präsident habe das Recht, den Fall zu kommentieren. Das hiesse, dass sich jeder, der den Fall kommentiert, strafbar macht – eine Aussage bar jeglicher rechtlichen Grundlage. Die 25-Jährige Su Myat Mon rief ihn daraufhin an und hakte nach, ob dem wirklich so sei. Der Minister krebste zurück und gestand, dass dies nicht die offizielle Meinung der Regierung wiederspiegle. Ein kleiner Sieg.

Und doch: Selbst wenn Selbstzensur nicht sichtbar ist, sind Journalisten hier extrem vorsichtig. «Wir müssen einfach sauber arbeiten und können uns keine Fehler leisten», sagte mein Chef Tom Kean an meinem ersten Tag. «Wir müssen sehr vorsichtig sein, sonst landen wir im Gefängnis», sagte Su Myat Mon zu mir. Und fügte einige Tage später an: «Mir macht es nichts aus, ins Gefängnis zu gehen, da kriege ich Essen und kann lesen.» Im Gefängnis zu landen, malt sich hier jeder Journalist und jede Journalistin aus.

Der hinterhältigste Fallstrick für Journalisten aber ist die sogenannte Sektion 66 (d) des Telekommunikationsgesetzes, die «defamation menace», wie der Frontier titelte. Unter diesem Gesetzesartikel kann jeder, der irgendetwas Negatives über eine Person – und allen voran über die Regierung und das Militär – in einem Kommunikationsnetzwerk verbreitet, angeklagt werden. Und zwar von jedermann, nicht nur der betroffenen Person. Selbst wenn Beweise vorliegen und das Berichtete stimmt. Bis zu drei Jahre Haft drohen. Human Rights Watch schrieb dazu 2017: «So lange Sektion 66 (d) bestehen bleibt, droht den Bürgern von Myanmar Gefängnis für die friedfertige Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäusserung, speziell für jene, welche die Regierung und ihre Politik online kritisieren».

Es ist klar, dass diese Gefahr in den Redaktionen ihre Spuren hinterlässt. Vielleicht auch unsichtbare.

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