Unnützes Wissen

Nepali lesen zu können, ist für den Westler unnütz, für Einheimische hingegen entscheidend. Doch den Behörden sind Statistiken wichtiger als Menschen.

Bücher nepalesisch
Ich kann diese Bücher nicht lesen. Viele Einheimische können es auch nicht.

Mit dem Wort «unnütz» ist es so eine Sache. Da schrieb zum Beispiel ein Wissenschaftsjournalist namens Richard Conniff in der New York Times einen Artikel mit dem Titel «Useless creatures», worin er einen Ansatz in Frage stellt, den er in seinen eigenen Texten sehr häufig verfolgt: den Lesern zu erklären, wie jede hinterletzte Tierart nützlich ist oder sein könnte. (Auch ich habe schon Artikel dieser Art geschrieben – wussten Sie etwa, dass Quallen der ideale Rohstoff für Babywindeln sind?) Conniff kommt zum Schluss, dass Tiere nicht nützlich zu sein haben, sondern jede Art per se wertvoll sei, unabhängig von ihrem Nutzen für den Menschen.

In meinem kurzen Beitrag soll es aber nicht um Tiere gehen, sondern ums Lesen und Schreiben. Ich habe nämlich gelernt, ein wenig Nepali zu lesen – einfach so, weil es mir Spass macht und die Devanagari-Schrift so schön aussieht. Wenn ich in die Schweiz zurückkehre, werde ich das Erlernte rasch vergessen haben, und auch in Nepal hat mein neu erworbenes Wissen nur eng beschränkten praktischen Nutzen. Zwar war ich mächtig stolz, als ich kürzlich auf einem TukTuk die Destination «Tinkune» ( तिनकुने ), wo die Kathmandu Post ihre Büros hat, entziffern konnte. Doch abgesehen von ein paar Ortsbezeichnungen und Anglizismen werde ich, auch falls ich mal das ganze Devangari-Alphabet kenne, nie viel lesen können, da ich die Sprache Nepali nicht beherrsche. Doch vielleicht kann man kulturelles Wissen per se als wertvoll betrachten, unabhängig vom praktischen Nutzen?

Was für mich in einer philosophischen Frage mündet, hat hier eine ganz praktische Bedeutung. Die Fähigkeit des Lesens und Schreibens kann berufliche Perspektiven, das Einkommen und damit letztlich den Lebensstandart entscheidend beeinflussen. Und Nepal arbeitet darauf hin, offiziell als vollständig «literate», also frei von Analphabetismus, zu gelten. Wobei «vollständig» eine Quote von mindestens 95 Prozent bezeichnet, doch das mit dem Rechnen ist eine andere Geschichte.

Einzelne Provinzen haben ihr Ziel auf dem Papier bereits erreicht, doch in der Praxis sieht es anders aus. Um auf die beeindruckenden Quoten zu kommen, werden nur Personen im Alter zwischen 15 und 60 Jahren gezählt. Ältere Menschen fallen also durch die Maschen, und solange sie für die Statistik nicht zählen, wird sich niemand darum kümmern, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen.

Dabei es die Devangari-Schrift gar nicht so schwierig, wie sie für uns Westler auf den ersten Blick aussehen mag. Das Wort «Momo» zum Beispiel ist ganz einfach – doch das gehört nun wieder ins Kapitel «unnützes Wissen».

Momo
Das gelbe Wort bedeutet Momo – eines der Nationalgerichte Nepals.

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