Symbolbilder-ABC. Teil 2: N-Z
N wie Nay Pyi Taw
Vor 2005 heimlich als neue Hauptstadt von Myanmar aus dem Boden gestampft, was die Paranoia des Regimes abbildet. Nach offizieller Lesart wurde der Regierungssitz deswegen 300 Kilometer nach Norden verlegt, weil die alte Hauptstadt Yangon zu bevölkert geworden war, zu eng besiedelt, um den Ministerien den nötigen Platz für weiteres Wachstum zu garantieren. Das ist schwer zu glauben, da in Yangon noch viel Land brach liegt. Und so tendieren viele Ausländer im Land zur folgenden inoffiziellen Version: Zur Zeit, als die Pax Americana noch etwas galt (Irak, Afghanistan), fühlte sich das Regime im Landesinneren sicherer. Yangon wäre wegen seiner Meernähe leicht einzunehmen gewesen. Für den Fall, dass man trotzdem flüchten müssen sollte, wurde die Zufahrtsstrasse zum streng bewachten Regierungs- und Parlamentsviertel zwanzigspurig gebaut – so dass man mit einem Flugzeug abheben könnte.
O wie Oldschool
Yangons Innenstadt und ihr Nebeneinander der Geschwindigkeiten erinnern mich oft an das Kalb vor der Gotthardpost: das Gemütliche, dem doch gerade wohl ist, wie es ist, aufgescheucht vom Karacho der Moderne. Da verkaufen Frauen ihren Fisch, ungekühlt auf einem Tuch am Boden ausgebreitet, auf dem Markt wenige Meter neben dem Shoppingtempel, der genau so gut an der Bahnhofstrasse stehen könnte. Oder es bemüht sich der Fahrer der traditionellen Trishaw, auf der Kreuzung nicht vom SUV überrollt zu werden, der wohl das Zehnfache des Jahresgehalt des Trishaw-Fahrers gekostet hat. Meine Prognose: Den Trishawfahrer wird es auch in 20 Jahren noch geben, bloss kutschiert er dann Touristen.
P wie Print lebt
Das Smartphone mag die Kommunikation der Jungen hier in den letzten Jahren auf den Kopf gestellt haben; die Alten bleiben aber bei ihren Zeitungen. Den Europäer versetzt in Nostalgie, wenn an jeder zweiten Strassenecke ein Verkäufer sein Dutzend Zeitungen auf einem Tischli ausbreitet und an ihnen gut verdient. Die Hälfte davon sind allerdings Sportzeitungen und beschäftigen sich vornehmlich mit der englischen Premier League. Dabei gibt‘s doch darüber gar nicht so viel Relevantes zu schreiben! Das müssen Verhältnisse wie bei der Gazzetta dello Sport sein, wo jedes noch so kleine Transfergerücht eine halbe Seite füllt.
Q wie Quittung
Über die 6 Prozent Wirtschaftswachstum Myanmars wären die meisten Länder der Welt froh – doch angesichts des tiefen Ausgangsniveaus wäre noch viel mehr möglich. Entsprechend sehen viele Beobachter die burmesische Wirtschaft immer noch als Sorgenkind der Region; die grosse Mehrheit der Bevölkerung ist bei einem jährlichen Durchschnittseinkommen von unter 1200 USD nach wie vor sehr arm. Zuallererst ist dafür natürlich das halbe Jahrhundert Isolation vom Fortschritt des Restes der Welt verantwortlich. Weiter hat es aber auch die 2015 erstmals demokratisch gewählte Regierung nicht geschafft, ein stabiles Fundament für ausländische Direktinvestitionen im Land zu schaffen. Und als i-Tüpfelchen zeitigen auch die Auswüchse gegen die Rohingya vor zwei Jahren wirtschaftliche Auswirkungen: Der internationale Ruf des Landes ist ruiniert; die Anzahl kaufkräftiger, westlicher Touristen im Land ist seit 2017 implodiert und erholt sich nur langsam, das gleiche gilt für die sowieso schon spärlichen Direktinvestitionen.
R wie Repression
Nachdem die Zensur vor der Publikation 2012 aufgehoben wurde und dies den Journalismus im Land während einiger Jahre beflügelte, wird die Schraube in den letzten Jahren anderswo angezogen: Wer dem Militär zu stark auf die Finger klopft, kommt jetzt einfach hinterher dran. So geschehen mit den zwei Reuters-Reportern, die 2017 festgenommen waren, nachdem sie das Militär eines Massakers and Rohingya-Männern überführt hatten; die Männer wurden mittlerweile begnadigt. Aktuell sind die Fälle einer Theatergruppe in den Medien, deren Mitglieder seit einem halben Jahr in Haft sind, weil sie sich während einer Vorstellung über das Militär lustig gemacht hatten. Die Folgen solcher Schauprozesse gegen die Meinungs- und Pressefreiheit für die Selbstzensur, die Schere im Kopf insbesondere inländischer Journalisten, sind offensichtlich. Man geht davon aus, dass das Schlimmste, das Ausländern bei allzu provokativem Journalismus blüht, ein Landesverweis ist. Aber auch das sind bloss Annahmen; darauf ankommen lassen will es doch keiner.
S wie Sicher – aber für wen?
Es scheint manchmal, als könne man sein Monatseinkommen in bar auf der Rückbank eines Taxis liegen lassen – der Fahrer würde einen aufspüren und einem jeden Rappen zurückgeben. Während man in vielen Ländern der Welt immer bloss das Nötigste im Portemonnaie hat, um im Falle eines Diebstahls nicht zu viel zu verlieren, kann man in Myanmar getrost den Maximalbetrag am Bankomaten abheben und ihn ständig bei sich haben (was teilweise sogar nötig ist, da Kartenzahlung vielerorts unmöglich ist). Hier wird man nicht bestohlen oder gar körperlich angegangen. So weit die Perspektive als ausländischer Mann. Ausländerinnen erzählen von gelegentlich unangenehmen Taxifahrern; doch bestehe auch für sie kein Klima der Angst. Eine ganz andere Geschichte ist es natürlich in den zahlreichen vom Bürgerkrieg betroffenen Regionen. Und ganz generell für Burmesinnen im ganzen Land – häusliche Gewalt ist ein Riesenproblem. Obwohl, das ein Problem zu nennen, scheint wieder die Ausländersicht zu sein (ich polemisiere natürlich, es gibt auch viele Burmesen mit egalitären Ansichten und solche, die trotz derer Abwesenheit ihre Frauen nicht schlagen), lautet doch eine burmesische Redensart, dass eine Frau einen umso mehr liebe, wenn man sie schlage, bis ihre Knochen gebrochen sind. Puh…
T wie Tsch Tsch
Klar gibt‘s im Supermarkt oder Ausländer-Restaurant auch das Filet. Der Burmese dagegen isst Nose to Tail, was schön ausgebreitet auf den Strassengrills zu begutachten ist: Alle möglichen Innereien, in Originalform oder zu Würstchen verpappt, gibt‘s dort für ein paar Zerquetschte zu erstehen. Über den Geschmack lässt es sich dann wie immer streiten.
U wie UN FFM. Oder: Do‘s-and-Don‘ts
Die FFM ist die Fact Finding Mission der Vereinten Nationen. Sie wurde schon vor dem nach ihrer Meinung „versuchten Genozid“ (das bleibt wohl der offizielle Ausdruck, bis der ICJ in Den Haag ein Urteil fällt, was aber Jahre dauern wird) an den Rohingya im Herbst 2017 eingesetzt; das Desaster hatte sich schliesslich seit Jahren angebahnt, die Menschenrechtsverletzungen waren schon Jahre davor offensichtlich. Neben ihrer Aufarbeitung der Geschehnisse im Rakhine-Staat hat die FFM im Sommer 2018 einen Bericht zu den wirtschaftlichen Interessen des Militärs publiziert. Natürlich war vieles davon schon zuvor bekannt; dies war jedoch die erste offizielle, wenn auch nicht vollständige Auflistung von Firmen, mit denen man laut FFM nicht geschäften solle. Und so stellen sich kritische Bürger, Touristen, Firmen, Botschaften oder NGOs seitdem die Frage, wie weit man den Vorschlägen folgen und versuchen soll, nicht indirekt den „versuchten Genozid“ zu finanzieren. Bei Bankaccounts oder beim Fliegen scheint der Fall klar – mit Unternehmen der KBZ-Gruppe sollte man sich nicht abgeben, da diese dem Militär gehört. Oder Telekom: Der Anbieter Mytel geht gar nicht, da zu 28 Prozent in Militärbesitz. Beim Bier wird‘s schwieriger: Viele Bars schenken bloss Bier aus der Myanmar-Brauerei aus, die zu 49 Prozent den Union of Myanmar Economic Holdings, einem Konglomerat in Militärbesitz, gehört. Das ist nicht nur geschmacklich und namenstechnisch – als würde in der Schweiz jemand sein Bier Schweiz nennen! – nicht jedermanns Sache, sondern auch ethisch. Ich kenne allerdings keinen, der im Falle des Biers nicht auch mal ein Auge zudrückt.
V wie Verwundbar
Myanmar ist, unter anderem laut dem Global Risk Index, eines der durch den Klimawandel am stärksten bedrohten Länder. Die Katastrophe droht in vielen Formen: In der Dry Zone drohen immer stärkere Dürren, die sich heute schon bemerkbar machen. Das flache Delta des Irrawaddy-Flusses, oft als „Myanmar’s Rice Bowl“ bezeichnet, wird durch den Anstieg des Meeresspiegels stark getroffen werden. Und Zyklone wie Nargis vor zwölf Jahren, der über Hunderttausend Tote forderte, dürften häufiger werden, worauf die Infrastruktur des Landes in keiner Weise vorbereitet ist.
W wie Wääh
Es passiert wohl am ersten Tag der meisten Trips nach Myanmar und es ist jedes Mal der erste Schock: Taxifahrer, die mitten während der Fahrt die Autotüre aufreissen und eine blutrote Suppe auf die Strasse spucken. Wo bin ich denn hier gelandet? Dabei – vgl. Buchstabe S – ist der öffentliche Raum sehr friedlich. Klar, es ist kein Blut, sondern Betelnuss-Spucke. Die geschnittene Nuss, gemischt mit gelöschtem Kalk und Tabak, wird hier wie in anderen Ländern Südasiens gekaut wie anderswo Kaugummi und hat einen aufputschenden Effekt. Weil sie die Speichelproduktion anregt, produzieren die Kauenden beeindruckende Massen an Mundinhalt. Und weil das Ganze beliebter als Rauchen ist, kleistern sie ganze Strassenzüge damit zu, bis der nächste Regen das Ganze wegwäscht. Wo das Land eine gute Falle machen will, wird das allerdings verboten, wie zum Beispiel am Flughafen, wie folgendes Bonus-Bild beweist:
X wie x-fach Mother Suu
Natürlich ist alles wie immer viel komplizierter, doch oft scheint es, als sei Regierungschefin Aung San Suu Kyi Myanmar und Myanmar Aung San Suu Kyi. Zumindest wuchsen Sympathie und Missgunst der internationalen Gemeinschaft gegenüber beiden parallel – mit dem Rohingya-Drama als Wendepunkt. Doch „The Lady“ ist nicht nur für die Aussenwelt die Repräsentantin ihres Landes, sondern, orchestriert von ihrer Partei National League for Democracy (NLD), auch im Land selbst. Im Dezember verteidigte sie das Militär am ICJ in Den Haag gegen den Vorwurf des Genozids. Das war absurd, schliesslich hatten genau diese Militärs sie jahrzehntelang unter Hausarrest gesetzt. Doch in Hinblick auf die Wahlen im kommenden Herbst ergibt das Manöver Sinn, kann sie sich doch nun als „Mother Suu“, die gegen alle internationalen Angriffe ihre schützende Hand über ihr Volk hält, positionieren. Mich interessiert, wie viel bei Suu Kyis Reise nach Den Haag Herzblut und wie viel zähneknirschende Taktik war. Herausfinden werden wir das erst wohl durch ihre Aktionen nach der Wahl, die der NLD wohl wieder die absolute Mehrheit bringen dürfte.
Y wie Yaba
Myanmar ist nicht bloss der nach Afghanistan zweitgrösste Schlafmohnproduzent, sondern mittlerweile auch der grösste Methamphetamin-Hersteller der Welt. Die Chemikalien und die Hintermänner kommen oft über die poröse Grenze mit China, gekocht wird es dann in Buschküchen im Shan State im Nordosten des Landes, über den der burmesische Staat in weiten Teilen keine Kontrolle hat. In Asien hat Meth vor allem als Yaba genannte Pille, die es ab umgerechnet einem Franken gibt und die auch Koffein enthält, Karriere gemacht. In den Rest der Welt wird dagegen das pure, deutlich stärkere Crystal Meth exportiert.
Z wie Zugfahren
Wer effizient unterwegs sein will, nimmt den Bus oder den Flieger. Die Eisenbahn dagegen – früher bildete sie neben den Flüssen die Lebensadern des Landes – ist heute für alle von der Mittelschicht aufwärts bloss noch ein Abenteuer. Natürlich musste ich mich da reinstürzen. Für die laut Fahrplan neunstündige, in der Realität aber zwölfstündige Fahrt von Yangon nach Nay Pyi Taw in der ersten Klasse bezahlte ich umgerechnet vier Franken. Das Taxi zum Hotel in Nay Pyi Taw war doppelt so teuer. Da der Zug so langsam vor sich hin schaukelt, sprangen während der Fahrt konstant fliegende Händler zu und ab, um uns ihre Snacks zu verkaufen, was beste Unterhaltung ist. Und da viele Dörfer und Städte immer noch um die Schienen herum gebaut sind, sieht der Reisende beim Vorbeituckern den Menschen beim Leben zu. Sehr zu empfehlen!
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