Moderater Islam in Tunesien

Béji CaÏd Essebsi
Béji CaÏd Essebsi

Das Forum für den Dialog der Zivilisationen, Religion und Kulturen der tunesischen Oppositions-Partei Nidaa Tounes und die deutsche Konrad Adenauer Stiftung organisieren am 8. Oktober gemeinsam einen Studientag zum Thema „Islam in Tunesien“. Ziel der Konferenz ist es, die Kenntnisse der Studien zu moderaten Islam tunesischer Prägung und seiner Anpassung an eine zeitgemässe Interpretation zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.

Béji Caïd Essebsi hat in seiner Funktion als Präsident von Nidaa Tounes die Konferenz „Islam in Tunesien“ eröffnet. In seiner über 20-minütigen Rede hat er vor allem darauf hingewiesen, dass Tunesien seit Generationen ein Land mit einem offenen und moderaten Islam sei und die Religion einer wichtige Rolle für die tunesische Gesellschaft spiele. Ein wahabitisch geprägter Islam, der Gewalt und Intoleranz verbreite habe dagegen in Tunesien keinen Platz .

Nach der tunesischen Revolution sei der Islam als Referenzpunkt und als konstituierendes Element der tunesischen Gesellschaft politisch manipuliert worden, sagt Dr. Hardy Ostry, Leiter des Auslandbüros der Konrad Adenauer Stiftung in Tunis. Dieser Konferenztag soll zur Diskussion rund um die Rolle des Islam in der tunesischen Gesellschaft beitragen, an die Ursprünge des Islam in Tunesien anknüpfen und eine Alternative für die heutigen jungen Generationen aufzeigen.

Dr. Hardy Ostry
Dr. Hardy Ostry

Interview mit Dr. Hardy Ostry, Konrad Adenauer Stiftung, Tunis

C.O.: Welche Rolle hat die Konrad Adenauer Stiftung an dieser Konferenz und welche Ziele verfolgt sie damit?

H.O.: Wir organisieren das gemeinsam mit dem religiösen und kulturellen Thinktank der Partei Nidaa Tounes. Das ganze hat einen längere Geschichte rund um die Person von Laroussi Mizouri, der früher Religionsminister war und Professor an der Zitouna Universität Tunis . Mit ihm haben wir schon vor 2011 zusammen gearbeitet, weil wir die Afrika weite Bedeutung der Zitouna Universität für einen offenen und moderaten Islam anerkennen. Man darf nicht vergessen, dass viele Imame aus dem Subsahara Gebiet an der Zitouna Universität ausgebildet wurden.

Wir sehen es als wichtig an, dass man das Thema Religion nicht nur denen überlässt, die es vielleicht automatisch im Titel führen. Wir sehen schon, dass das Aufkommen der islamischen Parteien in Tunesien auch im Ausland den Eindruck vermitteln kann, die einen seien in Tunesien religiös und die andern nicht. Ich glaube dass das ein gefährlicher Diskurs ist, denn 92% der Tunesier und Tunesierinnen sind Muslime und jeder hat den Islam auf seine Art entsprechend der Tradition stärker oder weniger stark gelebt. Ich denke dass das ein ganz wichtiges Element ist, dass man das in Tunesien auch so beibehält.

Der zweite Punkte der für die Konrad Adenauer Stiftung wichtig ist, ist diese spezielle tunesische Tradition des Islam.

 C.O.: Was ist das Spezielle am Islam tunesischer Prägung?

H.O.: Die sehr starke Offenheit, das in der Vergangenheit mehr oder weniger unproblematische Zusammenleben zwischen den drei Religionen Christentum, Islam und Judentum und die sehr liberale Strömung des malekitischen Islam, der zu einer der Strömungen und Schulen gehört, die von Offenheit und Toleranz geprägt ist, und zwar nicht in einem Toleranzbegriff der Gutmenschen sondern in einer substanziellen Toleranz, also theologisch gerechtfertigt. Das scheint uns zu den Errungenschaften zu gehören, die Tunesien als Land immer hatte.

Bedauerlicherweise ist es natürlich so, dass dieses Erreichte auch vom vergangenen Regime international in Wert gesetzt wurde und damit konnte man ja international auch punkten, so dass wir auch innertunesisch eine Auseinandersetzung haben, ob dieser Diskurs nicht politisch manipuliert wurde.  Unsere Aufgabe ist es zu zeigen, dass es tatsächlich so war, dass es eine politische Manipulation des Islam gab und gibt, aber diese Tradition des offenen moderaten Islam reicht viel weiter zurück als die ersten Jahre des unabhängigen Tunesiens unter Bourguiba und später die Jahre unter Ben Ali. Ich glaube, das ist es was die Tunesier heute auch brauchen, dass sie sich mit ihrem eigenen Erbe, mit ihrer eigenen Geschichte versöhnen. Das sind zumindest die Versuche, die unsere Partner von Nidaa Tounes starten und wir unterstützen sie dabei.

C.O.: Welche Entwicklung hat denn der Islam tunesischer Prägung durchgemacht?

H.O.: Es gibt einen zentralen Begriff in der islamischen Theologie, das ist der des „Ijtihâd“ (Wille zur Erneuerung), was wir nach dem zweiten vatikanischen Konzil als historische Exegese im Christentum durchgemacht haben, die ja auch 60 Jahre gebraucht hat bis sie zum Durchbruch reif war: Das ist die Anpassung an die Zeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Und ich glaube dass es auch in der kurzen Geschichte Tunesiens schon unter Habib Bourguiba Zeichen gibt, dass Religion auch ein positiver Faktor für Entwicklung geworden ist, also ein motivierender Faktor.

 C.O.: Können Sie ein Beispiel geben?

 H.O.: Wenn man die Aufbruchstimmung In den sechziger Jahren in Tunesien mitbekommen hat oder auch ältere Menschen davon erzählen hört, dann war Religion in dieser Zeit nie ein Spaltpilz sondern eine Frage der nationalen Motivation, ohne dass sie jeder vor sich her getragen hat. Es gibt weltweit tausende von Studien, die im entwicklungspolitischen Bereich darüber philosophieren, ob Religion ein Hemmschuh oder ein Entwicklungsfaktor ist. Ich glaube Tunesien hat eines auf jeden Fall gezeigt: Religion kann ein Entwicklungsfaktor sein.

Wir riskieren vielleicht  im Moment zu erleben, dass es ein Hemmschuh sein kann, aber es ist noch zu früh um das abschliessend zu sagen. Ich hoffe dass der Islam wieder ein Entwicklungsfaktor sein kann, der den Menschen in seiner Freiheit, in seiner Leistungsbereitschaft, in seiner Offenheit und in seiner Verbindlichkeit motiviert. Ich glaube, dann haben wir auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrung zum Beispiel der katholischen Soziallehre oder der evangelischen Sozialethik Berührungspunkte, wo wir gemeinsam über die positive Rolle von Religion reden können.

C.O.: Mit dieser Konferenz verschaffen sie dieser Lesart des Islam ja auch eine Art Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit, hat das Tunesien nötig?

H.O.: Ich denke schon. Wenn sie heute den Saal gesehen haben, war es für mich erstaunlich, dass nicht nur die üblichen Verdächtigen und die Intelligenzia gekommen sind, sondern auch viele junge Leute. Das unterstreicht nochmals, dass der Durst danach da ist und dass die Jugend vielleicht noch etwas anderes sucht als was sich im Moment im Schaufenster der Möglichkeiten so offensiv anbietet. Ich spreche vom Angebot andere Wege zu gehen, moderate Wege, offene Wege, Religion positiv wahrzunehmen ohne zu indoktrinieren.

Das Interview  mit Dr. Hardy Ostry als Audio (5:57): 131007_ostry_islam

Die Konrad Adenauer Stiftung, Büro Tunis im Netz: http://www.kas.de/tunesien/

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