Im Bermudadreieck der Entwicklungshilfe II

Infastruktur zu bauen ist die einleuchtendste Art, die Entwicklung der Landbevoelkerung zu foerden. Aber was nuetzt eine neue Schule, wenn der Lehrer die Landessprache nicht beherrscht und seinen Lohn seit Wochen nicht erhalten hat? Unterwegs mit zwei Beratern der Entwicklungsindustrie.

Die Anzeichen fuer den wachsenden Wohlstand der Privilegierten in Laos sind alles andere als subtil. Der Leiter des Community Developments in der Provinz Luang Prabang hat einen neuen Gelaendewagen mit ungenutzter Ladeflaeche. Der schmaechtige Mann springt aus seiner Fahrerkabine wie von einem Hochsitz. Tai bekommt von ihm einen Handschlag, Bian und ich einen respektvollen Noop mit angewinkelten Armen. Eine goldene Uhr blitzt kurz unter dem weissen Hemdsaermel des Beamten hervor. Das Gebaeude, vor dem wir stehen, wurde kuerzlich renoviert und ist einige Nummern grosser, als anderem Bueros der oertlichen Behoerden. Schliesslich kann man sich in einer Stadt, deren historisches Zentrum zum Unesco-Welterbe zaehlt, nicht lumpen lassen. Teamleader Tai wird all diese Beobachtungen spaeter bei einer Nudelsuppe scheinbar beilaeufig erwaehnen und dazu nachsichtig laecheln. Der vietnamesische Berater hat ein feines Sensorium fuer die kleinen Statusunterschiede zwischen den Funktionaeren des kommunistischen Staates.

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Spaeter, im Buero der Provinzverwaltung: Wenn Tai aufmerksam zuhoert, dann schliesst er die Augen. Das ist anfangs etwas gewoehnungsbeduerftig, denn er sieht jeweils aus, als wuerde er einen kleinen Powernap in der U-Bahn halten. Nun reibt er sich mit zwei Fingern die Druckstelle, die seine Brille auf dem Nasenruecken hinterlassen hat und neigt sich in meine Richtung. “Die Maenner haben ganz bestimmt keinen Kindergarten vorgeschlagen. No way”, raunt er mir zu, ohne die Augen auch nur einen Spalt weit zu oeffnen. Zum Uebersetzer sagt er: “Haettest Du die Guete, die Dame zu fragen, wer diese Daten wann und wie erhebt und wer kontrolliert, dass die Zahlen auch wirklich stimmen?” Der Uebersetzer, ein junger Laote mit Englischmaster frisch von der Universitaet, wiegt unsicher den Kopf. Tai formuliert seine Frage neu. Der Uebersetzer schaut ratsuchend quer durchs Buero zum zweiten Uebersetzer, der seinerseits mit einem Sachbearbeiter gestikuliert. Tai versucht erneut zu erklaeren, was er wissen will. Er tut es anhand eines einfach formulierten Beispiels. Auf diese Art ein Interview zu fuehren, ist zeitraubend. Tai blickt auf seine Uhr. Zum erstenmal in den drei Tagen, die wir zusammen verbracht haben, erlebe ich ihn ungeduldig. Noch zwei Interviews bis zur mittaeglichen Nudelsuppe und dabei ist es schon 10 Uhr. Wir haben noch keine brauchbaren Informationen dazu erhalten, wie der von der Weltbank und der Deza verfolgte Ansatz des “Community Driven Development” (CDD) hier umgesetzt wird.

Hmong-Maenner, die sich fuer den Bau eines Kindergartens einsetzen? – No way

Das Interview fuehren wir in einem kleinen Buero der regionalen Behoerden, in dem die PRF-Mitarbeiter untergebracht sind. Der PRF ist entlang des laotischen Verwaltungsapparates organisiert: Ganz oben auf nationaler Stufe, dann Provinz, Distrikt, Koumban (ein Cluster aus verschiedenen Doefern) und dann das Dorf. Das Geld kommt von ganz oben. Die Organisation und saemtliche Regelwerke ebenfalls. PRF hat sich gegenueber den Geldgebern zum Prinzip der Gemeindebeteiligung, CDD genannt, verpflichtet. Das heisst: In welche Infrastruktur investiert wird, entscheiden die Gemeindemitglieder auf regelmaessigen Versammlungen. Dort muss mindestens eine Person pro Haushalt vertreten sein, mindestens aber 40 Prozent Frauen. Darueber hinaus soll in gemischt ethnischen Doerfern den Wuenschen der Minderheit mehr Gewicht gegeben werden.

Im Buero des Distrikts, in dem wir gerade sitzen, werden offenbar Daten zu den Abstimmungen in den Doerfen gesammelt, ausgewertet und nach oben geliefert. Tai zweifelt an der Qualitaet der Zahlen. Erstens wird gar nicht erfasst, zu welcher ethnischen Gruppe die Dorfbewohner gehoeren. Zweitens sind wir bei Stichproben auf wenig plausible Faelle gestossen: Da ist etwa jener vom Kindergarten, der angeblich von den Maennern vorgeschlagen wurde. Oder das Dorfmeeting, bei dem die Bewohner mit grosser Mehrheit von sich aus ein Solarpanel vorgeschlagen und darueber abgestimmt haben sollen. Schwer nachvollziehbar in einem Dorf fernab der Zivilisation, wo die meisten Bewohner weder Schreiben noch Lesen koennen und noch nie in ihrem Leben einen Lichtschalter bedient haben. Tai will mehr Informationen von der Sachbearbeiterin. Es handelt sich um eine bildschoene Laotin mitte Zwanzig, die einen blass-lila Sin und einen streng frisierten Dutt traegt. Sie wirkt eingeschuechtert und nervoes. Wenn sie auf laotisch antwortet, sieht sie stets mich an statt Tai oder den Uebersetzer. Ich bedauere sie etwas. Da kommt in aller Fruehe so eine schweigende Langnase und ein furztrockener Vietnamese im Anzug, der kritische Fragen zu ihrer Arbeit stellt, die sie nicht zu verstehen scheint. Oder der Uebersetzer versteht vielmehr die auf englisch stellten Fragen nicht.

Ob ich noch was wissen wolle, fragt Tai ploetzlich, er kaeme so nicht mehr weiter. Etwas ueberrumpelt vom unerwarteten Verlust meines Beobachterstatus blicke ich auf den Bildschirm der Sachbearbeiterin. Ich bitte sie, den Fall mit dem Solarpanel nochmals zu erklaeren. “Wurde so etwas tatsaechlich installiert?” frage ich. Der Uebersetzer uebersetzt. Die junge Frau nickt. “Wie viele?” frage ich. Die Sachbearbeiterin sortiert die Tabelle: Es seien insgesamt 20 Solarpanels. So viele haetten die Provinzbehoerden fuer das naechste Jahr in verschiedenen Doerfern geplant, erklaert sie. Wir schauen die Eintragungen genau an: Das registrierte Abstimmungsdatum ist ueberall dasselbe. Die Zustimmung der Doerfer ist ueberall gleich hoch – ueber 80 Prozent. Tai schaut mich an und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch.

Vepflegung: Frittierte Grillen und Schweinsschnauzen

“Das passt in etwa zu meiner Hypothese”, erklaert er mir am Abend dieses langen Tages, als wir auf die Mekong-Faehre warten, die uns nach Luang Prabang bringt. “Die Investitionen in Infrastruktur reflektieren nicht den Willen der Dorfbevoelkerung, sondern den Willen der Behoerden.” Tai hat an der London School of Economics Entwicklungsoeonomie studiert. Er arbeitet seit fast zehn Jahren als Berater fuer die internationale Entwicklungsindustrie. Er ist ziemlich hell auf der Platte und hat einen Hang zu komplizierten Saetzen. Was er tatsaechlich meint, ist: Die Sache mit der Gemeindebeteilung, vollmundig CDD genannt, ist eine Farce. Klingt hervorragend in der Theorie, wird aber aus verschiedenen Gruenden nicht oder nur im sehr kleinen Rahmen umgesetzt. “Aber ist es nicht schon ein Erfolg, wenn die ethnischen Minderheiten und die Frauen realisieren, dass sie politische Rechte haben?” wende ich ein. Tai laechelt sein nachsichtiges Laecheln. “Sicher, sicher…” sagt er. Doch so lange Bewusstsein fuer die Probleme der ethnischen Minderheiten oder Fragen der Gleichberechtigung bei den laotischen Behoerden nicht vorhanden sei, nuetze das wenig. Was aber nicht heisse, dass er komplett gegen diese Art von Entwicklungsarbeit sei, beeilt sich Tai zu sagen, im Gegenteil: “Laos braucht einfach noch mehr Zeit, um sich diese Idee anzueignen.”

 

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Vor dem Abendessen treffen wir uns, um den naechsten Tag zu besprechen. Bian gibt zu bedenken, dass es beim Besuch in einem abgelegenen Hmong-Dorf Kommunikationsprobleme geben koennte, weil speziell die Frauen, die zur Zielgruppe der Studie gehoeren, kein laotisch sprechen wuerden. Ausserdem muessten wir frueh losfahren, die Strasse sei in sehr schlechten Zustand. Wir verabreden uns fuer fuenf Uhr vor unserem Gasthaus. Dann beginnt, wie jeden Abend, der soziale Teil der Mission. Es wird Beerlao mit Eis gereicht, dazu gibt es Snacks (geroestete Erdnuesse und frittierte Grillen). Ich lange zu, es gilt meinen Kalorienbedarf fuer den kommenden Tag zu decken, wenn es im Urwald wieder blanken Klebreis, Suppe mit Schweinsschnauzen und allerlei anderen Schlachtabfaellen zu essen gibt. Nach einem ausgedehnten Abendessen und schmalzigen Karaoke-Einlagen der beiden Uebersetzer, nimmt mich Tai zur Seite. Er hatte schon ein paar Flaschen Beerlao und kaut auf einer Ferkelklaue herum, als waere es eine Lakritzstange. Zuerst fragt er mich, ob ich auch finden wuerde, dass wir mit unserem Uebersetzer auf keinen gruenen Zweig kommen. Ich bestaetige den Eindruck, gebe aber zu bedenken, dass es fuer jeden schwierig sein koennte, dieses sehr spezielle Englisch zu uebersetzen. Selbst fuer einen, der die Sprache gut beherrscht. Dieses Sozialmanagement-Kauderwelsch dem Bewohner in einem abgelegenen Hmong-Dorf zu erklaeren, ist sicher nicht die leichteste Uebung. Tai nickt zustimmend. “Also, willst Du mitarbeiten?” fragt er unvermittelt. Das Eis scheint gebrochen, ich bejahe. “Gut, dann schicke ich Dir den Interviewleitfaden. Das Schriftliche machen wir. Kannst Du Dich bis morgen vorbereiten?” Es ist halb zwei Uhr morgens, ich bin stark angetrunken und muss bis fuenf Uhr ein zwanzigseitiges Manual auf Entwicklungs-Volapueck durchlesen. Es koennte nicht besser laufen.

Am naechsten Morgen sitzt bereits ein neuer Uebersetzer mit uns im Auto. Der weitere Plan hat sich ausserdem kurzfristig geaendert. Tai muss nochmals zur Verwaltung, um die sich die Statistik abermals erklaeren zu lassen. Bian und ich reisen zusammen mit dem Uebersetzer und einer Deza-Praktikantin, die Hmong beherrscht, in den Urwald. Nach etlichen Stunden mit unserem radpanzerartigen Gefaehrt ueber Motocross-Pisten sind wir alle komplett am Anschlag. Der Dorfaelteste wirkt im Vergleich zu uns frisch wie ein Teenager und begruesst jeden einzelnen ueberschwaenglich. Er scheint den Zweck unseres Besuches missverstanden zu haben. Jedenfalls wartet ein Spalier von froehlichen Kindern in festlichen Hmong-Trachten auf uns. Sie uebergeben uns farbige Blumen aus dem Urwald. Als einziger Falang in der Gruppe sorge ich in den abgelegenen Doerfern stets fuer einiges Aufsehen. Es ist so gut wie unmoeglich, kurz unbesehen im Urwald zu verschwinden, um meinen menschlichen Beduerfnissen nachzugehen. Stets habe ich neugierige Blicke am Hintern. Meine Anwesenheit wird vor allem von den Goofen ausgiebig bekichert. Ich schneide dann ein paar voelkerverstaendigende Grimassen, um ihren Erwartungen an einen monstroesen Falang zu entsprechen. Was sie mir mit Jauchzen verdanken. Die Kinder in Laos, egal ob sie nun von ethnischen Gruppen stammen, oder von der Mehrheit der Lao Loum, sind viel offener und freundlicher gegenueber Fremden, als Schweizer Kinder. Hier wird der Nachwuchs von den Eltern zu ausgiebigen sozialen Kontakten ermuntert.

 

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Warum Frauen Mitspracherechte geben, wenn ihnen Bildung verwehrt bleibt?

Unsere Dorf-Besuche, die Interviews mit Frauen der ethnischen Minderheiten, unsere Fragen an die Dorfaeltesten und die Organisatoren der Meetings zeigen ueberall das gleiche Bild: Die Dankbarkeit fuer eine neue Schule, eine Strasse, eine Wasserpumpe ist gross. Ihr Wert fuer die Lebensqualitaet ist hoch. Mit der Wasserversorgung etwa werden vor allem die Frauen entlastet, die insgesamt immer noch die groessere Arbeitslast tragen, als die Maenner. Etwa, weil sie Wasser ueber weite Strecken herbeitragen muessen. Doch was nuetzt eine neue Schule, wenn der vom Staat entsandte Lehrer unqualifiziert ist, leidlich laotisch spricht und seinen Lohn seit Wochen nicht erhalten hat? Was fuer einen Sinn ergibt es, dass die Primarschule (abgesehen von Schulmaterial und einer Pauschale fuer den Unterhalt des Schulgebaeudes) kostenlos ist, wenn sich dafuer die meisten Familien der ethnischen Minderheit die Sekundarschule nicht leisten koennen? Und was bringt es, den Frauen Mitspracherechte zu gewaehren, wenn die Maenner es nicht zulassen, dass ihre Frauen sich zu weit vom Haus entfernen und ihre Toechter die Sekundarschule im Nachbardorf besuchen? Was bringt es, Strassen zu bauen, um den Marktanschluss fuer die Bauern zu verbessern, wenn diese kaum wissen, wie man das Hochland landwirtschaftlich effizient nutzt? Erschwerend kommt hinzu: Die Angestellten des von der Regierung verwalteten Fonds machen keinen Hehl aus ihrer Geringschaetzung fuer die Dorfbewohner. Ungebildet seien sie, der Geisterglaube verneble ihnen den Verstand, sagte einer der PRF-Mitarbeiter goennerhaft lachend. Wir koenne man diesen Leuten zutrauen, ueber Investitionen abzustimmen, geschweige denn, das Budget selber zu verwalten?

Nach zwei Wochen Mission mit den Beratern koennte ich Buecher fuellen mit skurrillen Erlebnissen und seltsamen Begebenheiten der laotischen Vorstellung von Entwicklungspolitik. Vor allem aber habe ich erfahren, wie heikel es ist, in den staatlichen Topf eines kommunistischen Staates einzubezahlen, der das Geld dann nach eigenem Gutduenken zur Armutsbekaempfung einsetzt. Ich bin jedenfalls gespannt auf den Bericht der vietnamesischen Berater. Also vor allem darauf, ob man mir die Lektuere ueberhaupt zutrauen wird.

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