Schatten der Vergangenheit
Rot und Grün sind dieser Tage die prägendsten Farben des Stadtbildes. Fahnen in allen Grössen werden geschwungen. Die Menschen ziehen ihre besten Kleider an, besonders die Frauen wählen ihre Sarees und Salwar Kammes in den Nationalfarben. Blumenkränze unterstützen das Gesamtbild. Joy Bangla Rufe mischen sich in die tägliche Geräuschkulisse von hupenden Autos, fluchenden Rikschahfahrern und dem Rufen der Muezzins.
1971 war das Geburtsjahr von Bangladesch in seiner heutigen Form. In einem blutigen Unabhängigkeitskrieg kämpfte man sich von Pakistan los. Als Blutzoll mussten bis 3 Millionen Menschen ihr Leben lassen (die Offizielle Zahl ist 3 Millionen, andere, tiefer Schätzungen, werden per Gericht mit Bussgeldern bestraft).
Bangladesch war bis 1947 ein Teil British- Indiens. Bei der Aufspaltung dieses Riesen Reiches wurde Bangladesch unter dem Namen Ost- Pakistan, dem mehrheitlich Muslimischen Pakistan zugeordnet. Ausser Acht gelassen wurde bei dieser Trennung allerdings, dass die beiden Teile Pakistans, keine gemeinsame Sprache hatten und auch in ihrer Kultur sehr verschieden waren.
Ostpakistan wurde von der Westpakistanischen Regierung systematisch finanziell ausgeblutet. Und im Gegenzug sicherte man beim Indisch- Pakistanischen Kaschmirkonflikt nicht einmal die Bevölkerung und die Grenzen des östlichen Teils. Die Ostpakistanische Awami- Partei fuhr bei den Wahlen 1970 einen Erdrutschsieg ein. Sie hätten eine Regierung für den Gesamtstaat zu gute gehabt, was dazu führte, dass das Westpakistanische Militär eingriff.
Am nächsten Tag wurde die Unabhängigkeit Bangladeschs proklamiert und der 9 Montage Krieg begann. Er endete am 16. Dezember 1971 mit dem Sieg der Alliierten Bangladesch und Indien über Pakistan. Dieser 16. Dezember heisst seither Victoria Day und ist der Grund für die festliche Stimmung im Land.
Zwei Tage vor dem grossen Feiertag steht jedoch ein anderer, weitaus tragischerer Tag im Fokus.
Am 14. Dezember 1971, zwei Tage vor der Kapitulation Pakistans zogen Killerkommandos los, um die zukünftige Elite Bangladeschs zu töten. 200 Intellektuelle, darunter Lehrer, Journalisten, Physiker und Schriftsteller wurden aus ihren Häusern geholt und vor den Toren Dhakas hingerichtet.
Dieser 14. Dezember, Day of the Martyred Intellectuals, wird in Gedenken an die Ermordeten als Gedenk- und Trauertag begangen.
Wie bei vielen solcher Tage rückt der eigentliche Sinn dieser Veranstaltungen jedoch stark in den Hintergrund. Politiker und Interessengruppen nutzen die Gunst der Stunde um die eigenen Interessen und Ansichten möglichst medientauglich zu verbreiten. Sie sammeln eine möglichst grosse Zahl von Anhängern, welche ihre Namen und Parolen schreiend zum Gedenkort ziehen, um dort einen Kranz niederzulegen.
Diese „Marktschreier“ sind teilweise überzeugte Anhänger der Politiker und teilweise werden sie auch für ihr Erscheinen bezahlt. Am beliebtesten sind jugendliche Halbstarke. Diese Brüllen nicht nur gerne lauthals los, sondern besitzen in grösseren Gruppen mit Bambusstöcken bewaffnet auch ein gewisses Einschüchterungspotential. Die kleinen Fahnen, welche die Schlagstöcke als Fahnenstangen tarnen sollen, geben das ganze komplett der Lächerlichkeit preis.
Je grösser und lauter eine solche Gruppe ist, desto mutiger drängen sie sich an allen vorbei. So kommt es, dass die Freedom Fighter, die Bangladeschi welche den Guerillakrieg 71 wirklich geführt haben hinten anstehen müssen. Diejenigen, welche den Preis für die Unabhängigkeit Bangladeschs mit ihrem Blut, ihren Gliedmassen und dem Tod ihrer Kameraden bezahlt haben, sind die, welche nun am hintersten Ende der Schlange darauf warten, dass sie an der Reihe sind.
Auch viele Fotografen und Filmer verhalten sich äusserst unrühmlich. Schamlos inszenieren und Manipulieren sie Bilder. Trampeln mit Füssen auf den Gedenk- Kränzen und -Stätten rum. Ohne Rücksicht auf ein wenig Anstand. Zum Glück benehmen sich meine Kollegen, des Daily Star welche ich zufällig hier treffe nicht so.
Der Angenehmere Teil des Victoria Day findet nicht auf der Gedenkstätte ausserhalb Dhakas statt. Sondern in einem Park mitten in der Stadt. Menschen erfreuen sich des Lebens und des Feiertages. Herausgeputzt spazieren sie durch den Park, üben sich im Büchsenwerfen, drehen auf hölzernen Riesenrädern welche von Hand betrieben werden, ihre Runden. Und schlagen sich den Bauch mit allerlei Snacks und Naschwerk voll. Eine angenehme und Farbenfrohe Abwechslung zum Trauerspiel am Morgen.
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