Als Fieldreporterin unterwegs in Ghana

«Thank you, this has been the most impressive and learnful experience with Pulse Ghana so far». Das waren meine Worte, die ich meinem Chef Kwame am letzten Montagabend nach meinem Fieldtrip in die überschwemmte Voltaregion geschrieben habe. Aber lasst mich von vorne beginnen.

Was ich bei meiner Arbeit bei Pulse Ghana bis jetzt vermisst habe, sind intensive Tage draussen auf der Strasse. Ich bin gerne nahe bei den Menschen und führe Feldrecherchen. Dies bin ich mir in der Schweiz als Videojournalistin beim Regionalfernsehen gewohnt. Hier entstehen die Geschichten oft von zu Hause aus – drei Tage in der Woche wird im Homeoffice gearbeitet. Die Ideen kommen meist aus dem Internet, vor allem von Social Media. Bei unserem Redaktionsmeeting, welches jeweils am Freitag stattfindet, wollte ich mein Anliegen deshalb einbringen. Es wurde diskutiert, ob wir mit einem Reporterteam in die Voltaregion im Südosten Ghanas reisen sollten. Dort gab es kürzlich heftige Überschwemmungen, weil der Volta-Staudamm überzulaufen drohte.

Der Voltasee ist der grösste Stausee der Welt, welcher vollständig von Menschen geschaffen wurde. Wegen heftigen Regenfällen haben die Behörden seit Mitte September immer mehr Wasser kontrolliert aus dem Stausee gelassen. Das hatte zur Folge, dass die niedrig gelegenen Dörfer beim Voltafluss überschwemmt wurden. Tausende Menschen mussten evakuiert werden, viele haben ihr ganzes Hab und Gut in den Fluten verloren. In den Ghanaischen Medien habe ich die schlimmen Bilder bereits gesehen und wusste deshalb, dass wir darüber berichten sollten. Und so meldete ich mich, dass ich unbedingt bei diesem Fieldtrip dabei sein möchte.

Die überschwemmten Gebiete in der Voltaregion im Südosten Ghanas. (Screenshot: Google Maps)

Reise in die Voltaregion

Am Montag sollte ich mit meinen zwei Journalistenkollegen Emmanuel und Joseph dahin reisen. Die Bestätigung, dass wir definitiv gehen konnten, bekamen wir aber erst am Sonntagabend. Für solche grösseren Reisen muss zuerst beim Finanzteam ein Reisebudget beantragt werden. Dies ist ein grosser Gegensatz zum Reporterleben in der Schweiz, wo ich einfach ins Geschäftsauto steigen und durch die ganze Schweiz fahren kann. Das Budget wurde zum Glück abgesegnet und so traf ich meine Arbeitskollegen am Montagmorgen um 6 Uhr im Büro.

Von Accra reisten wir mit dem Trotro in Richtung Voltaregion. Das Trotro ist ein Minibus, welcher erst losfährt, wenn er voll ist. Die Fahrt im Trotro war für mich ein Höhepunkt. Es war faszinierend zu sehen, wie der Bus immer wieder anhielt, weil zum Beispiel ein Gast Durst hatte und Wasser kaufen wollte. Beim nächsten Stopp wurde dann Brot gekauft und beim übernächsten Stopp Erdnüsse. Die Verkäuferinnen (meist Frauen) tragen die Lebensmittel in grossen Körben auf ihren Köpfen und schlängeln sich durch die Autos, welche im Stau stehen. Jedes Mal stockt mir der Atem, wenn ich sehe, wie die Frauen mitten auf der Strasse zwischen den Autos ihr Leben riskieren.

Überschwemmtes Spital in Sogakope

Nach gut 2.5 Stunden Fahrt sind wir bei unserer ersten Station in Sogakope angekommen. Von hier ging es für uns mit dem Motorrad weiter. Da das Dorf direkt am Ufer des Voltaflusses liegt, waren viele Strassen überflutet. Auch das Spital und die Leichenhalle sollten betroffen sein. Wir wollten deshalb dahin. «Habt ihr uns beim Spitaldirektor angemeldet?» fragte ich meinen Arbeitskollegen Emmanuel. Die Antwort war: «Nein, wir gehen einfach spontan vorbei». In der Schweiz ein Interview ohne Voranmeldung mit einem Spitaldirektoren zu bekommen, ist beinahe unvorstellbar. Umso mehr war ich überrascht, dass der medizinische Direktor des Spitals dann auch wirklich da war und ohne grössere Überzeugungskünste unsererseits Red und Antwort stand.

Aufgrund der Fluten wurde der Zugang zum Spital abgeschnitten. Auch die Trafostation vom lokalen Elektrizitätswerk stand unter Wasser, weshalb das Spital für rund eine Woche keine Elektrizität hatte. Der Betrieb musste eingestellt werden, alle Mitarbeitenden wurden nach Hause geschickt und die rund 40 Patienten in andere Spitäler verlegt. Dasselbe galt für die Leichen aus der Leichenhalle, welche in andere Institutionen gebracht werden mussten. Denn auch diese stand unter Wasser.

Zum Mittagessen Reis und Tilapia im Trotro-Taxi

Nach dem Besuch von zwei weiteren betroffenen Orten, einer Schule und einem Hotel, sind wir nach Mepe weitergereist. Dieses Mal mit einem Trotro-Taxi. Dieses fährt erst los, wenn vier Passagiere im Auto sitzen. Wir gönnten uns aber den Luxus und fuhren zu dritt los, denn wir brauchten Platz. Da wir keine Zeit zum Mittagessen hatten, haben wir uns Reis und Tilapia (ein lokaler Buntbarsch) geholt und assen im Auto. Mit den teilweise zerlöcherten Strassen in Ghana war dies eine grosse Herausforderung. Gleichzeitig musste ich schmunzeln. Denn auch von meinem VJ-Leben in der Schweiz war ich es mir gewohnt unter Zeitdruck im Auto zu essen. Das ist hier in Ghana also nicht anders.

Schwer zu ertragende Bilder in Mepe

Nach rund 45 Minuten und einem leicht verdreckten Auto kamen wir in Mepe an. Bereits bei der Einfahrt ins Dorf wurde uns bewusst, dass hier das Ausmass der Überschwemmungen noch viel schlimmer ist. Die tiefer gelegenen Häuser waren komplett durchflutet, teilweise ragten nur noch die Dächer aus dem Wasser. Die betroffenen Bewohner waren in den Schulzimmern auf einem Hügel untergebracht. Um von dort ins Zentrum zu kommen, mussten sie mit einem Boot pendeln. Das Ghanaische Militär war vor Ort und hielt den Bootsbetrieb aufrecht. Auch Zelte haben sie aufgestellt.

Der Anblick der zerstörten Häuser und der betroffenen Menschen war kaum zu ertragen. Ich war froh, dass ich das Ganze durch meine Kamera betrachten konnte, was für mich wie ein emotionaler Schutzfilter funktionierte. Am meisten berührte mich die Geschichte von Diana. Sie schien nicht älter als 18 Jahre zu sein und war erst kürzlich Mutter geworden. Sie sass mit ihrem drei Wochen alten Sohn William da und erzählte mir, dass sie nichts zu essen hat und ihr abends kein Licht zur Verfügung steht.

“Half a loaf is better than none.”

Israel, Bewohner von Mepe

Da die Schulzimmer als Schlafstätten gebraucht wurden, haben die Lehrer die Schulbänke nach draussen verlegt. So sassen im Schatten unter den Bäumen dutzende Schulkinder und deren Lehrer, welche ihnen unter diesen Umständen versuchten, etwas beizubringen. Ich war sehr beeindruckt, so viele lachende Kindergesichter zu sehen, obwohl ihre Familien praktisch alles in den Fluten verloren haben. Israel, ein Bewohner von Mepe, erzählte mir, dass Hilfsorganisationen Lebensmittel, Moskitonetze und Solarlampen vorbeibrachten. Es reiche jedoch nicht für alle. Aber auch in dieser Situation blieb er optimistisch. «Half a loaf is better than none», meinte er am Ende unseres Interviews.

Nach vielen Gesprächen und Filmaufnahmen in Mepe reisten wir mit dem Trotro-Minibus zurück nach Accra. Dieses Mal wollte ich auch etwas von der Strasse kaufen. Für fünf Cedis bekam ich lokale «Guetzli». Im Bus wurde angeregt diskutiert, mein Sitznachbar wollte mir sein Buch über «Personal Motivation» verkaufen. Die Rückfahrt dauerte wegen dem Stau länger als zuvor. Ich finde es verrückt zu wissen, dass manche Leute jeden Tag so lange zwischen Mepe und Accra pendeln.

Als es schon dunkel war, kam ich nach einem intensiven Tag wieder zu Hause in Accra an. Und es war definitiv eine der lehrreichsten und beeindruckendsten Erfahrungen, die ich als Reporterin bei Pulse Ghana bis jetzt hatte.

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