Journalistinnen im Dauereinsatz

Als ich vor rund zwei Monaten auf der Redaktion des „Georgian Journal“ begann, hatte das zweiköpfige Team gerade den Auftrag bekommen, seine Leserzahl bis Ende 2017 zu verdreifachen. Ohne zusätzliches Personal oder anderweitige Ressourcen. Ende Oktober hatte die Webplattform rund 2000 Besucher pro Tag, 6000 sollten es bis Ende Dezember werden. Schon unter gewöhnlichen Bedingungen eine fast unmögliche Aufgabe.

„Georgian Journal“ ist eine Online-News-Plattform von „Palitra Media“, einem der grössten Medienunternehmen in Georgien, das 21 Online-Kanäle, 8 Printpublikationen, eine Radiostation, einen TV-Sender und einen Verlag betreibt. Rund 1800 Angestellte arbeiten hier.

Journalisten im TV-Studio kurz vor einer Sendung.

Im Newsroom, wo die Online-Journalisten sitzen, arbeiten 150 Leute, die meisten zwischen 25 und 30, darunter ganze 6 Männer. Danach gefragt, lachen meine Kolleginnen, die georgischen Männer seien eben zu faul für diesen Job. Natalia Mumladze, die Chefin des Newsrooms und mit 40 Jahren die älteste Mitarbeiterin, sagt, die Löhne im Journalismus seien für Männer zu wenig attraktiv. Im Schnitt 800 Georgische Lari verdienen die Angestellten hier im Monat, rund 300 Franken. In Georgien entspricht dies in etwa dem Durchschnittslohn, damit über die Runden zu kommen, ist trotzdem nicht einfach. Fast alle meiner Arbeitskolleginnen wohnen noch zu Hause bei der Familie, selbst wenn dies manchmal einen langen Arbeitsweg von den Dörfern in die Stadt bedeutet. Sehr viele Angestellte haben mehrere Jobs, arbeiten sowohl für eine News-Plattform als auch für eine TV- oder Radio-Sendung und verdienen sich so noch etwas dazu.

Newsroom bei „Palitra Media“: Hier arbeiten etwa 150 Angestellte.

Das gilt auch für meine Arbeitskolleginnen vom „Georgian Journal“. Dabei arbeiten die beiden sowieso schon rund um die Uhr: 6 Tage die Woche, mindestens acht Stunden täglich. Wenn abends noch ein Anlass ansteht, gehen sie auch dahin, ohne zu murren. 18 Tage Ferien gibt es im Jahr, drei Wochen. Die zwei 25jährigen Frauen managen das „Georgian Journal“ fast im Alleingang. Sie schreiben täglich mehrere Artikel, produzieren kleine Videos und verbreiten die Inhalte dann via Website und Social-Media-Kanäle. Wenn eine der beiden krank ist, arbeitet die andere eben mehr. Pausen sind selten und kurz und in unserer Facebook-Gruppe – dem mit Abstand wichtigsten internen Kommunikationskanal – posten sie auch mitten in der Nacht Themenvorschläge. Neben diesem Pensum schreibt eine meiner Arbeitskolleginnen wöchentlich drei Artikel für eine Printzeitung, abends und sonntags, die andere macht Übersetzungen und gibt Nachhilfestunden. Freizeit ist rar.

Dazu kommen die oft schwierigen Arbeitsbedingungen – die Infrastruktur ist nicht gerade auf dem neusten Stand. Die Software für die Website ist eine einzige Baustelle, die Computer sind veraltet. Fast täglich haben wir Besuch von Mitarbeitern aus der IT-Abteilung, die mit ratlosen Gesichtern eine Maus austauschen, eine Festplatte ausbauen oder das Betriebssystem neu installieren. Eine Sisyphusarbeit. Die Internetverbindung funktioniert mit Unterbrüchen und in einer Geschwindigkeit, die an die 90er Jahre erinnert. Dazu kommen sporadisch Stromausfälle oder – wie kurz vor Weihnachten – ein Hackerangriff auf die Systeme.

Es ist kein Wunder, dass die Qualität manchmal leidet. Für Recherchen bleibt häufig keine Zeit, auch nicht, um Urheberrechte von Bildern abzuklären. Pressemitteilungen oder Inhalte anderer Online-Artikel übernehmen sie oft mehr oder weniger unhinterfragt, ohne die Fakten zu überprüfen, ohne kritische Stimmen einzuholen. Am fehlenden Willen liegt es nicht, die Journalistinnen würden gerne recherchieren, Leute zu Interviews treffen und eigene Geschichten schreiben. Doch die Zeit dazu fehlt, die Leitung wünscht nicht, dass sie mehr Zeit in einzelne Geschichten investieren. Ironischerweise kommen meine Arbeitskolleginnen meistens nur dann aus dem Büro, um Anlässe zu besuchen, wenn sie für einen zahlenden Kunden Publireportagen schreiben. „Palitra Media“ finanziert sich rein durch Werbeeinnahmen.

Natürlich konnten meine Kolleginnen ihre Leserzahl nicht verdreifachen bis Ende Jahr, auch wenn sie die Zahlen deutlich verbessert haben – und obwohl sie täglich viel Herzblut und einen Grossteil ihrer Freizeit für das „Georgian Journal“ einsetzen. Davor ziehe ich den Hut.

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