«Obroni, you are invited»

Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages auf einen anderen Namen als meinen eigenen hören werde. In Ghana hat sich dies aber schnell geändert. Anfangs hatte ich meinen Spitznamen «Obroni» noch ignoriert, weil ich schlichtweg nicht wusste, was es bedeutet, und dass ich damit gemeint bin. Nach zwei Wochen und der freundlichen Aufklärung durch meine Arbeitskollegen, wurde mir dann bewusst, dass ich auf der Strasse und auch überall sonst im Alltag immer mit Obroni angesprochen werde. Obroni bedeutet «weisse Person». Natürlich falle ich als weisse, blonde und blauäugige Frau in Ghana auf. Und anders als ich anfangs dachte, sind die Zurufe auf der Strasse nicht etwa negativ konnotiert, sondern vielmehr positiv gemeint. Viele Menschen, die ich im Alltag antreffe, haben Freude mich zu sehen, möchten mir helfen, mit mir befreundet sein, mich manchmal auch heiraten oder mich einfach nur in ihrem Land willkommen heissen.

Ghanaer und die Gastfreundschaft

Die Gastfreundschaft in Ghana ist riesig. Dies merke ich besonders auch beim Essen. Egal wo, im Büro, bei Freunden zu Hause oder auf dem Markt, wenn irgendwo jemand eine Mahlzeit zu sich nimmt, heisst es meistens «you are invited». Und die Ghanaer meinen dies wirklich so. So ass mein Arbeitskollege Jeydolph beispielsweise Kenkey (fermentierter Mais) und Fisch zum Mittagessen und ich durfte von seinem Teller probieren. Das Essen hat mir so gut geschmeckt, dass ich danach jeden Freitag mit ihm Kenkey und Fisch gekauft habe und wir dies zusammen gegessen haben, natürlich ohne Besteck, sondern mit den Händen, so wie das hier bei den meisten lokalen Gerichten üblich ist.

Mit Jeydolph habe ich vor ein paar Wochen einen Ausflug nach Jamestown, dem ältesten Stadtteil von Accra, gemacht. Dort sind die Briten im 17. Jahrhundert erstmals angekommen. Heute ist es eines der ärmeren Viertel von Accra, mit Spuren aus der Zeit der Kolonialisierung. Es gibt noch viele Gebäude im britischen Stil, welche ziemlich zerfallen sind. Bekannt ist Jamestown für sein Fischerquartier. Dort wollten Jeydolph und ich nach einem Dreh ein Bier trinken. Als wir eine Bar gefunden haben, war der Besitzer gerade am Essen. Cassava (Maniokbrei) und Goatstew (Ziegeneintopf). Natürlich war ich auch hier wieder eingeladen. Das Essen war ein bisschen zu scharf für meinen Geschmack, aber die ghanaische Gastfreundschaft hat es wett gemacht. Die Frau neben der Bar hat frittiertes, gekochtes Ei mit Chili-Sauce verkauft. Als ich wissen wollte, was dies ist, hat sie mir ebenfalls eines angeboten. Auch dies hat mir erstaunlicherweise sehr gut geschmeckt und ich habe es auch Tage danach nicht bereut, diesen «Streetfood» probiert zu haben.

Mit der Dame habe ich mich dann auch noch versucht zu unterhalten. Die Amtssprache in Ghana ist Englisch, aber trotzdem sprechen nicht alle Englisch. Viele Menschen reden nur Twi oder Ga, ein Dialekt aus Accra. Die Dialekte sind je nach Region so unterschiedlich, dass ich es aufgegeben habe, Twi zu lernen. Nur wenige Worte wie «Medase» für «Danke» oder «Wo ho te sen?» für «Wie geht’s?» existieren in meinem Wortschatz. Diese sorgen aber immer wieder für ein Lächeln auf dem Gesicht meines Gegenübers. Ich kann die Ghanaer noch mehr für mich gewinnen, wenn ich ihnen nebst meinem richtigen Namen, der Rahel und nicht Obroni ist, meinen Akan-Vornamen verrate. Dieser ist Ama. Ich wurde nämlich an einem Samstag geboren. Die Akan sind eine Bevölkerungsgruppe aus Westafrika, welche nebst Ghana auch in der Elfenbeinküste verbreitet sind. Die Akan benennen ihre Kinder nach dem Wochentag, an dem sie geboren wurden.

Ama und Kwame

Das männliche Pendant zu Ama ist Kwame, und so heissen in Ghana ganz viele. Zum Beispiel Ghanas erster Staatspräsident Kwame Nkrumah, oder auch mein Chef bei Pulse Ghana. Einer der berühmtesten Akan-Namensträger ist wohl der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan. Er wurde an einem Freitag geboren.

Auf einem Ausflug in die Voltaregion habe ich wieder einmal gemerkt, wie wichtig diese Wochentage-Namen für die Menschen hier sind. Ich habe dort einen weiteren Kwame getroffen. Nach einer Wanderung auf Ghanas höchsten Gipfel, den Mount Afadjato auf 885 m ü. M., haben meine Freunde und ich in Kwames Laden Wasser gekauft. Er hat uns dann eingeladen das Wasser bei ihm zu trinken und uns seine Meinung zur Politik im Land erläutert. In Ghana sind nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen. Im November waren Vorwahlen und je ein Kandidat der rechts-konservativen und der sozial-demokratischen Partei wurden nominiert. Kwame ist Anhänger von Mahamudu Bawumia, dem Vizepräsidenten von Ghana und Mitglied der rechts-konservativen Partei «New Patriotic Party». Er wurde richtig euphorisch, als er uns von ihm erzählt hat, und verschwand dann kurze Zeit später in seinem Laden. Als Kwame zurückkam, hatte er ein anderes T-Shirt an. Auf seiner Brust trug er nun stolz das Foto von Mahamudu Bawumia und meinte dazu: «Er wird es schon schaffen.»

Kwame, Kwame und Ama. (Foto: Rahel Osterwalder)


Über die «New Patriotic Party» wird im Moment nicht nur gut geredet. Auch der amtierende Präsident Nana Akufo-Addo gehört dieser Partei an. Und viele geben ihm die Schuld für die aktuell schlechte Wirtschaftslage im Land. In Ghana herrschte bei meiner Ankunft im Oktober eine Inflationsrate von fast 40 Prozent. Überall wo ich hingehe, ist die Inflation das grosse Thema. Egal ob Taxifahrer, Unternehmer oder Verkäufer im Supermarkt, alle Menschen erzählen mir, wie schlecht es ihnen wirtschaftlich im Moment geht.

Obwohl Kwame und ich uns politisch nicht so einig waren, schien es zwischen uns trotzdem zu harmonieren. Als ich ihm nämlich erzählt habe, dass ich Ama heisse und wie er auch an einem Samstag geboren wurde, ist er so richtig aufgeblüht. Sein jüngster Sohn sei auch ein Kwame, wir wären also alles Schwestern und Brüder. Er wollte dann unbedingt ein Foto mit mir, seiner neuen Schwester, und seinem Lieblingssohn Kwame machen. Da ich dies seinem anderen Sohn gegenüber ein bisschen gemein fand, habe ich darauf bestanden, dass auch er aufs Foto darf. Leider habe ich vergessen, an welchem Tag der andere Sohn geboren wurde und wusste folglich auch seinen Namen nicht mehr. 

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