10 Tage in Tiflis: Von PK-Stress, Anfängerfehlern und georgischer Gastfreundschaft

Mein erster Einsatz als Reporterin in Georgien beginnt mit einer filmreifen Szene. Etwa 30 Kameraleute und Journalisten warten vor einem Hotel in Tiflis. Die Hauptstadt erwartet hohen Besuch. Josep Borrell, hoher Vertreter der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik, hat eine Pressekonferenz angekündigt. Georgiens Bestreben, eines Tages der EU beitreten zu können, ist eines der Hauptthemen hier. Als die Türe des Hotels aufgeht, stürmen alle Kameraleute hinein, um sich einen guten Platz du ergattern. Als alles eingerichtet ist, verlassen die meisten wieder das Gebäude (In Georgien rauchen fast alle).

Hektik vor der Pressekonferenz.
Hektik kurz vor der Pressekonferenz. (foto: P. Nay)

Unüblicherweise taucht der EU-Vertreter zehn Minuten früher als angekündigt auf. Alle Kameraleute stürmen wieder in die Hotel-Lobby. Und dann geht es los. Ein Fotograf hat sich vorne hingestellt und verdeckt den Kameraleuten die Sicht auf den EU-Mann. Die Kameraleute zupfen immer wieder an seiner Jacke, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Doch dann wird es laut. Ich verstehe kein Wort.

Josep Borrell versichert den Journalisten, der Weg für Georgien in die EU sei frei. Er hoffe, die Regierung werde alles unternehmen, um diese Chance nicht zu verpassen. Georgien stellte bereits im März 2022, kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine, den Antrag für die Aufnahme in die EU. Während die Ukraine und die Republik Moldau von der EU in kürzester Zeit den Status von Beitrittskandidaten erhielten, wurde Georgien abgelehnt. Stattdessen bekam Georgien von der EU einen Forderungskatalog. Darin formuliert die EU-Kommission 12 Punkte, die Georgien erfüllen muss, um ebenfalls den Kandidatenstatus zu erhalten. Zunächst fordert die EU umfassende Reformen im Bereich Justiz und bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Und Josep Borrell betont, was an erster Stelle steht: Die Überwindung der politischen Polarisierung innerhalb des Landes. Danach verlässt Borrell die Pressekonferenz, ohne Fragen der Journalisten zu beantworten.

Um den EU-Kandidatenstatus zu erhalten, müssen alle politischen Kräfte konstruktiv zusammenarbeiten.

Josep Borrell, EU-Vertreter für Aussen- und Sicherheitspolitik

Und weiter geht’s: Da es schnell gehen muss, fahre ich mit dem Taxi ins Büro. Dieses Mal habe ich Bargeld dabei. Anders noch vor 10 Tagen, als ich in Georgien angekommen bin. Anfängerfehler: Ich habe nur meine Kreditkarte und kein Bargeld dabei. Der Taxifahrer und ich müssen ein paar Mal um die Häuser fahren, um einen Bankomat zu finden. Es ist Nacht. Der Taxifahrer muss immer wieder hupen. Der Grund: In Tiflis leben unzählige Hunde, die in der Nacht auf der Strasse unterwegs sind.

Am nächsten Morgen kann ich feststellen, dass es in Tiflis an jeder Ecke mindestens fünf kleine Einkaufsläden und eine Apotheke gibt. In einem kann ich Salat finden, im nächsten eine Art «Müesli». Was auf der Packung des Linsenmittels steht, kann ich nur erahnen. Auch wenn die georgische Schrift eine Hürde ist – in Tiflis findet sich alles. Nur an den Geschmack des einheimischen Mineralwassers kann ich mich nicht gewöhnen.

Land und Leute, und die Gastfreundschaft

Umso mehr freue ich mich auf die unzähligen georgischen Spezialitäten. Am Wochenende habe ich die Möglichkeit, mit einem Einheimischen aufs Land rauszufahren. Gela Khvadagiani hat die letzten sechs Jahre in Deutschland gelebt und konnte erst vor wenigen Wochen wieder in seine Heimat einreisen. Vorerst ist er nur auf Besuch. Gela musste Georgien verlassen, weil er ein Anhänger des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili ist, und wie er sagt, «Probleme mit der Regierung» bekam. Die neue Regierung habe ihn zwingen wollen, seinen Freund und sein Idol Saakaschwili, der wegen Amtsmissbrauch im Gefängnis sitzt, zu verleumden. Überprüfbar ist das für mich nicht. Gela möchte nächstes Jahr nicht mit leeren Händen zurückkommen – sondern mit einer grossen Vision.

Zu Gast bei Gela Khvadagianis Familie. (foto: Paula Nay)

Wir fahren von Tiflis nach Letschchumi, eine Region im Nordwesten des Landes. Er habe sein Herz in Letschchumi, sagt der 41-Jährige. Als Kind war er oft im Dorf Sogishi, wo sein Vater aufgewachsen ist. Wir besuchen seine Verwandten, die im 50-Seelendorf Sogishi leben. Die Kiesstrasse im Dorf ist schlecht befahrbar. Einige Häuser haben keine Kanalisation. Gela möchte diese Region entwickeln und den Menschen einen besseren Lebensstandard bieten. Um das zu erreichen, möchte er selbst sich in der Politik engagieren. Seine Vision ist es, die ganze Infrastruktur zu erneuern, um das touristische Potenzial besser nutzen zu können.

Er fragt mich immer wieder, ob seine Region mit der Schweiz vergleichbar sei. Die Berge sind nicht so hoch, die Natur ist jedoch auch atemberaubend. Überall, wo wir hinkommen, wird der Tisch gedeckt und die Weingläser gefüllt. Die Vielfalt ist unglaublich. Alles scheint eine Spezialität zu sein.

Mit der richtigen Motivation ist alles möglich.

Gela Khvadagiani

Ich darf alles probieren. Die Gastfreundschaft der Georgierinnen und Georgier ist nicht nur ein Werbeslogan, sondern Realität. Es wird auf seine Kandidatur für die Wahlen ins Parlament nächstes Jahr angestossen. Seine Verwandten unterstützen ihn. Nur seine Tante bezweifelt, dass er die Ideen auch wirklich umsetzen kann. «Mit der richtigen Motivation ist alles möglich», sagt Gela. Es bleibt ihm noch ein Jahr, um die Georgierinnen und Georgier davon zu überzeugen.

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