Urbane Gärtnerinnen, edle Wolle und schwierige Interviewsituationen

Meine Zeit in Bolivien ist zu Ende. Hier ein Rückblick auf zwei Recherchereisen nach Sucre und in den tiefen Süden Boliviens.

Gemüsegarten, Füsse und Beine einer Frau von hinten
Dank eigener Gemüsegärten können sich viele Familien in Sucre gesund ernähren. Foto: Sara Aliaga

Zuerst einmal vorneweg: Evo Morales und sein Vize Alvaro García Linera dürfen 2019 noch einmal kandidieren. Das hat das Oberste Wahltribunal Anfang Dezember entschieden. Da die meisten Mitglieder des Tribunals MAS-treu sind, hatte eigentlich niemand einen negativen Entscheid erwartet. Dennoch sahen viele in der Absegnung der MAS-Kandidatur einen weiteren Schlag gegen die Demokratie, viele Menschen gingen noch am gleichen Abend auf die Strasse. In den folgenden Tagen gab es Demonstrationen und Hungerstreiks im ganzen Land; in Santa Cruz setzte eine unbekannte Gruppe das Wahltribunal in Brand. Ich habe SRF-Lateinamerika-Korrespondent Ueli Achermann für diesen Beitrag im Heute Morgen ein paar kurze Töne geliefert zu den Protesten in La Paz.

Blockierte Strassen und lange Schlangen vor der Seilbahn

Am 6. Dezember wurde im ganzen Land Generalstreik ausgerufen. Die Airline, mit der ich an diesem Tag nach Sucre reiste, streikte zum Glück nicht, doch ich bekam den Streik dennoch zu spüren: Einerseits in la Paz, wo sich unendlich lange Schlangen vor der Seilbahn bildeten (da die meisten Minibus-Chauffeure streikten) und andererseits in Sucre, wo der Weg vom Flughafen ins Zentrum teilweise blockiert war und ich mich teils mit dem Taxi, teils zu Fuss fortbewegen musste.

Ich war nach Sucre gereist, weil ich für das Magazin der Uni Bern (Unipress) einen Artikel über die urbane Landwirtschaft schreiben durfte. Sucre, mit bescheidenen 300’000 EinwohnerInnen, wovon rund ein Drittel Studierende sind, ist die offizielle Hauptstadt Boliviens. Allerdings ist ohne Zweifel La Paz das politische und kulturelle Zentrum des Landes.

Ältere Frau in Gemüsegarten
Guillermina Porcel, 62-jährig, lebt zusammen mit ihrer 14-jährigen Enkelin in der Agglomeration von Sucre und ernährt mit ihrem Garten die ganze Familie. Foto: Sara Aliaga

In Sucre gibt es eine grosse Initiative im Bereich der urbanen Landwirtschaft. In den letzten Jahren wurden dank der Stadt- und Departementsregierung sowie der  UN- Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation FAO rund 1400 private Treibhäuser gebaut. Das Programm der urbanen Landwirtschaft richtet sich an Familien, die von der ländlichen Region in das Vorortsgebiet von Sucre gezogen sind. In den Gärten arbeiten vor allem Frauen, die mit dem Gemüse ihre Familie ernähren und zum Teil mit dem Verkauf des überschüssigen Gemüses auch noch etwas dazuverdienen können. Urbane Landwirtschaft heisst hier also nicht nur gesundes Gemüse produzieren, sondern ist auch ein wichtiger Schritt gegen Unter- und Mangelernährung. 

Das sagen, was erwartet wird… 

In den vier Tagen, die ich in Sucre verbrachte, konnte ich rund ein Dutzend Familien und ihre Gärten besuchen. Aus den Gesprächen und Begegnungen konnte ich heraushören, wie wichtig die Gärten für die Familien und insbesondere für die Frauen sind. Auch die Gastfreundschaft meiner InterviewpartnerInnen war beeindruckend – am ersten Abend kehrte ich mit so viel Gemüse zurück, dass ich locker eine Suppe für eine Grossfamilie hätte kochen können. Und an den darauffolgenden Tagen wurde ich jeweils gerade noch zum Mittagessen eingeladen.

Eine ältere Frau mit einer Einkaufstasche
Viele Menschen sind von der ländlichen Region in das Stadtgebiet von Sucre gezogen – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Foto: Sara Aliaga

Andererseits war die Interviewsituation aber oft auch eine ziemliche Herausforderung. Und das nicht nur, weil die Gespräche zum Teil von den TechnikerInnen der Gemeinde von Quechua auf Spanisch übersetzt werden mussten. Ich hatte oft das Gefühl, dass meine GesprächspartnerInnen eine ziemliche Hierarchie empfanden und sich darum bemühten, mir genau das zu sagen, was ich hören wollte. Das hatte ich bei meinen bisherigen Interviews nie so stark empfunden.

Ich war zudem sehr dankbar um die Hilfe der Mitglieder der Stadtregierung, die meine Besuche organisierten und begleiteten, gleichzeitig musste ich mich aber auch dafür einsetzen, dass ich vor allem die urbane Landwirtschaft in Sucre und nicht die touristischen Hotspots der Region kennenlerne. Dass mich Sara Aliaga, eine Fotografin von Página Siete, zwei Tage lang begleitete, war sehr hilfreich. Und ich habe auf alle Fälle viel gelernt.

Ein Mantel aus Vicuña-Wolle für 12’000 Franken

Von Sucre reiste ich dann mit dem Bus via Potosí nach Uyuni, wo ich eine Gruppe von Pro Rural traf – eine bolivianische NGO, die ein Projekt der DEZA ausführt. Unser Ziel am nächsten Tag war San Pablo de Lípez, ein kleines Dorf im Süden des Landes nahe der Grenze zu Argentinien. Die Menschen hier leben vor allem von der Viehwirtschaft (Lamas und Alpacas) und arbeiten in den umliegenden Minen. Doch seit einigen Jahren ist eine neue Einkommensquelle dazu gekommen: Vicuña-Wolle.

Vicuña in steppenartiger Landschaft
Vicuñas gehören zur gleichen Familie wie Lamas und Alpakas, sind aber deutlich schlanker und haben eine feinere Wolle. Foto: Pro Rural

Vicuñas wurden im Gegensatz zu Lamas und Alpacas nie domestiziert. Aber es existiert eine lange Tradition, die Tiere einzufangen, zu scheren und wieder in die Freiheit zu entlassen. Die Vicuña-Wolle gilt als feinste kommerzialisierbare Wolle der Welt und ist dementsprechend teuer: Ein Mantel aus Vicuña-Wolle kostet ca. 12’000 Franken. Wer in einem Luxusgeschäft in Zermatt oder St. Moritz einen solchen Mantel entdeckt, dann ist es gut möglich, dass die Wolle aus Sud Lípez stammt: Die Provinz ist die zweitgrösste Vicuña-Wolle-Produzentin des Landes, Hauptabnehmerin ist die italienische Modefirma Loro Piana.

Bei meinem Besuch durfte ich zunächst Frauen beim sogenannten „Predescerdado“ über die Schultern schauen: Das ist ein erster Verarbeitungsprozess der Wolle, bei dem die dickeren Borsten von Hand aus dem Fell gezogen werden. Rund 10 Prozent der Wolle wird dabei entfernt. Es ist eine Arbeit, die unglaublich viel Geduld erfordert und ausschliesslich von den weiblichen Mitgliedern der Gemeinschaft ausgeführt wird.

Frauen bearbeiten Vicuña-Wolle
Frauen aus San Pablo de Lípez beim sogenannten „Predescerdado“. Foto: Pro Rural

Am nächsten Tag ging es früh am Morgen los und wir durften am Versuch teilhaben, Vicuñas einzufangen. Trotz der guten Organisation dank Radioantenne und Handys gelang es nicht – die Tiere waren schneller. Irgendwie fand ich es gerade passend, dass nicht alles nach Plan klappte, weil es zeigte, wie schwierig es ist, die Wolle von wilden Tieren zu gewinnen.

Diese Reise nach Sud Lípez ermöglichte mir einen spannenden Einblick in ein Entwicklungsprojekt der DEZA. Da das Geld aus dem Wolle-Verkauf zum Teil erst ein Jahr nach dem Export in die Gemeinschaft zurückkehrt, wäre es für die Gemeinschaft sehr schwierig gewesen, ohne Unterstützungsgelder mit diesem Projekt zu starten. Im Frühling wird das Projekt auslaufen, nun sind aber genügend Gelder vorhanden, um diesen neuen Geschäftszweig zu unterstützen.

Die Reportage bei Página Siete über den Besuch in Sud Lípez.

Der Link zum Artikel über die Gemüsegärten in Sucre folgt noch.

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