«Pascal, wie geht es dir?»

«Keefaak?» Ich wurde schon länger nicht mehr in der Toilette einer Bar angesprochen. In der Schweiz herrscht hier jeweils fast schon bedächtige Stille – ausser vielleicht, es ist bereits viel Alkohol geflossen. «Quaise», meine Antwort – gut gehe es mir. Der junge Mann hat ein freundliches Gesicht, fällt mir auf. Wir sprechen kurz miteinander. Dann meint er, dass ich sicher zurück zu meinen Freunden gehen möchte. Die vergangenen zwei Stunden damit verbringend, in einem tollen Buch über die Politik und jüngere Geschichte des Nahen Ostens zu lesen («Black Wave» von der libanesischen Journalistin Kim Ghattas), erwidere ich, ich sei alleine hier. Ob ich mich zu ihm gesellen dürfe, frage ich etwas schüchtern, etwas hoffnungsvoll.

Arabische Gastfreundschaft. (Photo: Pascal Studer)

So kam es, dass ich Ali kennenlernte. Und Alix. Und Amin. Und Mustafa. Und Malena. Und Megan. Und Kat. Denn aus einem Gespräch auf der Toilette einer Bar in Amman resultiert ganz schnell ein lustiger Abend. Dieser führt wiederum dazu, dass man sich einige Tage später in der Küche einer neu gewonnenen Freundin wiederfindet, und anfängt, sich in einer fremden Stadt zu Hause zu fühlen.

Eine Prinzessin lächelt mich an

In der Küche ist es warm und es duftet wunderbar. Ali bereitet vegetarisches Maqluba zu. Und der gebürtige Iraker ist nicht nur ein begnadeter Koch, sondern auch ein Helfer in der Not. Denn Minuten bevor ich die Wohnung betrete, surrt mein Smartphone. Es ist Rajeef Cherian, mein Mitarbeiter von der Jordan Times. Es tue ihm leid, dass er mich an meinem freien Tag störe – das Wochenende in Jordanien dauert übrigens jeweils von Freitag bis Samstag. Ob ich Zeit hätte, über einen diplomatischen Bazar zu berichten. Nach meiner Zusage erhalte ich die Einladung. Sie ist auf Arabisch. Und obwohl ich das Alphabet kenne und auch etwas schreiben kann: Mit Lesen tue ich mich noch immer äusserst schwer.

Ich knie mich rein, doch ich bin chancenlos. Da kommt Chefkoch Ali ins Spiel. Er übersetzt, auch mit etwas Mühe. Wie ich feststelle, unterscheiden sich die verschiedenen arabischen Dialekte im Maghreb und dem Nahen Osten teils doch erheblich.

Ali fasst zusammen: Viele Landesvertreter, einige Diplomatinnen und eine Prinzessin. «Ich werde also ein Mitglied des Königshauses treffen», denke ich und muss lachen. In Gegenwart wichtiger Leute bin ich nicht selten etwas tollpatschig. Wird schon gut gehen!

Ein royales Lächeln, direkt in meine Linse. (Photo: Pascal Studer)

Es stellte sich heraus, dass ich mich umsonst gesorgt habe. Der Bazar war nämlich nicht sonderlich spektakulär. Viele Ländervertretungen waren dort, die nationale Spezialitäten und Handwerkskunst anboten. Der Erlös vom Verkauf italienischer Pasta, indischer Kleidung oder südafrikanischer Weinflaschen geht dabei an eine lokale Stiftung, die jordanische Kinder in Not unterstützt. Die Prinzessin war die ganze Zeit von Journalistinnen und Sicherheitsleuten umringt. Ein Foto von ihr zu erhaschen, war gar nicht so einfach. Als ich meine Schnappschüsse auf meiner Nikon durchgehe, stelle ich schmunzelnd fest, dass Prinzessin Basma einmal direkt in meine Kamera lächelt.

Ein Pulverfass, das keines ist

An diesem Sonntag über einen Anlass zu berichten, der im Kleinen Gutes bewirkt, tut gut. Denn mir ist durchaus bewusst, dass zeitgleich nur ein paar wenige Autostunden in westlicher Richtung ein furchtbarer Krieg ausgebrochen ist. Mein Smartphone surrt seither regelmässig. Wie es mir gehe, wollen Freund:innen und Familienangehörige wissen. Ich schätze die Fürsorge, die mir entgegengebracht wird. Schreibe, dass es mir gut geht, dass man sich keine Sorgen machen müsse.

Gleichzeitig stelle ich fest, dass das Narrativ über den Nahen Osten in der Schweiz sehr spezifisch und fest verankert zu sein scheint. Ich spreche auch mit Ali darüber. Sage ihm, dass oft nur ein einziges Wort die riesige Weltregion von Kabul bis Kairo zusammenfasst: «Pulverfass». Ich sage ihm auch, dass sich Schweizerinnen und Schweizer oft nicht wirklich bewusst sind, dass Jordanien nicht der Jemen oder Amman nicht Damaskus ist. Wirklich überraschend finde ich das nicht. Denn die Metapher des «Pulverfasses» vereinfacht und verleitet allzu schnell dazu, beispielsweise das Künstlerviertel Al Weibdeh, wo ich wohne, in denselben Topf wie Gaza, Sanaa oder Teheran zu werfen.

Nachrichtensendung beim Gemüsehändler. (Photo: Pascal Studer)

Es ist allerdings nicht so, dass der Krieg bei den Leuten hier spurlos vorbeigeht. Im Gegenteil: Die Nachrichten laufen ununterbrochen, beim Gemüsehändler im Quartier, im Supermarkt, im Falafelladen. Auch die Bevölkerung Jordaniens ist sehr betroffen. Geprägt von verschiedenen Immigrationswellen in den vergangenen Jahrzehnten, hat ungefähr jede zweite Person in Jordanien palästinensische Wurzeln.

Und doch glaube ich, dass mich der Kriegsausbruch in der Schweiz mehr schockiert hätte als hier. Mit ein Grund ist sicherlich, dass ich derzeit vor Ort die wunderbare arabische Gastfreundschaft kennenlernen darf. Und für mein journalistisches Schaffen gleichzeitig mitnehme, mit Metaphern vorsichtig umzugehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert