Politik in Tunis – Treten an Ort

Seit Wochen tritt die tunesische Politik an Ort, Verhandlungen zur Lösung der Krise sind vor ein paar Tagen gescheitert. Nach einer Woche als Journalistin in Tunesien: ein Versuch die gegenwärtige politische Krise einzuordnen.

Von Christina Omlin

ANC Abstimmung August
ANC Abstimmung August 2013

40 Tage ist es her seit der Ermordung von Mohamed Brahmi. Der tunesische Oppositionspolitiker wurde vor seinem Haus erschossen, die Täter werden in den Kreisen der gewaltbereiten Islamisten vermutet. In diesen 40 Tagen ist die tunesische Politik in eine existentielle Krise geraten. Zehntausende haben auf der Strasse den Rücktritt der Regierung und der verfassungsgebenden Versammlung (ANC) gefordert. Die ANC ist seit 2011 die einzige vom Volk gewählte Institution und hat den Auftrag eine neue Verfassung auszuarbeiten.

Die provisorische Regierung aus drei Parteien, die allerdings von der islamistischen Partei Ennahda dominiert wird, weigert sich sofort zurückzutreten. Bisher funktionieren die Regierungsgeschäfte zwar, allerdings setzt die Ennahda überall ihre Leute an wichtige Positionen, als Gouverneure, in der Administration, in den staatlichen Medien. Die Opposition wirft ihr das und schlechte Regierungsführung vor und hat nach eigenen Aussagen jegliches Vertrauen in die Regierung verloren.

Die verfassungsgebende Versammlung ANC hat ihre Arbeit sistiert, etwa 60 der über 200 Delegierten haben die Versammlung ganz verlassen und sind bisher nicht dazu zu bewegen ihre Arbeit wieder aufzunehmen.

Bis vor ein paar Tagen liefen die Verhandlungen zwischen der jetzigen Dreiparteienregierung und der Opposition heiss. Drei Gewerkschaften und ein Anwaltsverband agieren als Vermittler und Mediatoren und sind in einer Art Pendeldiplomatie dauernd zwischen den beiden Lagern unterwegs. Die Verhandlungen wurden aber diese Woche abrupt abgebrochen, nachdem das letzte Angebot der Regierung, in einem Monat zurückzutreten und die Arbeit des ANC sofort wieder aufzunehmen von der Opposition als ungenügend zurückgewiesen wurde. Sie verlangt kategorisch den sofortigen Rücktritt der jetzigen Regierung und will eine Technokraten-Regierung errichten, die nächste Wahlen vorbereitet. Ein Expertengremium soll zudem anstelle des ANC die Verfassung ausarbeiten.

Proteste und Hungerstreik

Am 40. Todestag von Brahmi haben sich vor dem Sitz der ANC wieder zehntausende Tunesier versammelt, allerdings vermag die Opposition deutlich weniger stark zu mobilisieren als unmittelbar nach dem Attentat. Viele Menschen sind inzwischen von den Politikern beider Seiten zutiefst enttäuscht, weil sie es auch in 40 Tagen nicht geschafft haben einen Ausweg aus der jetzigen Krise zu finden. Einige Politiker des ANC sind laut der tunesischen Nachrichtenagentur TAP in einen Hungerstreik getreten.

Ökonomen und Zentralbanker weisen seit Tagen darauf hin, dass die politische Instabilität und die schlechte Regierungsführung Hauptgründe für die zunehmend prekäre Wirtschaftslage Tunesiens sei. Tunesien ist seit 2010 nach einem neuen Bericht des World Economic Forums WEF um 40 Plätze nach hinten abgerutscht, und seine Wirtschaftsleistung liegt heute hinter der seiner unmittelbaren Nachbarländer, hinter dem Iran und knapp vor der Urkaine. Die Arbeitslosigkeit und die schlechten wirtschaftlichen Aussichten waren einer der Auslöser der Revolution 2011.

Treten an Ort

Praktisch in jeder politischen Situation zeigt sich heute in Tunesien das gleiche Bild, sei das bei der Ausarbeitung der Verfassung, bei der Diskussion darüber wie die nächsten Wahlen zu organisieren sind oder wie man aus der jetzigen blockierten politischen Situation wieder heraus findet. Die beiden grossen Lager – die Regierung (islamistisch dominiert) und die Opposition (eher linksliberal orientiert, aber stark zersplittert) – finden keinen Weg um zu einem Konsens zu kommen. Ein beharren auf ihren Positionen und ein tiefes gegenseitiges Misstrauen hindert sie daran, Schritte aufeinander zu zugehen um die jetzige Krise zu überwinden.

Das hat mehrere Gründe. Die Konsensfindung unterschiedlicher Kräfte ist in der politischen Landschaft Tunesiens eigentlich eine Novität. Tunesien hat Erfahrung mit dem Kampf um die Unabhängigkeit (1957), mit der teilweise demokratischen Regierungsform der Republik nach der Staatsgründung unter Habib Bourguiba und mit der Diktatur des Ben-Ali-Regimes in den letzten 20 Jahren. Dass mehrere unterschiedliche politische Auffassungen trotzdem gemeinsam vorwärts kommen können, das müsste wieder entdeckt und gelebt werden.

Konfrontativer Tonfall

Die Politiker hier decken sich mit drastischen Vorwürfen ein, in den Medien fliegen die Fetzen. Der Tonfall ist deutlich weniger gepflegt als im europäischen politischen Milieu und weit entfernt vom schweizerischen. Müssen die Streitparteien jetzt aufeinander zugehen, haben sie gegenüber ihren eigenen Wählerschaften ein sogenanntes „re-entry“-Problem. Wie erkläre ich meinen Wählern, dass ich jetzt auf meinen ärgsten Feind zugehe? Folgen sie mir noch, nachdem ich die Gegenpartei monatelange verteufelt habe? Hier geht es darum das Gesicht wahren zu können. Ein Ausweg dazu könnte sein, nicht nur die Fehler der Gegenpartei herauszustreichen, sondern auch die Errungenschaften. Die Regierungsparteien mit Ennahdah an deren Spitze haben es zum Beispiel geschafft nach einem politischen Mord im Februar 2013 die Regierung zu erneuern und das Land einigermassen ruhig zu halten. Davon redet heute niemand.

Medien auf der Suche

Zeitungskiosk in Tunis
Zeitungskiosk in Tunis

Die Medien sind in dieser Hinsicht keine grosse Hilfe. Sie geniessen mehr Freiheiten als unter dem Ben-Ali Regime aber wissen damit noch nicht so richtig umzugehen. Die Regierung wirft ihnen zudem wiederholt Steine in den Weg. Die Medien betätigen sich teilweise als Sprachrohre der einen oder andern Seite und sind in der Regel nicht sehr ausgewogen. Eigene vertiefte Analysen fehlen noch und die Meinungen dominieren über die Fakten. Die Menschen hier vertrauen, wenn überhaupt, erstaunlicherweise eher den staatlichen Medien als den privaten, obwohl diese jahrzehntelang gelenkt waren. Wer sich aber als Bürger aufgrund der Medienberichte ein echtes Bild der tunesischen Politik machen will, hat es nicht leicht.

 

Im Gespräch bleiben

Doch es gibt auch Lichtblicke. Kurz nach Abbruch der jetzigen Verhandlungen zwischen den beiden Hauptparteien werden neue Anläufe für die Wiederaufnahme der Gespräche durch die Gewerkschaften lanciert. Der Prozess der Konsensfindung ist also weiter im Gang. Die Gewerkschaften als Hüter dieses Prozesses sind aber keine wirklich neutrale Partei im Gesamt-Setting. Die tunesischen Gewerkschaften haben aufgrund ihrer historischen Rolle in der Unabhängigkeitsbewegung des Landes starken Rückhalt in der Bevölkerung und vertreten grosse Teile der arbeitenden Tunesier. Ihre eigenen politischen Positionen sind aber eher der Opposition zuzurechnen. Das schwächt ihre Rolle als Vermittler und Mediator.

Der Mediator ist in seiner Funktion unabhängig, unvoreingenommen und unparteiisch, sollte von einer neutralen Partei ausgeübt werden und das Vertrauen der verhandelnden Parteien haben. Das ist hier nicht unbedingt der Fall. Es lässt sich aber von aussen nicht abschliessend beurteilen, ob das die Vermittlungen erschwert. Beide Parteien reden nach wie vor mit den Gewerkschaften und akzeptieren sie als Vermittler zwischen den Lagern. Und bisher sind auch noch keine Vorwürfe an die Adresse der Vermittler ausgesprochen worden. Das spricht dafür, dass die Gewerkschaften sich ihrer Rolle bewusst sind. Bisher haben es auch beide Streitparteien vermieden, mit Details über den vertraulichen internen Ablauf der Verhandlungen an die Öffentlichkeit zu gehen und so das Resultat zu beeinflussen oder gar den Verhandlungs-Prozess zu torpedieren. Die Gewerkschaften haben allerdings schon einmal damit gedroht, was unnötig war.

Sorge um die Zukunft

Was die Tunesier sichtbar zermürbt, sind die andauernden politischen Querelen und das Gefühl, dass das Interesse des gesamten Landes nicht mehr im Vordergrund steht. Sie wünschen sich, dass der Prozess endlich vorankommt und nicht erneut in einer politischen Blockade hängen bleibt. Aus meiner Sicht als Journalistin könnte eine professionellere Berichterstattung sicher ihren Beitrag dazu leisten. Die Medien könnten zum Beispiel noch mehr als bisher Experten aus der Zivilbevölkerung und nicht nur aus dem politischen Milieu zu Wort kommen lassen und sich vermehr auf mögliche Lösungen konzentrieren und nicht nur auf die Probleme. Die tunesische Bevölkerung erfährt viel über die Unfähigkeit der Politiker, aber wenig über Politiker als Problemlöser. Das liesse sich ändern.

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