Nichts wie weg!

Charmante Restaurants, neu genutzte Fabriken, Elektroclubs, die auch in Berlin bekannt sind. Was kann man mehr wollen? «Perspektive, Stabilität, Wirkungskraft», sagt Nana. Sie will weg aus Georgien. 

Demonstrierende vor dem Parlamentsgebäude in Tbilisi.
Nachdem die spontanen Proteste vom 20. Juni 2019 in Gewalt mündeten, veranstalteten die Organisatoren den ganzen Sommer über Diskussionen vor dem Parlament, die sie über Facebook-Live übertrugen. Für den 20. September haben sie wieder vors Parlament gerufen und angekündigt, nun jeden 20. im Monat zurück zu kehren.

Sie lebt ganz anders als so viele Georgierinnen um die 30: Nana. Sie ist nicht verheiratet, sie wohnt nicht mit der Grossfamilie zusammen, sondern mit ihrem Freund, Gigi, und die beiden haben (noch) keinen Nachwuchs. «Ich würde sowieso nicht wollen, dass meine Kinder hier aufwachsen», sagt Nana.

Georgien, so viel habe ich in den knapp zwei Monaten hier gelernt, ist ein zutiefst widersprüchliches Land. Oder wie der Autor David Gabunia sagt: «Es gibt hier unendlich viele Welten, die parallel existieren und sich nie berühren.»

Armut, Aufwertungsruck und Aufbruchsstimmung

In diesem Land gibt es zwar Nachtclubs mit Darkrooms, aber kaum ein homosexuelles Paar, das das Risiko eingeht, seine Zuneigung öffentlich zu zeigen. Auf der Strasse bekreuzigen sich die Menschen fortwährend. In den Spielcasinos geniessen Touristen aus dem arabischen Raum die Freiheiten des westlichen Lebens. Für die Russen ist Georgien eine Art Italien, ein warmer Sehnsuchtsort am Meer.

Zahllose alte Frauen – und viel weniger alte Männer – betteln in diesem patriarchalen Land, weil 200 Lari Rente (knapp 70 Franken) im Monat kein Überleben sichern. Gleichzeitig saniert die Stadt ganze Quartiere, wo die Mieten dann für Normalverdiener nicht mehr erschwinglich sind. Tbilisi wird gerade aufgewertet.

Auf besonders charmante Weise geschieht das zum Beispiel in der Fabrika, einem Hostel und Co-Working-Space. Im Innenhof reihen sich hippe Läden und Bars aneinander. Digitale Nomaden blinzeln ins Bildschirmlicht. Man hört viel Englisch, aber auch lokale Gäste kommen hierher. Hier zeigt sich Tbilisi jung, schön und wahnsinnig modisch. Mittendrin: Nana.

Von der Kindheit im Bürgerkrieg zur Zukunft in Europa

Sie trägt – wie viele hier – Erinnerungen an von Panzern zerfurchte Teerstrassen, Männer mit Gewehren und aggressive Hunderudel in sich. An Hausaufgaben im Schein der Öl-Lampe, an eine Kindheit ohne Elektrizität. Und sie denkt gerne an das fünf-tägige Technofestival in Portugal zurück, den Trip nach Berlin, die schöne Italienreise und auch an Tage in der Schweiz.

«Ich glaube, es war vergangenen Sommer in der Schweiz, als mir definitiv klar wurde, dass ich weg will», sagt Nana. Eigentlich hätte sie einen guten Job an einer Eliteschule. Sie verdient 700 Franken im Monat (der Durchschnittslohn liegt bei knapp 380 Franken). Aber sie ist überzeugt, dass die Politik in ihrem Land letztlich von Russland gesteuert wird, dass hier nur eine Chance hat, wer zu den vermögenden, mächtigen Zirkeln gehört. Dass all das Demonstrieren letztlich wirkungslos bleiben wird.

Gigi und Nana, Arm in Arm an den Protesten.
Gigi und Nana haben zwar die Geduld, aber nicht den Humor verloren.

«Ich will Stabilität und das jetzt!»

Aber weht da nicht gerade ein ganz frischer Wind durch das Nachtleben in ihrem Land? «Klar, aber was soll ich mit den immer gleichen Nächten in einem Technoclub?» Nana will nicht tanzen, Nana will sich etwas aufbauen. «Ich will Stabilität. Ich will, dass das Brot morgen gleich viel kostet wie heute und dass ich etwas erreichen kann, wenn ich mich anstrenge.»

Ihren Bachelor hat Nana in Amsterdam gemacht. Schon damals wäre sie gerne geblieben, fand aber keinen Job. Dieses Mal bereitet sie sich besser vor. Soeben hat sie einen Deutschkurs angefangen. Zwei Mal in der Woche, zweieinhalb Stunden. Zu Hause üben sie und Gigi weiter. In zwei Jahren will Nana ein Masterstudium in Deutschland anfangen.

Nanas und Gigis Freundeskreis ist voller Leute, die schon ausgewandert sind oder zumindest davon reden. Wer kann, geht. Der Brain-Drain ist ein grosses Problem für Georgien. Fühlt sie sich nicht verantwortlich, das Land mit aufzubauen? Sie habe viel demonstriert, sagt Nana, und nun habe sie die Geduld verloren: «Wann verbessert sich die Situation in Georgien endlich? Wenn ich 82 bin?! Ich lebe jetzt!»

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