Rückblick auf drei intensive Monate in Myanmar

Von Überforderung zu Faszination, von Ernüchterung zu Ehrgeiz: Mein Rückblick auf 12 Wochen beim Magazin «Frontier».

Der erste Monat: Von Überforderung zu Faszination

Dass ich keinen Kulturschock erlitt, als in Yangon ankam, war natürlich praktisch. Immerhin kannte ich Myanmar durch meine einmonatige Reise im Januar 2017 bereits ein bisschen, und somit war ich an das Bild von Longyi-tragenden Männern, mit Thanaka geschminkten Frauen und Betelnuss-spuckenden Taxifahrern bereits gewöhnt. Ich wusste um die wichtigsten kulturellen Eigenheiten Bescheid; etwa, dass man als Frau Mönche nicht berühren darf und dass in Pagoden die Füsse nicht Richtung Buddha zeigen dürfen, oder dass man aus Respekt alles mit der rechten Hand geben und nehmen, und dabei den Unterarm mit der linken Hand stützen sollte.

Da ich zudem in die WG einer Burmesin ziehen konnte, in welcher wir zusammen mit einer Dänin und Taiwanesin wohnten, hatte ich auch gleich eine Ansprechperson für all meine Fragen – etwa zu den Standorten von gewissen Geschäften oder der Handhabung des ÖV. Auch hatte ich durch meine bisherige Auslanderfahrung bereits gelernt, dass es sich lohnt, einen Gemüsehändler des Vertrauens zu haben, welchen ich schnell fand (so erhielt ich nicht nur stets ein Lächeln, sondern bei jedem Einkauf jeweils auch eine Handvoll Chilis geschenkt), und dass es das beste Essen nicht in den teuren Restaurants, sondern in den kleinen Lokalen gibt.

Ausflug mit Mitbewohnerinnen
Mit meinen Mitbewohnerinnen auf einem Ausflug nach Hpa-An.

Die anfängliche Überforderung überfiel mich deshalb viel eher im Arbeitsleben. In Myanmar als Journalistin zu arbeiten erwies sich als ganz anders, als in der Schweiz. In meinen bisherigen Blogposts dürfte man dies bemerkt haben, etwa bei meinem verzweifelten Akkreditierungsversuch oder bei meinem Einblick in den etwas anderen Redaktionsalltag. Während ich in der Schweiz bis jetzt fast jede beliebige Handynummer einer mehr oder weniger berühmten Person im Netz ausfindig machen konnte, so realisierte ich in Myanmar, dass hier nicht einmal die staatlichen Websites für etwas taugten. Natürlich gab es da auch die Sprachbarriere, aber das war bei weitem nicht das einzige Problem.

Redaktion von Frontier Myanmar
Das Büro von «Frontier». 

Weiter stellte sich auch die Frage: Über was würde ich schreiben? Als Generalistin hatte ich kein Spezialgebiet und konnte mich deshalb – auch meiner äusserst grossen Neugier wegen – für fast jedes Thema begeistern. Ich begann wahllos zu recherchieren – und fand ein spannendes Thema nach dem anderen.

Der zweite Monat: Von Faszination zu Ernüchterung

Von Feministinnen über Punks, von politischen Ex-Gefangenen zu fundamentalistischen Mönchen, von stillgelegten Achterbahnen zu Kokainschmuggel an der chinesischen Grenze: Es gab zahlreiche Themen, die auf den ersten Blick äusserst spannend aussahen – bis ich dann bemerkte, dass «Frontier» bereits darübergeschrieben hatte. Zuerst war dies frustrierend, da mir das bei den gefühlt zehn ersten Themen so erging, dann aber beschloss ich, es als Beweis dafür zu nehmen, dass ich immerhin relevanten Themen nachgegangen war, denn sonst hätte «Frontier» ja nicht darübergeschrieben. Ich suchte weiter.

Punks in Yangon, Myanmar
An einem Punkkonzert in Yangon. 

Natürlich verbrachte ich meine Zeit nicht nur im Büro und zu Hause, sondern entdeckte auch mein alltägliches Yangon: Gallerie-Eröffnungen und Fitnesstrainings, modernes Pub-Quiz und Old-School-Bowling-Erlebnis, Pop-Up-Ausstellungen und Strassenmärkte, traditionelles Kino und kontemporäres Puppentheater, Home-Partys und Abtanzen in Rooftop-Bars… So lernte ich auch zahlreiche Menschen kennen, von NGO-Mitarbeitenden bis hin zu Lehrkräften, von Botschaftsangestellten bis hin zu Reiseagenturinhabern, von Bauleitern bis hin zu Künstlerinnen.

Gleichzeitig erweiterte sich mein Bild von Myanmar durch all diese Recherchen, all diese Veranstaltungen und all diese Gespräche ungemein. Und oft stellte sich Ernüchterung ein. Auch wenn San Aung Suu Kyi als grosse Hoffnung für das Land angesehen worden war und ich letztes Jahr bei meinen Reisen das Gefühl erhalten hatte, dass die Bevölkerung grosse Erwartungen an die Zukunft hatte, jetzt, da sich das Land langsam öffnete, so schien dies alles ein viel längerer und steiniger Weg zu sein, als viele dachten.

Yangons verlassener Rummelplatz
Auf Entdeckungstour auf einem verlassenen Rummelplatz in Yangon. 

Auch ging das Land nicht immer nur vorwärts – einige Schritte gingen leider definitiv in die falsche Richtung… Bei einem unabhängigen, kritischen Magazin zu arbeiten, verstärkte diesen Eindruck natürlich. Und dafür war ich dankbar. Denn es erlaubte mir, die rosarote Touristenbrille abzulegen und gewisse Entwicklungen zu hinterfragen.

Der dritte Monat: Von Ernüchterung zu Ehrgeiz

Inzwischen hatte ich gemerkt, dass persönliche Kontakte und an Veranstaltungen ausgetauschte Visitenkarten in Myanmar ohnehin viel bedeutender waren, als Online-Recherchen. Und genau so kam ich denn auch zu einigen meiner Artikelideen: Statt über wilde Elefanten schrieb ich über ein neues Anti-Tollwut-Projekt für Hunde.

Während einer privaten Reise erfuhr ich durch einen erzählfreudigen burmesischen Freund von einer äusserst engagierten Freiwilligenorganisation, die gar Staatsaufgaben wahrnimmt, und die ich schlussendlich für eine Reportage besuchte (für welche ich zum ersten – und hoffentlich zum letzten – Mal in einem Krankenwagen mitfahren konnte). Via Instagram kam ich zu einem interessanten Kontakt, der mir wiederum von einem interessanten Projekt erzählte, weshalb ich einen Artikel über eine Pipeline schrieb.

Pipeline in Yangon
Ein Artikel über die Hauptschlagader Yangons: Eine Pipeline.

Genau, eine Pipeline. Das entspricht natürlich nicht den Erwartungen, wenn man sagt, man gehe als Journalistin nach Myanmar. Und dennoch war dieser Artikel ein Erfolg und während mehreren Wochen der meistgelesene Artikel bei Frontier, für welchen ich viel positives Feedback erhielt. (Weshalb ich nicht über Rohingyas schrieb, erkläre ich übrigens in meinem letzten Blogbeitrag). Schnell hatte ich gemerkt, dass es hier unglaublich viele spannende Themen gab – man musste sie nur finden.

So sind meine Themen denn auch kunterbunt ausgefallen: Ich schrieb über Landnutzungsrechte und Gesundheitspolitik, über Filmzensur und Flüchtlinge, über Tierschutz und das Schulsystem. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt; ich wollte meine Zeit hier so gut wie möglich nutzen und so arbeitete ich (viel zu) viel.

Da dies dem Work-Life-Balance-Konzept meiner Mitbewohnerinnen nicht entsprach, sorgten sie dafür, dass zumindest mein Nachtleben ähnlich aktiv ausfiel – und deshalb, so glaube ich, liessen sie mich im Karaoke-Studio auch immer und immer wieder mein Lieblingslied von Hozier singen, obwohl es ihnen schon längst aus dem Halse hing, da ich zugegebenermassen eine sehr schlechte (wenn auch in unnüchternem Zustand sehr leidenschaftliche) Sängerin bin.

Karaoke Singen in Myanmar
Am (laut und falsch) Singen in Yangon für die Work-Life-Balance.

In diesen zwölf Wochen bei Frontier habe ich 13 Artikel publiziert; drei weitere werden in den nächsten Wochen noch erscheinen. Auf diesem Blog habe ich neun Beiträge veröffentlicht. Auch konnte ich ein paar Artikel in Schweizer Medien platzieren, drei wurden bereits publiziert, fünf erscheinen demnächst. Dadurch habe ich viele neue Orte besucht und viele neue Bekanntschaften geschlossen.

Diese Zeit in Myanmar war für mich unglaublich lehrreich – nicht nur habe ich sehr viel über das Land an sich gelernt, sondern auch darüber, wie man sich als Journalistin in einem neuen Land zurechtfindet. Und ich hoffe, dass ich auch in Zukunft aus dem Ausland – vielleicht ja sogar aus Myanmar – berichten werden kann.

Recherchereise in Myanmar
Auf Recherche auf dem Irrawaddy Fluss.

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