Gebete, Curry, Gebell – Eine Bilanz nach zwei Monaten Kathmandu
Kathmandu Diaries #6: Nach zwei Monaten in der nepalesischen Haupstadt und in der Redaktion der Tageszeitung „Kathmandu Post“ bin ich nun wieder zurück im herbstlichen Winterthur, sortiere Trekkingmaterial, Fotos und Interviewnotizen, und versuche hier über meinen Aufenthalt Bilanz zu ziehen.
Die Zeit in Kathmandu war spannend, intensiv, eindrücklich und manchmal auch anstrengend. Der Alltag alleine fordert. Die Strassen sind laut, dreckig und chaotisch, Taxis und Lastwagen quetschen sich durch die engen Gassen und Strassen, dazu kommen Roller, Strassenhunde und immer wieder Kühe. Die Häuser sind nah beieinander, die Gassen eng, so dass man sehr nahe beieinander lebt. Der Tag beginnt früh, wenn morgens um 4:30 Uhr im Tempel unter meinem Fenster Gebetsgesänge beginnen. Ein geschäftiges Klopfen um 6 Uhr verrät, dass die Nachbarin im Mörser Gewürze für das Curry verklopft. Hupend fahren die ersten Roller durch die Gassen. Dafür ist ab 9 Uhr Abends Ruhe, Restaurants schliessen und die Strassen leeren sich. Nun kommt die Zeit der Strassenhunde, die einsam oder in Rudeln durch die Gassen ziehen, und in regelmässigen Abständen mit lautem Gebell die Nachbarschaft wach halten.
Die Arbeit bei der „Kathmandu Post“ war hingegen etwas weniger spannend, als mein Alltag im Altstadtviertel Patan. Ich war in der Op-Ed-Redaktion und musste fünf Tage die Woche Meinungsartikel redigieren, und Essays und Kommentare von New York Times und Guardian zur Übernahme aussuchen. Das war von der Arbeit her wenig eher langweilig. Interessant war es aber, die verschiedenen Meinungsartikel von lokalen Politikern, Wissenschaftlern, Organisationen zu lesen und so einen Eindruck zu erhalten, was Nepal gerade beschäftigt, und wie darüber diskutiert wurde. Interessant war es auch, meine ArbeitskollegInnen kennenzulernen. Avasna, 27, hat in Delhi internationale Beziehungen studiert, spricht hervorragendes Englisch, wohnt bei ihren Eltern, wird von einem Fahrer zur Arbeit gebracht und wieder abgeholt und zu Hause kocht ein Koch die Mahlzeiten. Ihr Vater besitzt eine grosse Textilienfabrik. Oder Bijaya, 26, die Büromanagerin, die mir beim täglichen gemeinsamen Lunch die verschiedenen nepalesischen Snacks erklärt und mir von ihrem Ehemann und ihrer arrangierten Ehe erzählt. Oder Pranaya, der Features-Editor, der eben sein Studium in Urban Development in Wien und Paris abgeschlossen hat und der gerne lautstark und leidenschaftlich über fehlende Trottoirs und die schleichende Gentrifizierung von Kathmandu diskutiert. Was hingegen schade war: Die Op-Ed-Redaktion funktionierte leider komplett losgelöst vom restlichen Tagesgeschäft der Zeitung, so dass ich wenig Einblicke in den News-Betrieb erhielt, kaum Reporter kennenlernte und grundsätzlich nicht gross mitbekam, was es bedeutet, in Nepal als Journalist zu arbeiten. Dazu kam, dass ich selber nicht zum Schreiben kam, was ich doch recht vermisste.
Dafür konnte ich bei einem Projektbesuch mit dem Deza meine journalistische Neugier ganz ausleben, durfte ich die Delegation doch zu Gesprächen mit Ministern, mit Lokalangestellten und mit Programmteilnehmern begleiten und auch Fragen stellen. So habe ich viel über die politischen Realitäten in Nepal erfahren und viel über das Leben der ärmeren Bevölkerung ausserhalb Kathmandus. Mit vielen neuen Eindrücken und Notizen bin ich aus dieser Exkursion zurück nach Kathmandu gekehrt, einige davon habe ich an dieser Stelle bereits niedergeschrieben.
Diese neuen Eindrücke – aus Kathmandu, aus Janakpur, aus dem Trekkinggebiet Langtang – und die vielen Gespräche mit Kathmandu-Post-Kollegen, mit anderen Expats, mit den Deza-Mitarbeitern oder Lokalbevölkerung sind denn auch das, was ich an meinem Aufenthalt am meisten schätze. Sie haben mir gezeigt, wie viele unterschiedliche Sichtweisen auf Nepal und seine Probleme und Chancen es gibt. Dass es viele Missstände, politische, soziale und infrastrukturelle, gibt, aber auch viele Lösungsansätze. Dass es keine einfachen Lösungen, aber viel Optimismus und viel Selbstbewusstsein gibt. Und dass man das Nationalgericht Daal Bhat tatsächlich sieben Mal pro Woche essen kann.
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