Von der Karibik in die Anden: Venezolanische Migranten in Bolivien

Venezuela durchlebt eine schwere humanitäre Krise, und die Zahlen dazu sind eindrücklich. Oder tragisch: In einer von venezolanischen Universitäten durchgeführten Studie gaben zwei Drittel der Befragten an, im vergangenen Jahr Gewicht verloren zu haben – durchschnittlich elf Kilo. Bereits im Mai 2017 deckte der venezolanische Mindestlohn nur noch 12 Prozent der monatlichen Kosten für die Ernährung einer Person. Die Hauptstadt Caracas hat die zweithöchste Mordrate der Welt. Die Inflationsrate ist eine der höchsten weltweit je verzeichneten: Der IWF schätzt sie für 2018 auf 13 000 Prozent. Laut der Internationalen Organisation für Migration haben über eineinhalb Millionen VenezolanerInnen das Land seit 2015 verlassen. Es ist eine der grössten Migrationsbewegungen in der Geschichte Lateinamerikas.

María und Wolfgang vor ihrem Arepas-Stand.

Immerhin der Präsident macht gute Miene: Im Wahlkampf, dessen Ausgang von Beginn weg feststand, tanzte Nicolás Maduro mit steifen Hüften Reggaeton, während sich an der Landesgrenze Tausende die Beine in den Bauch standen, um die Ausreiseformalitäten abzuwickeln.

Arepas und Salsa

Für «Página Siete» habe ich drei venezolanische MigrantInnen in La Paz porträtiert. Bolivien – das ärmste Land Südamerikas – gehört nicht zu den bevorzugten Zielen der venezolanischen Auswanderer. Nur rund 3000 von ihnen leben hier. Zum Vergleich: In Kolumbien leben rund eine halbe Million Venezolanerinnen und Venezolaner. Doch auch in Bolivien ist der venezolanische Exodus sichtbar, etwa in Form der Arepas-Stände, die zuletzt in vielen Quartieren eröffnet wurden. VenezolanerInnen kommen nach Bolivien wegen familiärer Verbindungen, weil sich eine Arbeitsgelegenheit auftut, oder weil sie die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen.

Ich porträtierte das Ehepaar María und Wolfgang, die gleich um die Ecke von der Redaktion von «Página Siete» Arepas verkaufen. Die beiden sagen, sie hätten in Bolivien ein neues Zuhause gefunden. Und doch schauen sie jeden Tag auf CNN Nachrichten über Venezuela und verdächtigen ihre kubanischen Kunden, mit Maduro unter einer Decke zu stecken. Ich porträtierte auch den Arzt Luis, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen wollte, weil er fürchtete, von den venezolanischen Behörden schikaniert zu werden. Nach dem Interview gingen wir in eine Pizzeria, weil er mich über die Schweiz ausfragen wollte. Während des Essens erreichten ihn ein Anruf und die Nachricht, dass er eine neue Stelle in der Dominikanischen Republik gefunden hatte. Er war so erleichtert, der Höhe und Kälte von La Paz zu entkommen, dass er sich nach dem Essen in einer Bar betrank, die Jukebox Salsa spielen liess und mit der einzigen Frau im Raum zwischen Tischen voller Bierflaschen tanzte.

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