Handyfotos, Hautpflege und Helm
„Ich weiss nicht, wie ich dir das sagen soll, aber die Leute hier…“ Meine neue Chefin lächelt verlegen und druckst herum. Viele der anderen Mitarbeitenden seien nicht sonderlich an ihr interessiert, sagt sie schliesslich. Sie arbeite aber auch erst seit 11 Monaten hier, andere seit Jahren. Ich seit einer Stunde. „Sowieso sind die Nepales:innen eher schüchtern“, meint sie und versucht im Grunde, mir zu sagen, ich solle es nicht persönlich nehmen, wenn die anderen Redaktionsmitglieder nicht auf mich zukämen und ich hier keine Freund:innen finden würde. Dafür sei das Culture & Lifestyle-Team sehr nett, fügt sie hinzu. Meine Frage, ob man hier nach Redaktionsschluss jeweils noch zusammen etwas trinken gehen, erübrigt sich.
Das Culture & Lifestyle-Team besteht seit Kurzem nur noch aus ihr, einem Reporter und einer Praktikantin. Und ab diesem Tag auch aus mir. Vor einigen Wochen seien viele Leute entlassen worden, weil es gerade nicht so gut laufe. Die Werbeeinnahmen der Kathmandu Post seien gesunken. Bis auf einen wurden anscheinend auch alle Fotograf:innen entlassen. „Ach ja?“ Ich schaue sie erstaunt an und sie fügt hinzu: „Und dieser eine Fotograf ist gerade in Gaza.“ Während sie die Situation schildert, lacht sie ab der Absurdität dessen, was sie gerade erzählt. Es gibt also gar keine Fotograf:innen, nicht mal Freelancer:innen. Entweder wir fotografieren mit unseren Handys (im Falle meiner Kamera leider keine Option) oder wir bitten die Leute, mit denen wir für die Artikel reden, um Bildmaterial. Klingt anstrengend, denke ich.
Worin denn meine primären Interessen beim Schreiben liegen würden, fragt mich meine Chefin. Politik, soziale Gerechtigkeit, soziale Bewegungen, so was, erkläre ich. Als wir kurz darauf die Culture & Lifestyle Seiten durchgehen und bei einem Artikel für Hautpflege angelangen, sieht sie mein Gesicht und meint: „Keine Sorge, du musst nicht darüber schreiben.“ Wenn ich das richtig verstehe, erscheinen jede Woche Artikel über Hautpflege. Wie kann dieses Thema so viel hergeben?! Ich werde es wohl zum Glück nie herausfinden müssen, aber in der Culture & Lifestyle Abteilung bleibe ich auf jeden Fall. Wie ich hier gelandet bin, ist mir nicht ganz klar, vielleicht liegt es einfach an der Unterbesetzung der Redaktion.
Ein Tag frei pro Woche
Meinen Start bei der Kathmandu Post könnte man wohl als etwas holprig bezeichnen. Als ich überdies feststelle, dass das Wochenende nur aus einem Tag besteht und der Sonntag folglich ein Arbeitstag ist, lässt das meine Stimmung nicht gerade steigen. Aber meine Chefin ist nett und ich denke mir okay, Kultur interessiert mich ja schon, insbesondere Musik. Nicht zwangsläufig, um darüber zu schreiben, aber das kann sich ändern, das heisst: Das wird es jetzt einfach. Ich könne auch über politische Themen schreiben, meint der Chief Editor später in einem Gespräch, ich solle ihm meine Ideen einfach pitchen. Falls ich neben all den Artikeln, die ich nun jede Woche schreiben soll, jemals Zeit haben werde, darüber nachzudenken, werde ich das auf jeden Fall tun.
Okay, dann mal los. Ich schlage meiner Chefin vor, einen Beitrag über das diese Woche beginnende Jazzfestival in Kathmandu zu schreiben. Sie findet die Idee gut und schlägt vor, dass ich auch mit Künstler:innen spreche, die dieses Jahr auftreten.
Bei einem Blick auf das Programm sehe ich, dass eine schweizerisch-südafrikanische Jazz-Combo unter der Leitung des Schlagzeugers Dominic Egli spielt. Ich schreibe zwei Jazzer-Freunde an und erhalte innerhalb von 10 Minuten seine Nummer. Eine halbe Stunde später schreibt mir Egli, er sei gerade am Flughafen und wir könnten uns gerne am nächsten Tag treffen. Ich telefoniere rum und schaffe es, für den nächsten Tag auch einen Interviewtermin mit einem der Festival-Gründer und Organisatoren zu vereinbaren.
Und da ist sie auch schon, die Freude! Sie steigt zusätzlich, als ich hinten auf einem Motorradtaxi sitze und halsbrecherisch durch Kathmandu rase, auf dem Kopf meinen neuen Helm mit der Aufschrift „Bunny“, im Rucksack mein Notizheft mit viel zu vielen Fragen. Ich habe schon unbestritten den besten Job der Welt.
Als ein paar Tage später mein Artikel über das Jazzmandu erscheint, bin ich zwar etwas befremdet vom Titel und von einigen der Formulierungen, die mir reinredigiert wurden, aber schon auch: ziemlich stolz. Und obwohl Sonntag ist, fühle ich mich seltsam motiviert und aufgeregt, als ich wieder auf einem Motorrad durch den Verkehr in Richtung Büro fahre.
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