Taxi-Smalltalk – Nepal Edition
Nepal hat sein eigenes Uber. Eigentlich sogar zwei: Pathao und InDrive. Niemand verbringt mehr als drei Tage in Kathmandu, ohne sich diese zwei Apps auf das Handy zu pfeffern. Die Apps funktionieren leicht anders: Pathao schreibt einem einen Preis vor, auf InDrive bietet man als Gast einen Preis an. Die Fahrer können akzeptieren oder mit Gegenangeboten reagieren. Dipak fährt wie fast alle Taxis für beide Apps. Er bietet an, mich für 485 Rupien nach Hause zu fahren, ich klicke auf den kleinen Balken der akzeptieren bedeutet und schaue dabei zu, wie sein Toyota auf der digitalen Karte näherruckelt.
Hallo.
Hallo. Du solltest auf die andere Strassenseite stehen, bei diesem Verkehr ist es dort einfacher, ein Taxi zu bekommen.
Ah, danke.
Wo bist du her?
Aus der Schweiz.
Und wie lange bleibst du hier?
Taxifahrer warten auf Kundschaft in Thapathali, Kathmandu. (Xenia Klaus)
Acht Wochen.
Interessant. Ich habe 16 Jahre lang in Dubai gelebt. Ich bin erst Anfang Jahr zurückgekommen.
Das ist eine lange Zeit. Was hast du dort gemacht?
Ich bin auch gefahren. Aber sehr, sehr grosse Fahrzeuge für eine Firma.
Wieso bist du zurückgekehrt?
Meine Kinder sind jetzt Teenager. Es braucht mich für ihre Erziehung.
Wieviele Kinder hast du?
Drei. Sie sind 18, 14, und 14 Monate alt. Zwei Töchter und einen Sohn. Beim Kleinen sehe ich jetzt die Sachen, die ich bei den Älteren verpasst habe.
Was hast du verpasst?
Das Meiste.
Gehen die zwei Älteren noch zur Schule?
Ja. Die Älteste mag es nicht besonders. Sie tanzt und singt lieber. Aber die Jüngere ist eine hervorragende Schülerin. Sie liebt das Lernen. Ich bin auf beide sehr stolz.
Sticker auf einem Taxi in Kathmandu. (Xenia Klaus)
Wie ist, es zurück zu sein?
Gut. Ich mag mein Land. Ich bin stolz auf Nepal. Es bringt nichts, immer schlecht über sein Land zu sprechen. Es ist schön, wieder hier zu sein.
Wie hast du in Dubai gewohnt?
In einem Zimmer mit so neun bis zehn anderen Nepalesen.
Tönt anstrengend.
Oh das war es. Aber man ist ja eh nur die sechs bis sieben Stunden, die man schläft, dort. Dann steht man auf und arbeitet wieder. Deshalb geht es, so zu wohnen. Aber manchmal war es schon sehr angespannt. Es war kein normales Leben. Aber ein normales Leben zu führen geht nicht, weil man ja das Geld heimschickt. Wenn man ein normales Leben führt, bleibt kein Geld übrig und dann ist es sinnlos.
16 Jahre sind eine lange Zeit dafür, kein normales Leben zu führen.
Das stimmt. Aber man gewöhnt sich auch daran. Ich habe meiner Frau Geld geschickt und meinen Kindern geht es gut. Und jetzt bin ich ja zurück.
Wie hast du damals deinen Job gefunden?
Durch eine Agentur hier in Nepal. Dann checken die dich richtig durch, mit Gesundheitscheck und allem.
Magst du das fahren?
Ich bin immer gefahren. Es ist ein seltsamer Beruf. Aber hier gibt es nicht viel anderes. Es gibt so viele Fahrer in Kathmandu. Gibt es in der Schweiz auch Taxis?
Ja, mein Vater war auch Taxifahrer.
Mag er es?
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt. (Xenia Klaus)
Ich weiss es ehrlich gesagt nicht.
Und fährt er noch?
Er ist gestorben.
Das tut mir leid.
Danke. Sind deine Eltern auch schon gefahren?
Nein, sie waren Bauern. Also sie sind Bauern, sie haben Schweine und Hühner und zwei Büffel für die Milch.
Konnten sie davon eure Familie ernähren?
Ja, das ging.
Du wolltest nicht Bauer werden?
Mein älterer Bruder hilft meinen Eltern. Das reicht.
Weisst du, was für mich verrückt ist? Wie normal deine Biografie ist. Der Wachmann bei mir Zuhause hat eine sehr ähnliche. Es ist krass, wieviele Menschen hier emigrieren.
Ich finde das auch verrückt. So viele Millionen, die einfach weg sind von ihren Familien und Freunden. Alle gehen. Viele bleiben dort, viele sterben dort. Aber ich habe jetzt genug verdient, dass ich zurückkommen konnte. Ich will nie wieder weg.
Am kleinen Teich in dessen Nähe ich wohne, hält Dipak an und fragt, ob hier gut sei. Ich drücke ihm die umgerechnet 3.50 Franken in die Hand, die mich die zwanzig Minuten Fahrdienst kosten, überlege mir, wie viel höher dieser Betrag sein müsste, damit Dipak hier geblieben wäre und entschuldige mich für die vielen Fragen. „Kein Problem“, sagt Dipak, „ist doch wichtig, dass wir uns füreinander interessieren.“
Aktuell arbeiten ungefähr 4 Millionen Nepales:innen im Ausland, meist in den Golfstaaten oder Malaysia. Die Arbeit ist häufig gefährlich: Zwischen 2020 und 2023 sind 4035 von ihnen gestorben. Fast ein Viertel des GDPs von Nepal besteht aus Zahlungen aus dem Ausland. Hinzu kommen zahlreiche junge Menschen, die das Land für ein Studium verlassen.
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