Nepal – ein armes Land?

Das „arme“ Nepal ist in vielen Aspekten reicher als manches Industrieland. 

Hinduismus und Christentum
Im ehemaligen Hindukönigreich Nepal harmonieren die Weltreligionen erstaunlich gut miteinander.

„We are very poor“, sagte meine Kollegin Weena einmal in der Mittagspause zu mir, als wir über Nepal sprachen. Das gab mir zu denken. Selbstverständlich ist Nepal arm, wenn wir das Bruttosozialprodukt, das Pro-Kopf-Einkommen oder die Anzahl Leute, die unter der Armutsgrenze leben, als Indikator nehmen. Im englischen Sprachgebrauch zählt es noch nicht mal zu den Entwicklungsländern, sondern zu den „least developed countries“, den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt.

Doch ich war mit dem erklärten Ziel nach Nepal gekommen, von da etwas mitzunehmen. Und wenn ich als reicher Schweizer in Nepal etwas finde, das sich lohnt, nach Hause zu nehmen, muss folglich dieses Land Reichtum haben.

Da wären einmal die kulturellen Reichtümer. So befindet sich Buddhas Geburtsort in Nepal, und allein in Kathmandu und den mit der Hauptstadt zusammengewachsenen Städten Patan und Bhaktapur stehen mehr Tempel, als wir in drei Monaten besichtigen konnten. Noch eindrücklicher als die einzelnen Zeugnisse der Hindu- und Buddhismuskultur ist das Zusammenleben dieser beiden Religionen. Da kann auf dem Armaturenbrett eines Taxis problemlos ein Buddha neben dem Hindugott Ganesh stehen, und sogar Jesus Christus findet seinen Platz (siehe Bild). Und dies in einem Land, das bis vor wenigen Jahren den Hinduismus als Staatsreligion hatte.

Zwar habe ich in den vergangenen Monaten auch einmal von Repressionen gegenüber Christen gehört, doch die schlimmste Form von religiöser Intoleranz, die mir zu Ohren kam, ging von christlichen Missionaren aus den USA aus: Glaubt man ihnen, so werden ihre Nachbarn – eine mit uns befreundete buddhistische Familie – dereinst nackt in der Hölle schmoren. Genau so haben sie ihren Kindern erzählt.

Doch zurück zu den Reichtümern. Ich habe einen gusseisernen kleinen Ganesh, ein Bildchen der Hindugöttin Laxmi, eine Fliese mit dem Abbild von Shiva sowie buddhistische Gebetsfahnen im Gepäck für die Rückreise, doch das meinte ich nicht mit meinem Ziel, etwas von hier mitzunehmen. Vielmehr hoffe ich, mich auch in Zukunft von der Gelassenheit, Toleranz und Freundlichkeit der Menschen hier inspirieren zu lassen. Denn diese Eigenschaften stellen meiner Ansicht nach den grössten Reichtum der Nepalesen dar und deuten darauf hin, dass das „Entwicklungsland“ in mancher Hinsicht weiter entwickelt ist als die Schweiz, die derzeit den weltweit dritthöchsten „human development index“ aufweist.

Es gibt daneben auch einige klar messbare Indikatoren, gemäss denen Nepal einigen politischen Zielen der Schweizer Regierung näher ist als die Schweiz selber. Ein paar Beispiele hierzu sind in meinem Artikel „The development shortcut“ in der Kathmandu Post zu finden.

Velohändler in Kathmandu
Ist es ein Zeichen von Unterentwicklung, wenn der Händler über kein motorisiertes Gefährt verfügt?

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