Burn the ditches…

Das kleine Glastischchen, an dem ich sitze und meine Blogs schreibe, steht an der rechten Wand meines Zimmers. Auf dieser Wand hat sich irgendein nepalesischer Künstler verwirklicht, hat Schwarzweissfotos einer Militärparade mit Kinderbildern, Schriftzeichen und einen Linoldruck mit der Aufschrift “Don’t Give Up” mit Klebebandstreifen verbunden. Rechts des wirren Kunstwerks hängt ein Spiegel. So tief, dass ich mir nicht in die Augen schauen kann, wenn ich davor stehe. Links, neben der Tür zu meinem kleinen Bad, gibt ein vergittertes Fenster den Blick in den Garten frei. Entlang der roten Backsteinmauer, die den Garten umschliesst, rankt sich das Gestrüpp. Niemand scheint sich darum zu kümmern, und so wildert es da im Hinterhof vor sich hin, blüht gelb und trägt riesige, gurkenartige Früchte. Spannend an meiner Gartensicht ist aber vor allem, was sich hinter der roten, umrankten Mauer verbirgt. Ein anderer wilder Garten, glaube ich, und ein kleines Mehrfamilienhaus, von dem ich zwischen den Laubbäumen hindurch ein einziges, meist erhelltes Fenster sehen kann. Ein alter Mann sitzt an diesem Fenster, beugt sich über ein Pult und arbeitet an irgendwas. Irgendwas. Was nur? Er sass schon da in meiner ersten Nacht, und dann in der zweiten, und seither in jeder. Er arbeitet bis um 23 Uhr. Dann macht er das Licht aus. Das Fenster ist vielleicht 20 Meter entfernt. Nah genug, dass ich den Mann erkennen kann. Zu weit weg, dass ich sehen könnte, an was er bastelt. Er muss ein Experte sein in dem, was er macht. Die Geduld, diese Ruhe, die er ausstrahlt. Was auch immer er da erschafft, ich möchte es einmal sehen. Ich weiss noch nicht, wie ich zu diesem Haus gelangen kann. Aber ich finde es raus, und ich werde hingehen, irgendwann. Und dann werde ich ihm sagen, dass ich ihn für seine Geduld bewundere, ihn fragen, an was er arbeitet, und was er sieht, wenn er aus dem Fenster schaut.

Hariyo Chowk & Hünerschlacht im Hinterhof…

Kokosleuchten im Hariyo Chowk.Vor ein paar Tagen habe ich unten in der 9rooms-Küche einen kleinen Aufruf an die schwarze Tafel gekritzelt: “Any stories? Anything interesting? Tell me! Sam.” Neun junge Menschen wohnen hier, aus Japan, Nepal, den USA, Neuseeland, Deutschland, Luxemburg, Malaysia und der Schweiz. Sie arbeiten als NGO-Beauftragte, Bankangestellte, Dokumentarfilmer, Geologen, Künstler, UNO-Mitarbeiter und Journalisten. Ich habe mir erhofft, ein paar spannende Inputs für mögliche Geschichten zu kriegen. Das scheint zu funktionieren.

Gestern wurde ich zu einem Nachhaltigkeits-Workshop in einem Lalitpurer Hinterhof Pizzaofen und Flaschenbar.eingeladen. Dort, im sogenannten Hariyo Chowk (Grüne Gemeinschaft), hat sich ein Gruppe junger Nepalesen eingemietet und vor einem guten Jahr damit begonnen, den zerfallenen Hinterhof in eine kleine Öko-Zone umzuwandeln. Praful, einer der Mitinitianten des Projekts, hat einen Biogarten angelegt, ein Gewächshaus aus Bambusrohren gebaut, ein kleines “Amphitheater” für Vorträge ausgebuddelt, einen Pizzaofen mit 1300 selbstgemachten Backsteinen errichtet, einen Bartresen aus Lehm und alten Flaschen gebastelt und ein altes Fahrrad mit einem kleinen Stromgenerator verbunden. Mit dem Fahrrad erzeugt er Elektrizität für die regelmässigen Screenings von Dokumentarfilmen. 18 Stunden trampen für 3 Stunden Strom. Doch, das ist es ihm wert. Kathmandu müsse umdenken, wenn es aus diesem ökologischen Schlammassel rauswolle. Alternative Energien, Recycling, weniger Konsum, Eigenanbau von Lebensmitteln: darin sieht Praful den Schlüssel zum Erfolg. Noch in den 1960er Jahren sei Kathmandu eine überschaubare Kleinstadt mit einem prozentual hohen Anteil an Selbstversorgern gewesen. Dann habe die Bevölkerung schlagartig zugenommen, und die Kleinstadt sei zu einem ökologische katastrophalen Moloch verkommen.

Fahrrad-Generator: 18 Stunden Trampen für 3 Stunden Strom.Praful will zurück in die autarken Zeiten, will seine Mitmenschen aufrütteln und ihnen aufzeigen, dass man auch in einer Stadt wie Kathmandu nachhaltig leben kann. Im Kleinen gelingt ihm das ganz gut. Seine Workshops werden oft gebucht. Er kann knapp überleben mit den Einnahmen, die er aus dem Verkauf seines Gemüses und dem Halten von Vorträgen verdient. Doch draussen, wenige Meter vom gelben Eingangstor zum Öko-Paradies brennen schon die ersten Abfallhaufen. Noch verhallen Prafuls Warnrufe ungehört in der staubigen Luft. Ich hoffe, dass ihm der Durchbruch bald gelingt.

 

Sidestory: Im selben Hinterhof, wo Praful sein kleines Ökoparadies geschaffen hat, befindet sich ein Hühnerschlachthof. Etwa 500 Hühner würden sie am Tag “make ready”, hat mir der Schlachter durch den Gitterzaun zwischen Ökogarten und Schlachtbank hindurch erzählt. Fünf Stationen “durchlaufen” die Hühner: 1) Kehle durchschneiden, 2) Aufkochen, 3) in der Zentrifuge entfedern, 4) Ausnehmen, 5) Kopf und Füsse abhacken. Dauer: ca. 2 Minuten.

Hühnerschlachtbank im Hinterhof.

2000 Tonnen Abfall pro Tag

Angespornt durch den Besuch bei Hariyo Chowk habe ich mich heute auf der Redaktion daran gemacht, das Abfallentsorgungssystem Kathmandus zu recherchieren. Ergebnis: es gibt keins. Vor einigen Jahren wurde eine Grube in Gorkana ausgehoben, wo man den eingesammelten Abfall hingefahren hat. Landesweit waren das pro Tag ca. 2000 Tonnen nicht-biologische Abfälle. Ich gehe davon aus, dass ein Grossteil davon auf die Hauptstadt entfällt. Doch, Gorkana ist voll, und der Abfall wird nicht mehr eingesammelt. Man ist zurückgekehrt zu den zwei alten Methoden: 1) open dumping, v.a. den Flussufern entlang. 2) open burning, überall in der Stadt, auf der offenen Strasse.

Dumping am Bagmati River.

Diese Informationen habe ich in den Powerpointslides eines hiesigen Uni-Professors gefunden. Auf der offiziellen Homepage des nepalesischen Ministeriums für Science, Technology and Environment ist nichts zum aktuellen Stand der Dinge zu finden. Es gibt einen Drei-Jahres-Plan, in dem die Rede davon ist, die nicht mehr betriebenen Wasseraufbereitungsanlagen neu aufzurüsten. Doch, konkrete Massnahmen zur Bekämpfung des Abfallproblems gibts offenbar nicht.

Escher und die hard facts…

Generell scheint es schwierig zu sein, über offizielle Ämter an brauchbare Informationen ranzukommen. Als ich mich auf der Page des nepalesischen Gesundheitsministeriums nach aktuellen Infos für meine Blutspende-Geschichte umgeschaut habe, herrschte dort gähnende Leere. Ein Veranstaltungskalender für das Jahr 2011, und ein “annual report” von 2008 waren die einzigen Dokumente, die man sich von der Page runterladen konnte. Weena, die vorige Woche in der Kathmandu Post über die Hexenverfolgungsproblematik geschrieben hat, meinte, dass das normal sei. “It’s hard to get facts straight. Just see what you can find, and then make the best of it.”

Doch, die grossen Fragen unserer Zeit, die werden ja eh nicht durch solche hard facts geklärt. Mindestens nicht im Post-internen Philosophenzirkel. Da gings heute Mittag bei “Buff Momo’s” und schwarzem Kaffee um die Frage, ob Homer Helena von Troja in seinerOdyssee als reale Figur, oder vielleicht doch eher als Eidolon gedacht hatte. Und darum, wieso Escher der begabtere Maler war als Dalí. Aber auch diese Fragen sind noch nicht abschliessend geklärt…

Zusätzliche Bilder auf www.insidenepal.ch

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