Mein Sieg am Accra Marathon
Sport gehört für mich zur Kultur eines Landes, genauso wie dessen Geschichte, Sprache, Essen oder Religion. Als sportbegeisterte Person möchte ich deshalb auch die Welt des Sports in Ghana erkunden. Da ich gerne selbst aktiv bin und grosse Ziele verfolge, habe ich mich bereits vor meiner Abreise nach Ghana für den Accra International Marathon angemeldet. Und zu meiner grossen Freude, habe ich diesen sogar in der Frauenkategorie gewonnen.
Ich bin schon seit langem eine Hobby-Läuferin. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich jemals ein Rennen gewinnen würde. Als ich mich nach der Zusage für meine MAZ-Stage für den Accra Marathon Ende Oktober angemeldet habe, wusste ich jedoch, dass eine gute Platzierung möglich ist. Denn bei der letzten Austragung des Accra Marathons über 42.2 Kilometer erreichte die schnellste Frau das Ziel in rund 5 Stunden. Jeder, der Läufer ist, weiss, dass das nicht besonders schnell ist. Meine persönliche Bestzeit im Marathon liegt bei 3 Stunden und 51 Minuten, die ich vor 8 Jahren in Berlin gelaufen bin, der schnellsten Marathonstrecke der Welt, wo die Rekorde immer wieder gebrochen werden. Kürzlich stellte die Äthiopierin Tigst Assefa Tessema hier den Weltrekord der Frauen auf, mit einer Zeit von 2 Stunden, 11 Minuten und 53 Sekunden.
Marathon-Training in Accra
„Ist Laufen ein beliebter Sport in Ghana?“ fragte ich mich, bevor ich hierher kam. Angesichts der klimatischen Bedingungen, der Hitze und der Luftfeuchtigkeit, sowie der Abgase in der Stadt und des schlechten Zustands der Trottoirs (sofern es überhaupt welche gibt), schien Accra mir nicht gerade ein Jogging-Paradies zu sein. Während meinen kürzeren Trainingsläufe am frühen Morgen bin ich kaum auf andere Läufer gestossen. Für meine längeren Trainingsläufe wollte ich zunächst herausfinden, ob es in der Umgebung von Accra einen besseren Ort für Outdoor-Sport gibt. „Aburi Hill“ wurde mir von verschiedenen Seiten empfohlen. Aburi ist eine Ortschaft im Nordosten Accras. Die Strasse, die nach Aburi führt, ist bei Läufern und Spaziergängern sehr beliebt. Man sagte mir, dass am Samstagmorgen so viele Leute den Hügel hinauflaufen, dass es zu Staus kommen kann. Da dies für mein Training nicht besonders förderlich gewesen wäre, entschied ich mich, an einem Sonntagmorgen dorthin zu fahren. Und tatsächlich war an diesem Tag viel weniger los, da viele Ghanaer Sonntagmorgens in die Kirche gehen. Ich war jedoch nicht allein. Einige kleine Gruppen mit Musikboxen ausgerüstet, liefen die Hauptstrasse entlang. Unterwegs gab es immer wieder Kokosnuss-Verkäuferinnen, die an einem Samstagmorgen wahrscheinlich ein besseres Geschäft machen. Der Ausflug nach Aburi hatte sich für mich gelohnt. Es gab eine schöne Aussicht über Accra, und auf der Strecke wurde ich immer wieder von Schildern mit motivierenden Sprüchen angespornt. Nach einem Monat Training und Akklimatisierung in Ghana fühlte ich mich nun bereit für den Marathon.
Erste Frau am Accra International Marathon
Der Start des Accra Marathons war um 5:30 Uhr morgens. Das bedeutete für mich, um 3:30 Uhr mitten in der Nacht aufzustehen, Pasta zu kochen und essen, und dann zum Startpunkt zu fahren. Glücklicherweise hatte mich William, der Gastgeber meines Airbnb’s, zum Start gebracht. Denn ich wusste nicht, ob ich zu dieser Zeit ein Bolt oder Uber bekommen würde. Als ich um 5 Uhr ankam, war noch niemand sonst da. Es gab nur ein Schild am Strassenrand mit der Aufschrift „Start“. Ich fühlte mich ein wenig verloren und war mir nicht sicher, ob ich am richtigen Ort war. Nach ein paar Minuten trafen weitere Läufer und Teile des Organisationsteams ein. Insgesamt waren wir nur 21 Läuferinnen und Läufer, welche die volle Marathondistanz absolvieren wollten. Das war sehr ungewöhnlich, wenn man an Massenläufe wie den Berlin Marathon gewöhnt ist. Eine Minute zu früh sind wir dann gestartet, und gleichzeitig ging die Sonne langsam auf. Die Stimmung direkt am Meer mit dem Sonnenaufgang war wunderschön, und ich wusste, dass dies ein grossartiger Tag wird.
Zu Beginn des Marathons versuchte ich, mit einer Gruppe von etwa zehn männlichen Läufern und einer Frau mitzuhalten. Aber ihr Tempo war für mich auf Dauer zu schnell. Also liess ich sie ziehen und lief allein weiter. Die Strecke führte durch kleine Viertel in Accra, entlang des Strandes und durch den Industrieort Tema, wo sich der grösste Hafen Ghanas befindet. Viele Menschen waren früh morgens bereits unterwegs – auf dem Weg zur Arbeit. Ich bekam immer wieder aufmunternde Zurufe: „Hurry up! Go faster! Finish hard!“ Doch vielen Menschen schien es auch egal zu sein, was ich da machte. Die Zuschauerkultur bei diesem Lauf ist nicht mit der Zuschauerkultur bei einem Marathon in Berlin zu vergleichen, wo an jeder Ecke eine andere Musikband für Unterhaltung sorgt. Dennoch wurde es mir nie langweilig. Dies lag wahrscheinlich auch daran, dass ich mich zu 100 Prozent auf das Laufen konzentrieren musste, da ich den Grossteil der Strecke auf der Strasse lief. Je später der Morgen wurde, desto mehr Verkehr gab es auf der Strasse. Und die Trotro-Fahrer schienen nicht besonders darauf zu achten, genügend Abstand zu den Läufern zu halten.
Überholmanöver auf den letzten Kilometern
Es schien, als hätte ich einen sehr guten Tag erwischt, denn meine Geschwindigkeit blieb konstant, auch nach der 30-Kilometer-Marke, an der viele Hobbyläufer oft Schwierigkeiten bekommen. Ich konnte sogar einige Läufer überholen. Drei Kilometer vor dem Ziel sah ich sogar die einzige Frau vor mir – eine Belgierin. Und auch sie schien am Ende ihrer Kräfte zu sein, denn sie ging. Ich nutzte meine Chance, um diesen Marathon zu gewinnen, mobilisierte meine letzten Energiereserven und überholte sie auf den letzten Kilometern. Das war nicht gerade einfach, denn der letzte Teil der Strecke ging leicht bergauf, war ohne Schatten und die Sonne wurde immer heisser. Umso emotionaler war mein Zieleinlauf, und die Freude im Ziel war riesig. Mit einer Zeit von 3 Stunden, 59 Minuten und 50 Sekunden lief ich sogar meine zweitbeste Marathonzeit und wurde insgesamt Vierte, mit nur drei Männern vor mir. Die Medaille als „1st place marathon women“ wird einen besonderen Platz bekommen. Für Pulse Ghana’s Instagram habe ich ein kurzes Video mit Tipps, wie man den Accra Marathon gewinnen kann, gemacht.
Um meine ursprüngliche Frage zu beantworten, ob Laufen in Ghana ein beliebter Breitensport ist, würde ich Jein sagen. Es wird viel spaziert, aber richtiges Laufen ist nicht so verbreitet. Für viele Einheimische ist es auch viel zu teuer, 100 Dollar für einen Marathon auszugeben. Tatsächlich haben sich nur drei Ghanaer für diesen Marathon angemeldet, darunter der Sieger, der die Strecke in 3 Stunden, 30 Minuten und 31 Sekunden gelaufen ist. Ein Nationalsport ist Laufen in Ghana also definitiv nicht.
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