Georgien wählt ein neues Staatsoberhaupt

Um das Präsidentenamt kämpfen zwei Kandidierende, die beide mächtige Unterstützer im Hintergrund haben. Das dämpft die Begeisterung für die Wahl bei der Bevölkerung. Die politischen Ereignisse tangieren meinen Redaktionsalltag indes kaum.  

Vor knapp zehn Tagen bin ich in der georgischen Hauptstadt Tiflis gelandet. Meine Ankunft am 28. Oktober fiel direkt auf den Tag der Präsidentschaftswahlen, von denen – zumindest ist das mein Eindruck aus der Ferne – in der Schweizer Presse kaum die Rede ist. Hier hingegen ist es das alles dominierende Thema. Umso mehr, als der erste Wahlgang keinen Sieger hervorbrachte und es am 2. Dezember zu einer Stichwahl kommt. 

Schlange vor einem Wahllokal in Tiflis. Die Wahlbeteiligung betrug knapp 50 Prozent. Foto: Martina Polek

Fingerkontrolle vor den Wahllokalen  

Dank meiner Gastgeberin konnte ich den ersten Wahlgang hautnah miterleben. Ich durfte sie nämlich ins Wahllokal begleiten. Dieses befand sich in einer Schule, unweit von ihrer Wohnung. Die Stimmung unter den Wahlhelferinnen und -helfern war gelöst. Mit Hilfe von UV-Licht (wie ich vermute) leuchteten sie jedem Wähler auf die Finger und kontrollierten auf diese Weise, ob er oder sie nicht bereits in einem anderen Wahllokal abgestimmt hat. Dabei muss nämlich jeder seinen Fingerabdruck hinterlassen und das Pulver, das dazu verwendet wird, ist unter dem UV-Licht nachweisbar, auch wenn es von blossem Auge nicht zu sehen ist. 

25 Kandidatinnen und Kandidaten stellten sich zur Wahl. Die meisten von ihnen erhielten kleinere Stimmenanteile von wenigen Prozentpunkten. Mit Abstand am meisten Stimmen erhielten die unabhängige Kandidatin Salome Zurabischwili und Grigol Waschadse von der Oppositionspartei «Vereinte Nationale Bewegung». Beide erhielten beinahe gleichviele Stimmen, nämlich je rund 38 Prozent. Somit treten die beiden in einer Stichwahl anfangs Dezember gegeneinander an. 

Wahlplakate des Oppositionellen Grigol Waschadse. Foto: Martina Polek

Marionetten zweier mächtiger Strippenzieher? 

Bei den Menschen, mit denen ich darüber spreche – Redaktionskolleginnen, meine Gastgeber und deren Bekannte – ist wenig Begeisterung für die zwei Kandidaten zu spüren. Denn beide werden überspitzt ausgedrückt als Marionetten zweier Männer empfunden, die aufs herzlichste miteinander verfeindet sind.

Die unabhängige Zurabischwili wird von der Regierungspartei «Georgischer Traum» unterstützt. Die Partei dominiert seit ein paar Jahren die Politlandschaft, verfügt dank Koalitionspartnern über eine solide Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, stellt sämtliche Minister und den politisch sehr einflussreichen Premierminister. Ihr Gründer und Vorsitzender ist der mächtige Oligarch Bidzina Ivanischwili. 

Salome Zurabischwili ist in Tiflis omnipräsent. Foto: Martina Polek

Der Kandidat der Opposition wiederum ist Mitglied der Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Micheil Saakaschwili. Dieser lebt seit mehreren Jahren im Exil, da er in seiner Heimat wegen Machtmissbrauch zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Saakaschwilis Präsidentschaft zeichnete sich damit aus, dass er einerseits entschieden die Korruption im Land bekämpfte, andererseits 2008 einen Krieg gegen Russland provozierte. Während den fünftägigen Gefechten, die beinahe bis zur Hauptstadt Tiflis vordrangen, wurden über 200 Zivilisten getötet und tausende Georgierinnen und Georgier aus der abtrünnigen Provinz Südossetien vertrieben. Russland schickte damals zur Unterstützung Südossetiens eigenes Militär und hat in der Zwischenzeit als eines der wenigen Länder dessen Unabhängigkeit anerkannt. Der Fall liegt aktuell dem Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte vor.

Während die einen befürchten, mit der Wahl des Oppositionskandidaten Waschadse werde sich das Verhältnis zum übermächtigen Nachbarn Russland weiter verschlechtern, können sich viele aber auch nicht mit Salome Zurabischwili identifizieren. Sie sei bloss eine weitere Schachfigur des Oligarchen Ivanischwili, glauben sie. Zudem stört es die Menschen, dass sie nicht gut Georgisch spricht, da sie in Frankreich aufgewachsen ist und erst als Erwachsene nach Georgien kam. 

Kein anderer Kandidat bedeckt so viel Werbefläche wie die von der Regierung unterstütze Salome Zurabischwili. Foto: Martina Polek

Statt Wahlen bestimmt georgisches Essen den Redaktionsalltag 

Die Präsidentschaftswahlen tangieren meine Arbeit auf der Redaktion des «Georgian Journals» bis jetzt nur sehr am Rande. Das englischsprachige Online-Magazin ist auf eine ausländische Leserschaft ausgerichtet. Ein Redaktor und eine Redaktorin (beide Mitte zwanzig) sind ganz alleine für den Inhalt des Magazins verantwortlich. Täglich müssen etwa fünf Beiträge raus, da bleibt selten Zeit für politische Analysen und/oder gesellschaftliche Hintergründe. So fokussiert sich das Team vor allem auf Themen zur Georgischen Küche und Kultur, Gesellschaft sowie zum boomenden Tourismus. 

Einerseits bedaure ich das, geschieht doch im Land gerade politisch so viel Spannendes. Andererseits könnte ich bei solchen Themen als Reporterin nur wenig beitragen. Der Grund ist die Sprachbarriere. Wer nicht der georgischen Sprache und des kryptischen Alphabets mächtig ist, hat es als Journalistin nicht leicht. Umso mehr freut es mich, dass in diesem jungen Team ohne festgefahrenen Gewohnheiten und Strukturen vieles möglich ist und ich immer wieder neue Onlinetools kennenlerne. Und eben weil alles so flexibel ist, bin ich gespannt, was sich in den nächsten Wochen sonst noch so alles entwickeln wird bei meiner Arbeit auf der Redaktion.

Mein Arbeitsplatz beim Palitra Medienkonglomerat, zu dem auch das Georgian Journal gehört. Foto: Martina Polek

Was ich ebenfalls sehr schätze, ist der Kontakt zu Berufskolleginnen und Kollegen, denen ich Löcher in den Bauch fragen kann. So habe ich erfahren, dass der Präsident in Georgien die aussenpolitische Ausrichtung des Landes stark beeinflusst. Der Entscheid der Stichwahl wird somit weitreichende Konsequenzen für die Zukunft Georgiens haben. Denn dessen Schicksal ist stark von den Beziehungen zu Russland abhängig und daran wird sich so bald auch nichts ändern. Sehr zum Missfallen der meisten Georgierinnen und Georgiern. 

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