Service Public par excellence – Radio im Auftrag der Gemeinschaft

Ein sonores Surren erfüllt den Raum. Dieses monotone Rauschen werde ich für immer mit Deeman Radio verbinden. Es stammt von einer alten Stereoanlage im schlicht eingerichteten Schnittraum, wo die Beiträge entstehen. Man gewöhnt sich schnell daran. Bald nimmt man es gar nicht mehr bewusst wahr. Genauso wie die Aufrufe zum Gebet des Muezzins in der Nähe meiner Unterkunft, der mich anfänglich schon frühmorgens aus dem Schlaf gerissen hatte. Der Gottesdienst nebenan kommt einem aufgrund der Geräuschkulisse zuweilen wie eine Teufelsaustreibung vor.

Geprägt durch eine lange Erzähltradition, besitzt das Medium Radio einen grossen Stellenwert in Westafrika. Doch auch die geschriebene Presse existiert in grosser Zahl. Vor gut 20 Jahren sprach die NZZ von einem Medienboom in Benin und der freiesten Presse Afrikas. Dieser Boom hält noch immer an – davon unten mehr –, der zweite Befund bedarf einer Präzisierung. Laut Reporter ohne Grenzen gilt Benin zwar traditionell als Land mit relativ freien Medien, kritisch seien jedoch schon immer die Printmedien zu sehen. Einige gehörten Parteien oder Politikern und fungierten in erster Linie als deren Sprachrohre.

Vom Metzgerzoff bis zur grossen Politik

Bei Deeman Radio mit der surrenden Stereoanlage fühle ich mich von Anfang an gut aufgehoben. Das Gemeinschaftsradio setzt sich für die Förderung der Kultur und Sprache der Baatonu-Volksgruppe ein. Mit einer Bevölkerung von über 1,4 Millionen im Norden Benins und dem Westen Zentral-Nigerias beliefert das Radio eine grosse Zielgruppe mit Nachrichten. Zum Programm gehören mehrere Journale auf Französisch, Baatonu, sowie einer weiteren nationalen Sprache Peulh. Dazu kommen längere Sendungen, meist in Gesprächsform.

Vom Metzgerzoff im Quartier bis zur grossen Landespolitik ist alles dabei. Oft drehen sich die Beiträge jedoch um Anliegen der Hörerschaft. Hier einige Beispiele: neue Techniken in der Landwirtschaft gegen schwindende Erträge aufgrund des Klimawandels, Jugendkriminalität oder ungewollte Schwangerschaften. Das Programm bildet die Lebensrealität der Hörerinnen und Hörer ab. Das Radio ist ein Sprachrohr der Menschen vor Ort, es gibt ihnen eine Stimme. Wortwörtlich. Und ermächtigt sie damit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs.

Arbeit unter erschwerten Umständen

Trotz vieler Bemühungen ist der Zugang zu unabhängiger Information in Benin keine Selbstverständlichkeit. Täglich wird bei Deeman Radio für dieses Recht gekämpft. Jeweils morgens um 9 Uhr versammelt sich die Redaktion im Konferenzraum. An der Themensitzung können Diskussionen auch mal hitzig werden. Dann wird in einer Mischung aus Französisch und Baatonu um die besten Geschichten gerungen und kurz darauf wieder herzhaft miteinander gelacht. Eine wahre Achterbahn so eine Redaktionssitzung. Themen, Fokussierung, Umsetzung (Bericht, Interview, Reportage, etc.) und geplante Dauer der Beiträge werden festgehalten. Danach schwärmt die Redaktion aus. Dabei stellen sich verschiedene Schwierigkeiten:

  • Kommunikation:
    Einen Interviewtermin zu organisieren ist gar nicht so einfach. Telefonnummern finden sich nicht mal so im Internet. Ebenso wenig die passende Gesprächspartnerin. Der Weg zum Ziel führt über jahrelange Berufserfahrung und die Pflege eines Beziehungsnetzes. So ging mein Bericht über die Auswirkungen von Alkoholkonsum mangels Suchtexperten mit der Einordnung eines Ernährungsexperten über den Äther.
  • Erreichbarkeit/Zuständigkeit:
    Ist die passende Person einmal ausgemacht, muss man sie dann auch noch ans Telefon kriegen, und letztlich überzeugen am Beitrag mitzuwirken. Es kommt durchaus vor, dass man als normaler Journalist eine Absage kassiert, weil die Person doch bitte lieber vom Chefredaktor kontaktiert würde.
  • Transport:
    Wird man sich handelseinig, kann es losgehen. Mit dem Töff. Und zwar dem eigenen. Eine Vergütung vom Arbeitsgeber gibt es dafür nicht. Üblich ist hier jedoch eine Kompensation der Fahrtkosten auf Einladung, etwa bei Medienkonferenzen der Behörden. Was das mit der journalistischen Unabhängigkeit macht, ist hier allen klar. Und trotzdem nimmt man das Geld an. «Was bleibt uns denn anderes übrig?», sagen meine Redaktionskollegen. Ein kleiner Zustupf für den mageren Monatslohn, der zwar irgendwo über dem landesweiten Durchschnittslohn von 93 Franken liegt, aber eben oft eher schlecht als recht zum Leben reicht. Und so haben Journalisten hier meist gleich mehrere Nebeneinkünfte, z.B. als Social-Media-Kanal-Manager von aufstrebenden Künstlern oder Firmen.

  • Informationsbeschaffung:
    Will man sich den Transport sparen, bietet sich ein Telefongespräch an. Das kann ohne Probleme aufgezeichnet werden. Bloss kosten Anrufe Geld, das wiederum aus dem eigenen Sack kommt. Die Lösung: Die gewünschte Person anrufen, Vorhaben erklären und Fragen deponieren, um dann pfannenfertige Antworten per Whatsapp-Sprachnachricht zu erhalten. Das Problem dabei: Ewig lange Exkurse, die am eigentlichen Thema des Beitrags vorbeizielen. Direktes Nachhaken unmöglich. So erklärte mir der oben erwähnte Ernährungsexperte lang und breit, wie Alkohol entsteht, auf die Folgen des Konsums ging er jedoch kaum ein.
  • Technik:
    Zusätzlich erschweren technische Herausforderungen die Arbeit. Die Internetverbindung per WLAN am Arbeitsplatz ist instabiler als die Beziehungen in den Telenovela-Shows, die hier nachmittags in schlechter Synchronversion im Fernsehen laufen. Auch Stromunterbrüche sind keine Seltenheit. Das kommt schon mal während der Live-Sendung vor oder zuletzt als ein Lastwagen das tiefhängende Stromkabel mit seiner Ladung vom Verteiler heruntergerissen hat.

Tiktok und Co. als Konkurrenz

Es steht also nicht gerade zum Besten um die Produktions- und Arbeitsbedingungen und trotzdem spüre ich bei der Redaktion einen grossen Willen, Tag für Tag mit viel Elan ein ansprechendes Radioprogramm auf die Beine zu stellen. Doch der mediale Wandel macht auch vor Benin nicht halt. Es gilt, sich den wechselnden Bedürfnissen anzupassen. Benin ist eines der jüngsten Länder der Welt. Rund zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre alt, jede zweite Person ist unter 18. Die Menschen verbringen (wie andernorts auch) viel Zeit auf Tiktok, Instagram und Co. Deshalb setzen immer mehr Medien auf das bewegte Bild, das grosses Potenzial bietet. Der landesweit ausgestrahlte staatliche Rundfunk gilt als regierungstreu, der die Opposition zu wenig berücksichtigt.

Auch Deeman Radio will sich weiterentwickeln mit digitalem Fernsehen. Nach ersten Versuchen plant die Redaktion per nächstes Jahr regelmässig Nachrichtensendungen auszustrahlen mit selbst produzierten Beiträgen. Die Journalisten sind gut ausgebildet, arbeiten multimedial. Die bereits entstandenen TV-Beiträge machen Lust auf mehr. Doch Fernsehen ist nicht Radio. Dazu braucht es teures Equipment: Kameras, kompatible Mikrofone, ein Studio, etc. Ob sich mit dem PC, der im Schnittraum täglich mehr Staub ansammelt, Videos bearbeiten lassen, ist mehr als fraglich. Und die oben erwähnten Schwierigkeiten werden auch nicht weniger.

Derweil zeichnet sich im Land ein politischer Showdown ab. Im kommenden Jahr stehen Wahlen an. Wegen interner Querelen und undurchsichtiger Behördenentscheide droht der grössten Oppositionspartei die Nichtteilnahme am Präsidentschaftswahlkampf. Darüber mehr in einem späteren Blogeintrag.

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