Segen und Fluch: Tourismusboom in Georgien
«Georgien, da wott ich au hi!», so oft die Reaktion vor meiner Abreise. Der Tourismus boomt in Georgien. Das bringt Geld, aber auch viele Probleme.
In den letzten zehn Jahren haben sich die jährlichen Besucherzahlen in Georgien versiebenfacht. 7 Millionen kamen gemäss Statistikamt im Jahr 2018. Das sind doppelt so viele Touristen wie Einwohner. Tourismus ist in Georgien eine der wichtigsten Industrien. Und sie generiert nicht nur unmittelbar Jobs, sondern löst auch Folgeinvestitionen aus, zum Beispiel in der Infrastruktur. Aber Tourismus ist auch ein fragiles Geschäft, wie dieser Sommer in Erinnerung gerufen hat.
Die meisten kommen aus den Nachbarländern
Nach den Ausschreitungen vor dem Parlament am 20. Juni, hat Russland vorläufig alle Direktflüge nach Georgien gestrichen. Nur, so schwierig das Verhältnis zu Russland sein mag, für Georgien sind die Touristen aus dem Nachbarland eine wichtige Einnahmequelle. 2018 waren über 20 Prozent der internationalen Touristen Russen, nur aus Aserbeidschan kamen noch mehr Besucher. Generell kommt das Gros der Touristen (77 Prozent) aus den Nachbarländern. Und weil die Russen im Durchschnitt am längsten bleiben, fallen sie auch finanziell mehr ins Gewicht. Dass der Flugstopp von diesem Sommer spürbar sein wird, ist damit naheliegend. Wie sehr er ins Gewicht fallen wird, ist noch offen.
Masse statt Qualität
Er werde den Ausfall russischer Touristen sicher nicht spüren, sagt Nick Erkomaishvili. Sein Unternehmen bietet Touren im ganzen Kaukasus an. Das Zielpublikum: Europäer, Japaner, Amerikaner. Zahlungskräftige Touristen, die länger bleiben. Mit der Tourismusentwicklung wie sie die Behörden gestalten, ist Erkomaishvili nicht glücklich: «Es wird nur auf Masse, nicht auf Qualität gezielt.» Damit meint der erfahrene Bergführer nicht nur, dass viele Menschen ein paar wenige besser erschlossene Regionen bereisen, sondern auch, dass viele Anbieter ohne Ausbildung und mit unzulänglichen Sicherheitsvorkehrungen Touren anbieten.
Die Georgische Bergführerorganisation, die er präsidiert, will dem etwas entgegensetzen. In einem Ausbildungszentrum in Gudauri werden drei-jährige Lehrgänge für Bergführer angeboten. Bald soll Georgien auch international anerkannt und in die IFMGA (International Federation of Mountain Guide Association) aufgenommen werden.
Ohne Touristen keine Tourismusentwicklung
Auch Vano Vashakmadze engagiert sich in der Georgian Mountain Guide Association. Zudem ist er seit bald 15 Jahren als Berater für verschiedene internationale Entwicklungsorganisationen tätig. Auch er sieht viele Probleme in der Tourismusentwicklung, hält aber grundsätzlich fest: «Erst einmal müssen sie überhaupt Touristen haben, um Tourismus entwickeln können.» Nach Jahrzehnten des Kommunismus und knapp 20 Jahren in einer neoliberalen Wirtschaftslogik, sei Georgien erst langsam bereit für gewisse Regulierungen – nicht nur im Tourismus. Georgien ist nämlich auch zum beliebten Investitionsstandort geworden.
«Vor allem Araber und Russen investieren hier», sagt Vashakmadze, «aber ob sie die Wohnungen auch nutzen, ist unklar.» In Batumi wird diese Entwicklung augenfällig. Die Küstenstadt mit den zahlreichen neuen Hochhäusern wird auch klein Dubai genannt. Diese Stadt wachse schneller als die Hauptstadt Tbilisi, erklärt Vashakmadze, und sie wachse unkontrolliert.
Deshalb wurde kürzlich – ein Novum für Georgien – ein Bebauungs-Zonen-Plan eingeführt. «Bereits am Tag der Einführung, wurde in Batumi auch schon dagegen verstossen», sagt Vano Vashakmadze im Interview. Ganz so bereit für Regulierungen scheint das neoliberale Georgien dann eben doch noch nicht zu sein.
Schnell kann viel zerstört sein
Deshalb befürchtet Stefan Meister, Leiter des Kaukasusbüros der Heinrich Böll Stiftung in Tbilisi, auch das schlimmste. Das schnelle Wachstum überfordere Georgien nämlich in vielerlei Hinsicht: «In Strassenzügen, wo früher 100 Leute lebten, leben jetzt vielleicht 1000 in den Hochhäusern», erklärt Meister. Das Resultat: zu viel Verkehr, zu schlechte Luft und kaum mehr Wasserdruck in den Leitungen. «Die ganze Infrastruktur ist schlicht nicht auf dieses Wachstum ausgelegt.»
Auch im Verkehr sei keine Verbesserung in Sicht. Das Schienennetz ist klein und veraltet, wer sich in Georgien fortbewegt, tut dies meist im Privatauto, im Taxi oder in Kleinbussen. Das führe auch dazu, dass ein paar wenige Tourismus-Destinationen, die gut erschlossen sind, überlastet werden. «Die Leute kommen ein paar Tage, bewegen sich auf den vorgespurten Wegen und machen so viel kaputt», sagt Meister (zum ausführlichen Interview). «Dabei wären in diesem kleinen Land mit seiner grossen Vielfalt viele Bereiche auf Schutz angewiesen.»