Alles ist möglich in Georgien

Eine Recherchereise tief in die georgische Provinz als Paradebeispiel von Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und Flexibilität der Menschen. 

Auch wenn ich die meisten Tage im lärmigen Newsroom der Palitramedien sitze und Kurzfutter für das Georgian Journal schreibe, so kann ich doch auch immer wieder eigene Recherchen anpacken. Etwa jene über Kleinstbauern, die Bio-Haselnüsse für den europäischen und Schweizer Markt produzieren. Dafür bin ich letzten Donnerstag nach Westgeorgien aufgebrochen, dem Herzen des Haselnussanbaus. 

So sieht eine Haselnussplantage aus. Georgien ist der fünfgrösste Haselnuss-Produzent weltweit, Foto: Martina Polek

Meine Reiseerlebnisse geben einen guten Eindruck, wie Georgien tickt und erklären, wieso  ich mich hier so wohl fühle. Für die rund 340 Kilometer lange Strecke nach Sugdidi, der Hauptstadt der westlichen Provinz Mingrelien, entschied ich mich, mit einen Reisecar zu reisen. Im Gegensatz zu den üblichen Kleinbussen – den so genannten Marschrutkas – ist ein Car um einiges bequemer und die Fahrweise viel weniger halsbrecherisch. 

In Tiflis starten Busse von drei verschiedenen Busbahnhöfen. Meiner würde um 12.00 Uhr von jenem ganz im Süden losfahren. Dachte ich zumindest. Eineinhalb Stunden davor verliess ich die Wohnung, um sicher rechtzeitig vor der Abfahrt dort zu sein. 

Als ich am Busbahnhof ankomme, gilt es erst einmal den richtigen Reisecar zu finden. Obwohl ich weder Russisch noch Georgisch sprechen, geschweige lesen kann, sind die Leute vor Ort hilfsbereit und dirigieren mich schlussendlich statt zu einem Bus nach Sugdidi, ins Büro der Cargesellschaft. Ich ahne bereits, dass das kein guten Zeichen ist. Und tatsächlich erfahre ich dort, dass der Car nicht von hier, sondern vom Busbahnhof ganz im Norden der Stadt abfährt. Wohlbemerkt in einer knappen Viertelstunde. 

Bequem im Bus sitzend betrachte ich die Landschaft und verfolge die Reise auf der Landkarte, Foto: Martina Polek

Ich werfe einen verzweifelten Blick auf die Uhr, die im Büro hängt. Selbst der geschickteste Taxifahrer von ganz Tiflis könnte mich nicht mehr rechtzeitig zum Nordbahnhof bringen. Abgesehen davon habe ich zwar Proviant, aber kein Bargeld für ein Taxi dabei (was natürlich dämlich ist) und Bankomaten gibt es am Busbahnhof nicht. 

In Georgien stellt das trotzdem kein Problem dar. Die zwei Mitarbeiterinnen rufen kurzerhand den Fahrer des Cars an, damit er auf mich wartet, geben mir 20 Laris, die ich mit meiner Kreditkarte bezahle und bestellen ein Taxi. 

Eine halbe Stunde nach der geplanten Abfahrt steige ich peinlich berührt in den Car und murmle nach links und rechts ein entschuldigendes «Boschidi». Doch die rund zehn anderen Fahrgäste an diesem Donnerstag sind weder wütend, noch erstaunt, dass sich die Abfahrt verzögert. Ob wir nun in fünf oder sechs Stunden in Sugdidi ankommen, spielt für sie offenbar keine all’ zu grosse Rolle.

Auf dem Land spazieren Schweine und Kühe über und entlang der Strassen, Foto: Martina Polek

Während wir Tiflis langsam Richtung Westen verlassen, denke ich bei mir, dass es sich nicht lohnt, sich im Voraus Sorgen zu machen in Georgien. Denn erstens kommt oft alles anders als geplant und zweitens meistens gut. 

In Sugdidi nimmt mich die Mitarbeiterin der Organisation Elkana in Empfang. Elkana unterstützt und betreut Biobauern in Georgien. Obwohl ich mein Hotel problemlos selber und sogar zu Fuss erreichen könnte, ist es für Liko Ehrensache, dass sie mich zum Hotel fährt. Und das, obwohl sie eine Stunde auf meine Ankunft im Zentrum warten musste. Auch am nächsten Tag holt sie mich  ab, damit wir zusammen aufs Land fahren können. Gemeinsam mit einem Agronom besuchen wir zwei Dörfer, in denen besonders viele Kleinbauern leben, die Bio-Haselnüsse produzieren. 

Trotz Regen lassen sich die Bauern erklären, wie sie ihre Haselnusssträucher schneiden sollen, Foto: Martina Polek

Unter anderem wegen der vor drei Jahren aus Asien eingeschleppten Stinkwanze haben die Bauern die letzten zwei Jahre enorme Ernteverluste gehabt. Und auch dieses Jahr ist die Lage äusserst schwierig. Der Agronom soll ihnen deshalb zeigen, wie sie ihre Haselnusssträucher und Plantagen pflegen sollen, damit die Pflanzen robuster und weniger anfällig sind. Am späten Nachmittag ist das Training auch im zweiten Dorf vorbei. Lika, der Agronom und ich werden selbstverständlich noch zum Abendessen eingeladen. 

Im Haus eines der Bauern hat sich der harte Kern der Kursteilnehmer versammelt. Die Menschen leben in sehr bescheidenen Verhältnissen. Das WC etwa befindet sich in einem Klohäusschen im Garten. Drinnen aber stehen so viele Gerichte auf dem Tisch, das kaum ein Eckchen mehr frei ist. 

Feucht-fröhliche Stimmung beim Abendessen mit den Mitgliedern der Bauernkooperative, Foto: Martina Polek

Wie in Georgien üblich, werden fleissig Trinksprüche gehalten. Jeder der Tischgesellschaft möchte mindestens einmal eine kleine Rede schwingen. So erheben wir uns immer wieder aufs Neue und stossen mit selbstgemachten Wein und Honigwodka an: auf mich, den Gast aus der Schweiz, auf Elkana, auf die Zukunft der Bauernkooperative, auf Georgien, auf die Weisheit des jungen Agronomen, darauf, dass nicht alle jungen Leute das Dorf verlassen und was weiss ich nicht alles. 

Die Männer scherzen und lachen. Die heitere Stimmung und der Wein machen, dass auch ich mitlachen muss, obwohl Lika mit Übersetzen längst nicht mehr nachkommt. Der einzige Misston an diesem wunderschönen Abend ist für mich die Tatsache, dass sich die Ehefrau des Gastgebers nicht zu uns an den Tisch setzt. Sie bleibt höchstens mal bei der Gesellschaft kurz stehen, wenn sie Nachschub aus der Küche bringt.

Was in Tiflis in vielen Familien nicht mehr denkbar wäre, ist hier auf dem Land nichts Ungewöhnliches. Ich bin nicht wirklich überrascht, ein wenig unangenehm berührt aber schon. Und dennoch ändern solche Ecken und Kanten nichts daran, dass ich Georgien längst ins Herz geschlossen habe. 

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