Frieden und Versöhnung, das wünsche ich dir, Georgien

Ich sage «auf Wiedersehen» und verabschiede mich mit einer hoffnungsvollen Botschaft. 

Und schon sind sie rum, die acht Wochen in Georgien. Die Zeit verging wie im Flug und trotzdem konnte ich in diesen zwei Monaten Freundschaften schliessen, die mich in dieser kurzen Zeit geprägt haben.

Ganz besonders dankbar bin ich für meine zwei Mitbewohner, ein Paar anfangs 30. Nana und Gigi haben mir ein Zuhause geboten, mich bei meinen Ausflügen und Recherchen unterstützt und mich bereitwillig ihrem Freundeskreis vorgestellt. Dank ihnen, sowie meinen Recherchereisen, habe ich in diesen zwei Monaten viel Zeit mit Georgierinnen und Georgier verbringen können und Einblicke in ihr Leben erhalten.

Batumi am Schwarzen Meer ist einer der Lieblingsdestinationen der Menschen in Georgien. Jetzt im Winter ist der Strand verlassen, Foto: Martina Polek

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die jungen Leute hier nicht von mir und meinen Freunden in der Schweiz. Ausser vielleicht, dass sie viel länger zuhause wohnen müssen, was nicht immer leicht ist und dass sie viel, viel weniger Geld verdienen. Doch Freundschaften, Beruf, Liebe und Ferien, das sind Themen, die uns Junge in der Schweiz ebenso wie in Georgien stark beschäftigen. Bei genauerem Hinsehen habe ich aber gemerkt, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen uns gibt. Und zwar ist es die Erfahrung, die sie mit den zwei Bürgerkriegen und den chaotischen Folgejahren gemacht haben. 

Bei einem Essen mit ein paar georgischen Freundinnen unterhielten wir uns über Musik aus den 90er. Ich erzählte, dass mein erstes Musikalbum, das ich mir in meinem Leben gekauft habe (auf Kassette), von den Spice Girls war. Da erwiderten die anderen, dass es für sie damals keinen Sinn gemacht hätte, eine Musikkassette zu kaufen, selbst wenn sie es sich hätten leisten können. Denn während dem Bürgerkrieg mit Abchasien 1992/93 und den Jahren danach hätten sie sowieso kaum je Strom gehabt in Tiflis. Nicht Musikhören zu können, weil der Strom fehlt – das klingt vielleicht nicht sehr dramatisch. Doch für mich, die in der Schweiz aufwuchs, ist es trotzdem unvorstellbar.

Strom war in den 90er Jahren selbst in Tiflis ein rares Gut, Foto: Martina Polek

Besonders berührt hat mich die Erzählung von Mziko. Sie hatte mich während eines Wochenendes in der abgelegenen Kleinstadt Lagodekhi an der Ostgrenze Georgien zu Aserbaidschan begleitet und für mich übersetzt. Während der holprigen Rückfahrt per Minibus zurück nach Tiflis, hat sie mir erklärt, warum sie eine so grosse Abneigung gegen Russland hat.

Russland hat die beiden abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien während den Bürgerkriegen stark unterstützt – finanziell aber auch militärisch. Als im August 2008 der fünftägige Krieg mit Südossetien ausbrach, war die damals 13-jährige Mziko mit ihrer Mutter und den drei jüngeren Brüdern zu Besuch bei den Grosseltern. Diese lebten auf dem Land in der Nähe von Gori, einem Epizentrum der Kampfhandlungen. 

Abendstimmung in Lagodekhi an der Grenze zu Russland und Aserbaidschan am Fusse des Grossen Kaukasus, Foto: Martina Polek

Es war Hochsommer und sie genossen die gemeinsamen Ferien. Niemand habe ernsthaft geglaubt, dass tatsächlich ein Krieg ausbrechen würde, obwohl Spannungen vorhanden waren. Deshalb habe Mzikos Vater die Familie auch ohne Bedenken bei den Grosseltern gelassen und ist selbst wieder nach Hause ins rund 240 km weit entfernte Lagodekhi zurückgekehrt, um zu arbeiten. Ich kann mir seine riesige Angst kaum ausmalen, als plötzlich der Krieg ausbrach und seine ganze Familie sich zwischen zwei Fronten wiederfand.

Mziko geriet ins Stocken, als sie mir von dem Geräusch erzählte, dass Bomben machen, wenn sie durch die Luft angeflogen kommen. Es sei ein Geräusch, wie sie ein Auto macht, wenn es mit hoher Geschwindigkeit einen Berg runterfährt, ohne dass der Motor arbeitet. Jahrelang habe sie Angstzustände bekommen, wenn sie in einem Fahrzeug sass und eben dieses Geräusch hörte. 

Soldaten patrouillieren entlang der georgisch-aserbaidschanischen Grenze, Foto: Martina Polek

Zum Glück für Mziko und ihre Familie hat es der Vater geschafft, sie rechtzeitig mit dem Auto zu holen und aus dem Kriegsgebiet rauszufahren. Laut Mziko nur eine Stunde, bevor die Soldaten kamen. Fast alle Menschen hätten sich damals versucht aus dem Gebiet zu retten, was jedoch gar nicht so einfach war. Einerseits, weil es schlicht nicht genug Fahrzeuge für alle gab oder weil Strassen nicht passierbar waren. 

Traurig und hoffnungsvoll zugleich wiederum war, was mir Liko erzählte. Mit ihr war ich im Westen von Georgien unterwegs, als ich Bio-Haselnussbauern besuchte. Nicht weit davon entfernt befindet sich die Grenze zu Abchasien. Vor 25 Jahre tobte dort der Bürgerkrieg, in dessen Verlauf rund 200’000 ethnische Georgierinnen und Georgier aus der Provinz Abchasien vertrieben wurden. Ein paar wenige blieben, darunter auch Liko und ihre Familie. 

Doch in Abchasien gäbe es grosse wirtschaftliche Probleme und kaum berufliche Perspektiven, erzählte mir Liko. Deshalb ist die heute knapp 40-jährige vor vielen Jahren bereits nach Georgien gezogen. Da ihre Familie in Abchasien blieb, darf sie jederzeit die Grenze passieren. Die allermeisten Georgier dürfen das nicht. 

Die nach dem Zerfall der Sowjetunion erbaute Sameba-Kathedrale in Tiflis – ein Symbol für die nationale Wiederauferstehung Georgiens, Foto: Martina Polek

Während die Situation zwischen Georgien und Abchasien verfahren scheint und politisch Eiszeit zwischen den beiden Akteuren herrscht, glaubt Liko fest daran, dass Abchasien sich wieder Georgien anschliessen werde. Möglicherweise erst in zehn Jahren oder sogar noch länger, aber dass eine Wiedervereinigung stattfindet, daran zweifelt Liko nicht. Denn die Menschen in Abchasien liebten Georgien, sagte sie mir. 

Ich würde es Georgien und seinen Menschen, von denen mir ein paar ans Herz gewachsen sind, sehr wünschen. Seit meiner Begegnung mit Liko bin ich etwas zuversichtlicher, dass Friede und Versöhnung zwischen Georgien, Abchasien und Südossetien mittelfristig Einzug erhalten werden. 

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