… Die Trying

Die blendend weissen Gipfel, die Mahagoni-Hotelsuiten und die breit lächelnden Menschen in den Nepal-Reiseprospekten von KUONI, GLOBETROTTER & Co. zeichnen wohl zurecht das Bild eines touristisch hochentwickelten, wunderschönen Reiselandes, das den weiten Trip ins gebirgige Südasien lohnt. Trotzdem ist dieses Portrait des Himalaya-Staates verzerrt und nicht sehr ehrlich. Die Hochglanzreisekataloge gaukeln eine heile, freundliche Welt vor, die so nur an der Oberfläche besteht. Den Touristen wird diese glänzende Oberfläche hier gerne vor die allzeit bereiten Linsen gehalten.

Ein Tag auf Kathmandus Strassen ausserhalb des Touristenbezirks Thamel und ein Blick in die aktuellen Weltbank-Statistiken aber genügen, um die von der Tourismusbranche kolportierte Wirklichkeit ein wenig gerade zu biegen. Nepal ist eines der allerärmsten Länder der Welt. Weniger als 700 US Dollar verdient der nepalesische Durchschnittsbürger, pro Jahr! Im Human Development Index-Verzeichnis (HDI) der UNO, das anhand verschiedener Faktoren wie Bildungsniveau, Lebenserwartung, Gesundheitsversorgung etc. den Lebensstandard einer Gesellschaft bemisst, rangiert Nepal auf Rang 158 von 186 erfassten Nationen, hinter Nigeria und Mauretanien, knapp vor Lesotho und Haiti.

Einer der Hauptgründe für das schlechte Abschneiden Nepals in den Weltbank- und UNO-Statistiken ist der extrem hohe Anteil selbstversorgender Bauern in der Bevölkerung. Rund 85 Prozent aller Nepalesen schuften als Kleinbauern für ihren Lebensunterhalt. Sie sind oft schlecht gebildet und hoch verschuldet bei Grossgrundbesitzern. Die zweiwöchige Dashain-Pause (während dem längsten Hindu-Festival Nepals läuft nichts in der Hauptstadt, nicht einmal die Zeitungsdruckmaschine) habe ich dazu genutzt, zwei Regionen Nepals zu erkunden, in denen diese ländliche Armut allgegenwärtig und unübersehbar ist. Dass ich auf diesen Erkundungstouren – ganz nebenbei – auch meine Reiselust befriedigen und endlich mal wieder ein bisschen unverpestete Luft schnappen konnte, möchte ich an dieser Stelle nicht verschweigen.

Chapter I: Sagarmatha

Landebahn in LuklaDie erste Woche habe ich gemeinsam mit meinen beiden Mitbewohnerinnen Aria und Fareeda im Himalaya verbracht. Unser Ziel: Wir wollten innert acht Tagen von Lukla (dem Ausgangspunkt zur Erkundung der Himalaya-Region rund um den Mount Everest) zu den Gletscherseen Gokyos und wieder zurück wandern. Die Landung auf dem Flughafen in Lukla (einem der gefährlichsten Flughäfen der Welt) haben wir heil überstanden.

Auf unserem ziemlich toughen Hike nach Gokyo (4790 M.ü.M) wurden wir aber auf der vorletzten Etappe gestoppt. Wegen unerwartet starken Schneefällen und niederdonnernden Lawinen wurde der Trail nach Gokyo gesperrt. Zwei Tage lang sassen wir in Machermo (4500 M.ü.M.) fest. Beim Besuch des dortigen “Rescue Centers” (eine Initiative einer britischen NGO) haben wir einen Sherpa angetroffen, der Stunden zuvor von einer Lawine erfasst und von Notärzten vor Ort gerettet wurde. Dieselbe Lawine hatte mehrere Träger-Yaks in den Tod gerissen. Die Begegnung mit dem Sherpa, meine undichte Mammut-Jacke und die in meinem Kopf nachhallenden, zur Vorsicht mahnenden Worte meines Vaters haben mich dann endgültig zur Einsicht gebracht, dass Gokyo diesmal unerreicht bleiben muss…

Die ländliche Armut begegnet einem im Gokyo-Valley in Form der als Schlepper und Träger arbeitenden Sherpas, die täglich mit unglaublichen Ladungen die schmalen Wanderwege rauf und runter huschen. In meist völlig unzureichender Kleidung (viele tragen Flipflops oder Gummistiefel, fast niemand hatte eine wasserdichte Jacke an) schleppen die Sherpas (Teenager bis Greise, Männer und Frauen) das Reisegepäck der Touristengruppen ans nächste Tagesziel, bringen Nahrungsmittel in die kleinen Bergrestaurants oder transportieren ganze Bauelemente den Berg hoch. 30 Kilos sollte ein Sherpa maximal tragen müssen, steht in einer Abmachung, die wir im Rescue Center in Machermo durchgelesen haben. Dafür sollte er/sie täglich mit rund 1000 Rupien entlohnt werden. Doch, das ist Wunschdenken, wie uns der englische Arzt in Machermo erzählt hat. Die Arbeitsrealität der oft draussen unter Felsvorsprüngen schlafenden Sherpas ist zumeist wesentlich härter.

Das vielgehörte Argument, man könne die lokale Bevölkerung unterstützen, in dem man Träger engagiere, die einem das Gepäck und alles andere die Berge hochschleiken, kann ich nicht gelten lassen. Wer Menschen zu Spottpreisen als Schlepper engagiert, degradiert sie zu reinen Arbeitsgeräten. Wer glaubt, der lokalen Bevölkerung mit seinem Reisegepäck einen Dienst zu tun, festigt einen Status Quo, der harte körperliche Arbeit als “Möglichkeit der Unterstützung lokaler Sherpas” tarnt und die unmenschlichen Zustände am Fuss der Himalaya-Massive unnötig zementiert. (Die schleppenden Sherpas haben mich an diesesKapitel aus Michael Glawoggers Dokumentationsreihe “Workingman’s Death” erinnert.)

Chapter II: Terai

Sumpfwaldlandschaft im Chitwan Nationalpark.Während der zweiten Woche bin ich durch das Terai-Gebiet im Süden Nepals gereist. Hier lassen sich Bengalische Tiger, Nashörner, Elefanten, Pythons und Krokodile in freier Wildbahn beobachten. Hier kann man durch die Baumkronen des üppigen Dschungels die verschneiten Gipfel des Langtang-Gebirges erkennen. Hier kann man durch Taru-Dörfer streifen und erfahren, wie sich das Leben ohne Elektrizität und fliessendes Wasser anfühlt.

Auch im Terai ist die Armut der nepalesischen Bevölkerung offenkundig. Fast alle Menschen in diesem fruchtbaren Landstreifen an der Grenze zu Indien sind Bauern. Die dominante Taru-Kultur in diesem Teil Nepals kennt klare Gesetze, wenn es um die Gestaltung der Familie und des Arbeitsalltages geht. Frauen werden zwischen 14 und 16 an ihnen unbekannte Männer verheiratet und haben im Schnitt acht Kinder. Sie sind zuständig für den Haushalt in den oft primitiven Lehmhütten, während ihre Männer mit Ochsen und von blosser Hand die Reis-, Senf- und Maisfelder bewirtschaften. Handel gibts hier nur sehr begrenzt. Man lebt von dem, was man anpflanzt und schlachtet.

Chapter III: Kathmandu

Zurück in der Hauptstadt setzen einen die Abgase, der Lärm und der Staub erst einmal Matt. Man sucht nach Wegen, um dem betörenden Chaos zu entweichen, und erkennt bald, dass es diese Wege nicht gibt, dass acht weitere Wochen in den Augen gerieben, gehustet und gespuckt werden muss.

Die Strassenszenen aber haben sich verändert seit der vorletzten Woche, als hier jedes zweite Geschäft Dashain-bedingt geschlossen hatte und als der Verkehr richtig angenehm und flüssig durch die leeren Strassen schlich. Das alte Chaos ist wieder eingezogen in Kathmandu. Hinzu kommen auffällig viele Polizei- und Armeepatrouillen, die im Vorfeld der am 19. November stattfindenden Parlamentswahlen für “Ruhe und Ordnung” sorgen. Wie schon 2008 wurde der Wahltermin übrigens aufgrund astrologischer Berechnungen festgelegt. Am 19. November sollen die Sterne besonders günstig stehen für den erneuten Versuch Nepals, eine  Legislative zu wählen, die dem Land geben könnte, was es dringend braucht: eine Verfassung und die damit einhergehende politische Stabilität.

Ein angenehmer Abstecher bot sich uns am 23. Oktober, als die Schweizer Botschaft an ein Jazz-Konzert von Eliane Amherd im Innenhof des Botschaftsgebäudes lud. Am Rande des Gigs hatte ich Gelegenheit, ein paar neue DEZA-Mitarbeiter kennen zu lernen. Ich freue mich darauf, in den kommenden Wochen vermehrt Einblicke ins Schaffen der Schweizer Entwicklungshilfe in Nepal zu erhalten. Fragen habe ich viele. Wenn meine ersten sechs Wochen in Nepal etwas in mir ausgelöst haben, dann eine grundsätzliche Skepsis gegenüber den Bemühungen bestimmter “Entwicklungshelfer” und Aidmitarbeiter. Umso mehr bin ich gespannt, wie die DEZA die komplexen Aufgaben anpackt und an nachhaltigen Lösungen für dieses faszinierende Land mitarbeitet. Mehr dazu hoffentlich bald…

Weitere Bilder auf www.insidenepal.ch…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert