Falang in der Visa-Falle

Jeder Ausländer, den ich gefragt habe, hat mich beschwichtigt: Sehr simpel. Ein Kinderspiel! Das Visum für Laos kannst Du problemlos jeden Monat verlängern: Fahr einfach über die Freundschaftsbrücke auf die thailändische Seite und wieder nach Laos zurück. Eine Sache von ein, maximal zwei Stunden.  Selbst meine Chefin bei der Vientiane Times, die mich stets in Watte packt und am liebsten überall mit dem redaktionseigenen Chauffeur hinfahren würde, äusserte keine Bedenken, als ich einen kleinen Ausflug auf die thailändische Seite zwecks Visumsverlängerung ankündigte. Mal abgesehen vom ausdrücklichen Befehl, nicht mit dem Motorrad hinzufahren. Eigentlich hatte ich genau das vorgehabt. Aber da es sich um den Roller der Schwester meiner Chefin handelt, nahm ich dann doch den Bus. Bis jetzt hatte meine Vorgesetzte mit autoritärer Fürsorglichkeit über mich gewacht. Man stelle sich vor, was los ist, wenn der Töff auf dem Parkplatz vor der Grenze gestohlen würde. Schliesslich habe ich bereits ein paar Kratzer und einen kaputten Seitenspiegel zu verschulden, weil ich neulich im Zeitlupentempo von der steilen Auffahrtsrampe zu meiner Pension gekippt bin. Mein Hirn leistete übrigens aussergewöhnliches, in dem es blitzschnell eine Schaden/Nutzung-Abwägung getroffen hat: Den Töff mit aller Kraft obenhalten, dafür risikieren, unter der Maschine zu liegen (immerhin eine 125er Suzuki, als Töff-Laie würde ich sagen: Etwa das Gewicht von einem Elefantenbaby). Oder aber: Töff loslassen, abspringen und ohne Blessuren neben dem Blechhaufen landen. Ich habe mich für letztere Variante entschieden, verbunden mit dem temporären Verlust meiner Würde (es standen etwa zehn junge Laoten vor dem Eingang und eilten mir sofort zu Hilfe).

Jedenfalls bedanke ich mich hiermit bei allen neunmalklugen Langnasen, die mich dazu veranlasst haben, mich mit debil anmutender Gedankenlosigkeit in das Abenteuer der Visumsverlängerung zu stürzen. Merci! Sechs Stunden nach Aufbruch, es ist bereits dunkel, sitze ich mit den Nerven am Ende, den eingetrockneten Rest von Wuttränen in den Augenwinkeln, in einem Noodle-Shop am Stadtrand von Vientiane und löffle meine Bouillon mit Hühnerfüssen. Ich denke an den Film mit Tom Hanks, dieser Knallcharge, wie er jahrelang auf einem Flughafen leben muss, weil er weder ein Visum für die Ein- noch für die Ausreise bekommt. Den Streifen wollte ich nie wirklich sehen, aber der Trailler mit dem ausgemergelten Tom Hanks ist mir noch gut im Gedächtnis. Was für ein Horror! Was für eine Ohnmacht!

Was war geschehen? Ketlina (das ist mein Name auf Lao), hat in einem Anfall von Naivität nicht kontrolliert, ob der laotische Grenzbeamte ihr auch WIRKLICH einen Ausreisestempel in den Pass gedrückt hat, bevor sie in den Bus gestiegen ist, der sie über die Freundschaftsbrücke an die thailändische Grenzstation bringt. Was auch schwierig geworden wäre, denn bei meiner Kleinwüchsigkeit habeich eigentlich nur den oberen Rand der steifen Beamtenkappe gesehen, die dort übelgelaunt und sicher schon seit mehreren Stunden ohne Pause Stempel in Falang-Pässe drückt. Jedenfalls treffe ich nach einer Fahrt über die Freundschaftsbrücke im rappelvollen Bus, auf den ich weitere vierzig Minuten gewartet hatte, gleichzeitig mit einer etwa hundertköpfigen russischen Reisegruppe vor dem Schalter der Thai-Immigration ein. Dort warte ich nochmals eineinhalb Stunden, bis ich vor dem Schalter eines noch übler gelaunteren Beamten mit Chirurgenmaske stand. Ungeduldig blättert er in meinem Pass und schleudert mir dann ein „Stamp Lao – No!“ entgegen. Ich verstehe nichts, trete zur Seite, denn hinter mir drängeln rüppelhaft zwei dicke Russinnen mit Sonnenbrand auf den Schultern. Ich mache Platz und bitte aus der Distanz freundlich um eine etwas ausführlichere Erklärung der unerwarteten Rückweisung. Hatte ich ein Formular falsch ausgefüllt? Erschien dem Beamten irgendetwas in meinem nigelnagelneuen, roten Büchlein verdächtig? Der Mann reisst erstaunt die Augen auf und schreit mich aus vollen Kräften an: „Laolaolao!!!!“ Er geifert und zetert in seinen Mundschutz. Ratlos folge ich der Schlange zurück zum Ausgangspunkt. Ein Inder, dessen Mitleid ich erregt zu haben schien, bietet Hilfe an. Er studiert meinen Pass. Klarer Fall. Du brauchst erst ein Thai-Visum, erklärt er. Er lebe selbst in Vientiane und komme regelmässig her, um sein Visum verlängern zu lassen, da seine Firma ihm noch keine Arbeitsbewilligung besorgt habe. Vertrauensvoll folge ich seinem Rat und stehe hinter einer Bürotüre an, die mit „Visum-Application“ angeschrieben ist. Das wird es sein, wie konnte ich das übersehen. Ist ja alles ganz logisch, denke ich und stelle mich in die Schlange. Nach einer halben Stunde geht die Bürotür auf. Ein Mann in khaki-Uniform weist willkürlich ein paar Wartende, die ihm Baht-Noten zusteckten, in den Korridor. Die Türe wieder schliessend, lässt er seinen Blick über die Wartenden schweifen, stutzt plötzlich und bellt in meine Richtung: Lao-Citizen only! und knallt die Tür zu. Ich bin der einzige Falang in der Schlange.Meinen ganzen Mumm zusammenkratzend, gehe ich nach vorn und klopfe an die Tür. Der Khaki-Mann reisst entnervt die Tür auf, im Raum hinter ihm Dutzende von wartenden Leuten mit leidvollen Gesichtern. Kindergeschrei und Stempelklopfen beschallen den Raum. Fast flehentlich strecke ich dem Beamten meinen Pass und die Formulare entgegen. Ich wage sogar einen Augenaufschlag. „Can you help me please?“ Der Khaki-Mann erbarmt sich meiner und ich bedanke mich beim Schöpfer, dass das Kindchenschema auch im reiferen Alter noch greift. Der Beamte blättert hurtig meinen Pass durch. Er gibt mir das Büchlein zu rück und sagt mi ruhiger Stimme: Go back Laos. You need stamp.

Ich gehe also zurück, warte abermals auf den Bus, überquere die Brücke und stehe vor den laotischen Grenzbeamten. Die sind so gar nicht erfreut, mich zu sehen. Jedenfalls geben sie mir das zu verstehen, nachdem sie ungeduldig meinen Pass durchgeblättert haben. Englisch sprechen sie nicht. Sie holen einen Beamten aus einem der Karbäuschen, wo man vor der Ausreise Schlange stehen muss, er trägt eine steife Kappe und kaut an etwas herum, das aussieht wie Süssholz. Whaduyuwant, fragt er. Ich versuche zu erklären, dass ich offenbar versehentlich keinen Stempel bekommen habe. Eine Weile tauschen wir Dialogfragmente aus, ohne uns zu verständigen: Why? Don’t understand, No stamp etc. Schliesslich schrillt mein Babyphone. Meine Chefin ist dran. Sie habe mich bestimmt hundertmal zu erreichen versucht, sagt sie vorwurfsvoll. Ich sei wohl gerade in der Thai-Migration gewesen und hätte keinen Empfang gehabt, rechtfertige ich mich. Ob ich in Schwierigkeiten stecke? Ich erkläre ihr die Situation. „Das passiert oft. Sie wollen, dass Du eine Strafe bezahlst“, seufzt meine Chefin. „Aber warum, ich habe nichts Unrechtes getan“, protestiere ich.“Bezahl die Strafe und komm zurück“, befiehlt sie und legt auf. Doch ich denke nicht daran, eine „Strafe“ zu bezahlen. „I think you forgot to stamp my passport“, sage ich zum Beamten, der immer noch neben mir steht. Uns ist beiden klar, dass der Stempel absichtlich vergessen ging. Vielleicht war er sogar diejenige, der mir den Pass ungestempelt zurückgereicht hat. Auf laotisch murmelt er ein paar Sätze und zieht dann trotzig einen Schein aus der Hosentasche. Pay fine! knurrt er. Ich schüttle den Kopf und sage so ruhig und höflich wie möglich: „Dann gehe ich jetzt zurück nach Vientiane.“ Die Miene des Beamten gefriert. „You need stamp for Lao-Visa“, sagt er und spuckt unter seiner steifen Kappe hervor auf den Boden vor mir. Erst da dämmert mir meine Lage: Ich stecke zwischen den Grenzen fest. Mein Visum für Laos ist abgelaufen, ich kann also nicht mehr einreisen. Der einzige Weg zu einem neuen Visum führt über eine Einreise nach Thailand, doch die lassen mich nur über die Grenze, wenn ich zuvor eine Bescheinigung über meine Ausreise aus Laos habe, was mich zurückbringt zum süssholzkauenden Beamten, der vor mir steht. Seiner Gnade bin ich nun ausgeliefert. Vor Wut kann ich kaum sprechen. Ich schüttle den Kopf und frage, ob ich mit seinem Vorgesetzen sprechen könne. Er versteht mich, oder auch nicht. Jedenfalls stapft er davon. Ich setze mich auf den Boden, der wie überall mit rostrotem Staub überzogen ist. Die ankommenden Grenzgänger zirkeln um mich herum. Ich bin fest entschlossen, den Konflikt auszusitzen.

Eine zermürbende Ewigkeit später (der Beamte mit der steifen Kappe hat sich nicht mehr blicken lassen) rufe ich Viru an. Er ist indisch-thailändischer Abstammung und arbeitet seit ein paar Jahren in Vientiane. Er beherrscht Englisch, Hindi, Thai und Lao. Er ist überzeugter Buddhist. Obendrein hatte er eine längere Beziehung mit einer Schweizerin. All das macht ihn zum optimalen Übersetzer für interkulturelle Schwierigkeiten. Ich erzähle ihm, was passiert ist. „Der will, dass ich ihn besteche!“ Schliesse ich mein Bericht mit vor Wut zitternder Stimme. Mein sonst so ruhiger Freund klingt besorgt. „Just comply, please!“, beschwört er mich. Andernfalls könnte ich Probleme bekommen, aus denen er mich nicht mehr rausreden könne. Er will mir zur Hilfe eilen. Mit dem Bus an die Freundschaftsbrücke fahren. Doch es ist 18 Uhr und er sitzt im Büro in Vientiane. Ich will es ihm ausreden und verspreche ihm deshalb dreimal hintereinander, dass ich SICHER bezahle und SICHER keinem Beamten mehr widerspreche.

Mit vor Wut und Ohnmacht schwachen Beinen gehe ich zum Karbäuschen, in dem die steife Kappe sitzt und unentwegt Süssholz zwischen den Zähnen zermahlt. Ich zücke den geforderten Betrag in thailändischen Baht,die laotischen Kip brauche ich noch, um später mein Visum zu bezahlen. Ich prüfe den Stempel eingehend und entschwinde grusslos im Niemandsland zwischen Laos und Thailand.

Nach weiteren zwei Stunden sitze ich im Noodle-Shop auf der laotischen Seite, das Visum für einen weiteren Monat in der Tasche. Es ist längst dunkel. Noch zweimal muss ich dieses Prozedere über mich ergehen lassen. Darauf mache ich mich gefasst: Die laotischen Grenzbeamten kennen noch das eine oder andere Buebentrickli.

Disclaimer

Seit meiner Ankuft hier in Laos habe ich nur mit drei Arten von Menschen schlechte Erfahrungen gemacht: Abgesehen von besoffenen Australiern sind das es Tuktuk-Fahrer und Grenzbeamte. Laoten sind mir bis jetzt ausschliesslich durch Aufrichtigkeit und authentische Freundlichkeit aufgefallen. Im Laden halte ich manchmal sogar mein Portemonnaie hin, damit sich die Bedienung das Geld selbst rausnehmen kann, wenn mein Hirn hitzebedingt überfordert ist mit dieser unsäglichen Währung. Eine Verhaltensweise, über die sich die Laoten zuverlässig amüsieren und mir manchmal noch einen Hofnarr-Bonus in Form von extra Strohhalmen für das Beerlao einbringt.

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