Journalismus zwischen Himmel und Hölle

Blick Richtung Süden über den Yangon River von einer Rooftop-Bar im Stadtzentrum.

Dass sich die Behörden in einem Land, das erst seit sieben Jahren so etwas wie Pressefreiheit (mit gewichtigen Ausnahmen) kennt, keine Transparenz-Ziele nach westlichem Vorbild stecken: kaum überraschend. 

Dass die Informationsbeschaffung über informelle Kanäle hier, wo nur eine kleine Minderheit gut Englisch spricht, harziger ist als daheim: geschenkt. 

Aber dass die Medienstellen von drei der vier milliardenschweren Mobilfunk-Gesellschaften im Land meine Anfragen trotz mehrfachen Insistierens während zwei Wochen nicht beantworten? Erlaubte sich das ein Swisscom-Sprecher, wäre er seinen Job los. 

Der chauvinistische Zuhause-würde-das-nie-passieren-Reflex ist im Arbeitsalltag in Myanmar ständiger Begleiter. Aber dafür bin ich ja hier. Um zu erleben, dass Journalismus in anderen Weltregionen Fischen in trüben Gewässern bedeutet.

Seit drei Wochen arbeite ich jetzt auf der Redaktion des «Frontier Myanmar», eines Magazins im Zweiwochen-Rhythmus mit dem Anspruch, zu diesem verworrenen, explosiven Land die Hintergründe liefern. Obwohl seit 2010 formell eine parlamentarische Demokratie, gibt hier in zahlreichen Bereichen in der Praxis immer noch das Militär den Ton an. Nicht nur in den übers ganze Land verteilten bewaffneten Konflikten mit Minderheiten – allen voran der ethnischen Säuberung in der Rohingya-Krise – , aber auch in mehreren Wirtschaftssektoren.

Der Name ist Programm: Der «Frontier» gilt als das Medium Myanmars, das am ehesten Unbequemes anpackt.

Recherche geht hier anders

Trotz dieser ungewohnten Umstände erhoffe ich mir durch Wahl meines ersten Recherche-Themas – einer Analyse der Situation im Telekommunikations-Markt – ein Heimspiel. Schliesslich habe ich mich schon in der Schweiz intensiv mit ihm auseinandergesetzt. 

Doch wie vorgehen? Hier gibt‘s keine Mediendatenbank, mit deren Hilfe ich mich in ein Thema einlesen kann. Stattdessen stehen im Netz haufenweise kontextlose Abschriebe der Konzern-Communiqués durch die Konkurrenz, der oft die Mittel zu einordnendem Wirtschaftsjournalismus fehlen. Analysen, an denen ich meine Recherche aufrichten könnte? Hat bisher noch keiner veröffentlicht. Und eben, drei der vier angeschriebenen Firmen fühlen sich nicht einmal zu einer Antwort bemüssigt. 

Immerhin reden ausländische Experten, die sich mit dem burmesischen Markt befassen, mit mir; kaum wird‘s aber knackig, geht es zum Beispiel über islamophobe Aufrufe durch buddhistische Mönche zum Boykott eines Anbieters, will sich aus Angst vor den Konsequenzen doch keiner zitieren lassen.

Nimmt man die Verkehrssituation (Staus!) und dem Klima (entweder Sintflut-Monsun oder Mörderhitze) dazu, kann dem an helvetische Effizienz gewöhnten Neuling die Recherche zur Hölle werden. Klingt schlimm, ist‘s manchmal auch – aber genauso oft auch überhaupt nicht. 

Pionierarbeit

Die andere Seite der Medaille ist nämlich, dass das beschriebene Chaos Ausdruck rasend schneller Veränderungen im Land ist. Und dass der Mangel an bisheriger Recherche zum Thema mir die Möglichkeit gibt, ein Feld ganz neu zu erkunden. Wo kann man sich sonst so austoben?

Beispiel Telekommunikation: Während der Markt in der Schweiz stagniert und es entsprechend wenig Spektakuläres zu schreiben gibt (klar, es gibt Ausnahmen),  ist er hier ist in den letzten Jahren explodiert: Vor der Liberalisierung im Jahr 2013 konnte sich noch kaum einer ein Natel leisten, heute dafür fast alle.

Hier spielt die Musik: Die “mobile penetration” in Myanmar ist in den letzten Jahren explodiert, wie der Chef des Departements für Telekommunikation an der Konferenz “Myanmar Connect” ausführte.

Lange galt der Sektor darum aus Investorensicht als einer der attraktivsten der Welt. Heute jedoch besitzen die meisten Konsumenten, die eine gewisse Kaufkraft haben und damit für die Konzerne attraktiv sind, schon ein Natel. Folge: Der Markt nähert sich der Sättigung, Wachstum ist nur noch durch Verdrängung zu erreichen, die die Konzerne mit tieferen Preisen zu erreichen versuchen. Entsprechend hat sich der Druck auf Umsätze und Gewinne verschärft, wie ein Blick in die Bücher der Konzerne zeigt.

Goldrausch und Ernüchterung innert sechs Jahren: Myanmars Telekommunikations-Markt entwickelt sich so schnell wie kaum anderer auf der Welt. Die Grafik zeigt ausgewählte Zahlen der zwei börsenkotierten Anbieter, deren Bilanzen öffentlich sind.

Als ich diese durchstöbere, scheint es mir, als habe sich in den letzten Jahren kein Journalist damit beschäftigt – kein Medium hat die Zahlen je publiziert. Was für ein Vergleich zur Schweiz , wo sich die Wirtschaftspresse gierig auf jeden noch so langweiligen Quartalsbericht stürzt. 

Hier passiert also nicht nur enorm viel, sondern hier sind auch ein Haufen interessanter Personen nicht interviewt, Themen nicht bearbeitet und Fragen nicht gestellt worden. Der Titel «Frontier» – Englisch für Grenze – scheint echt zu passen.

Members statt bloss Leser: Statt nur zu senden, will der Frontier neu interagieren.

Das ist ein Traum für Journalisten – und gleichzeitig natürlich keine Situation, die man Myanmars demokratischem Pflänzchen wünscht. Blöd bloss, dass auch hier die Werbeerträge an Facebook und Google wegbrechen – der «Frontier» versucht darum just in diesen Wochen, ein Mitgliedschafts-Modell nicht unähnlich jenem der «Republik» aufzubauen. Affaire à suivre.

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