Die kleinen Frustrationen des Alltags

Mails werden nicht beantwortet oder erst Tage später. Bei Anrufen wird man vertröstet. «Rufen Sie mich nach 17 Uhr nochmals an, dann kann ich Ihnen den Kontakt geben.» Nach mehrmaligen Versuchen meinen Kontaktmann nach 17 Uhr zu erreichen, gebe ich auf und schreibe eine Mail. Wenig hoffnungsvoll, da eben wie am Anfang erwähnt, Mails selten bis gar nicht beantwortet werden. Ich versuche es über eine andere Quelle. «Ja, mein Chef hat die Telefonnummer in seinem Handy gespeichert, er ist aber gerade in einer Sitzung. Ich rufe Sie in 15 Minuten zurück.» 45 Minuten später schweigt das Telefon noch immer und ich probiere es nochmals. «Ach ja, ich habe Sie nicht vergessen, der Chef ist noch immer in der Sitzung, ich werde mich melden». Meine Chefin meint lakonisch, dass sie mich warten lassen, sei nur eine Form, sich wichtig zu machen. Typisch für Staatsangestellte.

Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder. Am nächsten Morgen meldet sich auf einmal die gesuchte Person höchst persönlich und zu meiner noch grösseren Überraschung meint sie: «Wir können uns gleich jetzt treffen.» So geht es also langsam aber sicher vorwärts mit meiner Reportage.

Die Beschaffung von Informationen ist hier einiges schwieriger als in der Schweiz. Die Journalisten müssen hartnäckig und flexibel sein. Sie arbeiten viel, ihre Tage sind lang. Sie beginnen zwar spät am Morgen, aber arbeiten dafür auch bis spät am Abend. Manche schreiben zwei bis drei Artikel pro Ausgabe. Einige der Artikel sind aber etwas in die Länge gezogen und könnten auf ein Drittel reduziert werden. Manchmal sind sie auch sprachlich etwas fehlerhaft. Aber die Journalisten bei «Página Siete» schreiben kritisch und einen Artikel zum Gegenlesen geben, käme einer Zensur gleich.

Der Ex-Präsident der bolivianischen Nationalbank ist regierungskritisch.
Der Ex-Präsident der bolivianischen Nationalbank Armando Méndez ist regierungskritisch.

Makroökonomie für Journalisten

Ich darf an einem Weiterbildungskurs für Journalisten teilnehmen. Es geht darum, wie man makroökonomische Daten für journalistische Artikel verwendet. «Die Journalisten hier können Zahlen und Daten schlecht anwenden», höre ich von verschiedenen Seiten und ich überlege mir, ob das in der Schweiz anders ist, finde aber keine abschliessende Antwort. Die wenigsten sind wohl Journalisten geworden, weil sie so gut in Mathematik sind.

Der Kurs beginnt um 8 Uhr. Ich habe meine Schweizer Manier noch nicht abgelegt und erscheine überpünktlich um 7.55 Uhr beim Kursraum. Ich bin die Erste. Kurz darauf erscheint einer der Organisatoren. Etwa 15 Minuten später die Kursleiter und daraufhin tröpfeln bis 9 Uhr die Teilnehmer ein. Der Kurs beginnt etwa um 8.40 Uhr. Der Workshop ist von der Stiftung «Fundación para el Periodismo» organisiert und von der NGO «Solidar Suiza» finanziert.
Zum Einstieg referiert der Ökonom Armando Méndez Morales. Der Ex-Präsident der bolivianischen Zentralbank ist ein äusserst regierungskritischer Mensch. In Bolivien beträgt die Arbeitslosenquote laut dem Wirtschaftsminister 3,2 Prozent (per Ende Oktober 2013). Natürlich brüstet sich die Regierung damit, dass sie die Arbeitslosenquote seit Beginn der Präsidentschaft von Morales im Jahr 2006 von rund 8 Prozent um über die Hälfte senken konnte. Zum Vergleich: in der Schweiz beträgt die Arbeitslosigkeit laut Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) per Ende Oktober 2013 3,1 Prozent. «Bolivien müsste es prächtig gehen», meint Méndez sarkastisch. Was die bolivianische Regierung dabei aber gerne verschweigt, ist, dass rund 70 Prozent der Beschäftigten im informellen Sektor tätig sind. Sie sind schlecht bezahlt und haben keine Sozialversicherungen. Da der informelle Sektor durch seine geringe Produktivität wenig zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, hat sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bolivien in dieser Zeit kaum verändert, so das Fazit von Méndez.

Journalistin Mc Nelly Torres hat mit ihren Publikationen schon Leute hinter Gitter gebracht.
Journalistin Mc Nelly Torres hat mit ihren Publikationen schon Leute hinter Gitter gebracht.

Den zweiten, eigentlichen Teil des Workshops leitet die Journalistin Mc Nelly Torres. Die gebürtige Puerto-Ricanerin ist heute in Florida (USA) zuhause, hat aber auch längere Zeit in Europa, unter anderem in den Niederlanden, gelebt. Sie lebt schon so lange ausserhalb ihrer Heimat, dass sie inzwischen besser Englisch spricht als Spanisch. Sie ist Mitbegründerin des «Florida Center for Investigative Reporting». Durch ihre Publikationen, wie beispielsweise die Aufdeckung eines Hypothekenbetrugs in Florida, sind schon Leute ins Gefängnis gewandert und Gesetze geändert worden. Im praktischen Teil des Workshops berechnen wir Daten anhand von Excel-Tabellen und –Formeln.
Der Kurs ist interessant. Was sie uns vermittelt, aber nicht einfach praktikabel. Zumal in Bolivien in erster Linie die Beschaffung der Daten das Problem ist und nicht deren Anwendung und Interpretation. Ich führe ein Interview mit Torres, das in «Página Siete» erscheinen soll. Mit dem Resultat bin ich nur mässig zufrieden. Ich bin gespannt, ob es publiziert wird.

 

 

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