Lektionen in Verzögerungstaktik

Chokri Belaïds Bruder im Gespräch mit einem TAP Reporter
Chokri Belaïds Bruder im Gespräch mit einem TAP Reporter

Wer noch nie etwas von Verzögerungstaktik in der Politik gehört hat, der sollte sich mal anschauen, wie das hier in Tunesien so vor sich geht. Seit über zwei Monaten versucht die Opposition hier die Regierung aus den Sesseln zu hieven. Die aber erfindet immer neue Manöver, um ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es ist für die tunesischen Bürger schon gar nicht mehr fassbar, was hier abläuft und viele schauen auch nicht mehr hin. „C’est la honte“ – es ist eine Schande, sagte meine Redaktionskollegin von der TAP (Tunis Afrique Presse) heute.

Gewerkschafter an der Demonstration
Gewerkschafter an der Demonstration

Die neueste Finte: Seit dem Wochenende
hat die Spitze der islamistischen Ennahdah-Bewegung, welche die Regierung dominiert, eigentlich angekündigt, dass sie in den nationalen Dialog einsteigen wird um sich mit der Opposition an einen Tisch zu setzen, eine Lösung aus der Krise zu finden und die Regierung innerhalb von drei Wochen abzugeben. Die Zusage kam von ganz oben. Davon ist bereits heute Mittwoch nichts mehr zu hören. Der Premierminister Ali Larayedh hat sich in einer eigenen Erklärung geweigert zurück zu treten. Die Regierung und die Parteispitze scheinen sich gegenseitig nicht mehr zu verstehen. Der Haupteffekt davon: Es wird einmal mehr Zeit gewonnen wird. Die Minister der Ennadah fürchten wahrscheinlich inzwischen, dass sie für ihre Regierungsführung juristisch zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Das lässt sie erst recht an der Macht festhalten, denn nur so könnten sie solchen Prozessen im Moment entkommen.

Demonstration gegen die Regierung
Demonstration gegen die Regierung auf der Avenue Bourguiba

Gerade heute hat ein Kommittee zur Aufklärung der beiden politischen Morde Belaïd und Brahmi die Verstrickungen der Ennahdah Parteikader mit terroristisch ausgerichteten Salafisten minutiös dokumentiert und diese Dokumentation öffentlich gemacht. Die Abendnews dazu laufen gerade noch. Nach der Presskonferenz gingen oppositionelle Kreise auf die Strasse, allerdings nicht sehr zahlreich.

 

 

 

Diese Agenturmeldung habe ich aus den beiden Ereignissen (PK und Demonstration) verfasst:

Belaïd-Brahmi-IRVA
Neue Fakten zum Tod von Chokri Belaid und Mohamed Brahmi

TUNIS, 2. Oktober 2012 – (TAP) – Das Komitee für die Wahrheit zu den Morden von Chokri Belaid und Mohamed Brahmi IRVA hat heute an einer Pressekonferenz Dokumente und Filme präsentiert, die belegen sollen, dass hohe Funktionäre der islamistischen Ennahda Bewegung in die beiden Morde verstrickt sind. Nachdem diese Vorwürfe lange keine wirklichen Fakten als Boden erhielten sondern mehr auf Spekulationen und Gerüchten beruhten sind heute nach eine länger dauernden Recherche Beweise auf den Tisch gelegt und die verantwortlichen Personen namentlich erwähnt und ihre Implikationen in die Morde aufgezeigt worden.

Taïeb Laguili Aktivist und Mitglied der IRVA hat sie im Hotel Africa vor zahlreichen Medienvertretern und Mitgliedern der Zivilgesellschaft präsentiert. Der Konferenzsaal war bis über den letzten Platz hinaus voll, zahlreiche Kameras haben das Vorlegen der zahlreichen Beweise festgehalten und die Chronologie der Vorgänge vor den Morden verfolgt. Politische Mitstreiter von Chokri Belaid waren anwesend, ebenso seine Frau Besma Khalfaoui.

Nach der Pressekonferenz ist Taïeb Laguili unter Polizeischutz weggefahren. Eine kurze Minute lang kam es wegen ihm zu einem Menschenauflauf vor dem Hotel. Anschliessend fanden sich einige der Teilnehmer der Konferenz, Mitglieder der Gewerkschaften und zivilen Organisationen sowie dissidente Politiker des ANC (Assemblée Nationale Constituante) zu einer spontanen Manifestation zusammen und skandierten Slogans gegen die Regierung vor dem Hotel Afrika an der Avenue Bourguiba. Sie zogen die Strasse weiter bis zum Innenministerium und anschliessend zum Regierungsitz Kasbah.

Der Bruder von Chokri Belaïd hat an der Demonstration teilgenommen, ebenso wie ungefähr dreihundert Sympathisanten, die gegen die islamistische Regierung demonstrierten. Für sie ist nach dem heutigen Tag belegt, dass sie die gegenwärtige Regierung bewusst im Unklaren lässt, was die beiden politischen Morde angeht. Sie hätten jegliches Vertrauen in die Regierung verloren.

Eine Teilnehmerin meinte, wir haben keine andere Wahl als gegen diese Regierung zu protestieren, sogar wenn sie nicht direkt in die Morde involviert waren, sie hat die Täter geschützt. Diesen Leuten wollen wir nicht die Führung über unser Land überlassen und ein autoritäres Regime einfach durch ein anderes ersetzen.

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