Zwischen Tradition und Moderne: Der Kampf um Benins Zukunft
Eine Polizeipatrouille löst auf der Redaktion Nervosität aus. Die Ordnungshüter haben im Schatten eines Baums vor dem Radio geparkt. Während draussen die Nachmittagssonne unablässig vom Himmel herunterbrennt, wird drinnen hitzig diskutiert. Am selben Tag noch entscheidet das Verfassungsgericht über einen Rekurs der Opposition. Ihre Kandidaten wurden von der Wahlbehörde aus formellen Gründen nicht für die Teilnahme an der Präsidentschaftswahl zugelassen. Gerüchte machen die Runde, die Polizei soll Protest gegen den Entscheid gar nicht erst aufkeimen lassen.
Wenn Elefanten kämpfen, leiden die Gräser
Wer in Benin über Politik spricht, tut das meist sehr bildhaft. Was poetisch anmutet, beschreibt im Kern den politischen Machtkampf, hier oft «bras de fer», also Armdrücken genannt. «Wenn Elefanten kämpfen, leiden die Gräser.», ist so ein Sprichwort. Seit Jahren dominieren zwei Schwergewichte die politische Arena im Land: Patrice Talon, der aktuelle Präsident des Landes, und sein Vorgänger Boni Yayi. Einst waren sie Weggefährten. Talon (Spitzname Baumwollkönig) finanzierte Boni Yayis erfolgreiche Präsidentschaftskandidaturen in den Jahren 2006 und 2011. Heute stehen sie sich als Rivalen gegenüber. Ihr Kräftemessen steht sinnbildlich für die gegensätzlichen Strömungen in Benin.

- Links der aktuelle Präsident Talon, der Mann aus dem Süden des Landes, der Eleganz wie kein zweiter verkörpert. Stets in Anzug und Krawatte gekleidet, umweht den ehemaligen Geschäftsmann mehr als nur ein Hauch von Moderne. Seine wohlüberlegte Wortwahl lässt ihn zuweilen kühl und kalkulierend wirken. Angetreten mit dem Versprechen, das Land zu entwickeln, regiert Talon seit 2016 wie ein Manager. Die Wachstumszahlen und vor allem das steigende Bruttoinlandsprodukt zeugen vom Erfolg seiner Politik.
- Viele Menschen fühlen sich jedoch zurückgelassen. Dies trotz Ausweitung der sozialen Sicherungssysteme. Talons Gegenspieler Boni Yayi verkörpert für viele jenen Landesvater, der sich auch um die Ärmsten sorgt. Er stammt aus einer Stadt der nördlichen Landeshälfte Benins, wo Berufe wie Jäger hohes Ansehen geniessen. 2006 setzte er sich gegen die politische Elite durch und wurde zum Präsidenten gewählt. Die Wählerschaft schätzte, dass er die Traditionen seines Landes respektiert. Dem jetzigen Parteipräsidenten der Opposition wurde zuletzt vorgeworfen, die Partei in Eigenregie zu führen.
Man bereitet kein Omelett zu, ohne Eier zu zerbrechen
Der Protest beschränkt sich auf die Sozialen Medien an jenem Freitag, als das Verfassungsgericht den Rekurs der grössten Oppositionspartei ablehnt. Ihr Kandidatenduo wird nächstes Jahr nicht an der Präsidentschaftswahl teilnehmen. Die eintretende Dämmerung draussen vor dem Radio lässt die Temperaturen abkühlen, drinnen in den Redaktionsräumen die Gemüter. Die Polizeipatrouille zieht ab. Ob sie tatsächlich Aufruhr verhindern haben soll, bleibt unklar. Jedenfalls zeigt die Fahrt nach Hause keine erhöhte Polizeipräsenz in Parakou, das bei ähnlichen Entscheidungen in der Vergangenheit zum blutigen Unruheherd geworden war.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Opposition nicht zu den Wahlen zugelassen wird. Benin, eigentlich Vorbild auf dem Kontinent seit der Hinwendung zur Demokratie im Jahr 1990, durchläuft seit 2019 eine politische Krise. Das Parlament hatte damals ein neues Wahlgesetz verabschiedet. Fünf von sieben Parteien schafften es nicht, die Anforderungen rechtzeitig zu erfüllen und konnten nicht an der Parlamentswahl teilnehmen. Die Opposition boykottierte die Wahl. Der Bericht der Wahlbeobachtungsmission der Afrikanischen Union konstatierte, dass die strukturellen Reformen für die Stabilisierung des beninischen Parteiensystems sicherlich notwendig gewesen seien, sie aber den offenen, inklusiven und wettbewerbsorientierten Charakter der Wahl beeinträchtigt hätten.
Die Nachwehen der Parlamentswahl 2019 verhindern die Teilnahme der Opposition an der Präsidentschaftswahl 2021. Bewerber:innen müssen sich von gewählten Politiker:innen empfehlen lassen. Wegen der Nichtteilnahme an der Parlamentswahl und dem teilweisen Boykott der Kommunalwahlen verfügt die Opposition über zu wenige Patenschaften. Ein Wähler, der seine Stimme Präsident Talon gegeben hat, drückt es so aus: «Man bereitet kein Omelett zu, ohne Eier zu zerbrechen.» Für ihn habe die Entwicklung des Landes Priorität. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Wie die Kolonialzeit die Politik bis heute beeinflusst
Seit Jahren ist das politische Klima in Benin angespannt. Nächstes Jahr ist ein Mega-Wahljahr. Viele Institutionen des Landes werden neu besetzt: Präsidentschaft, Parlament, sowie Kommunalregierungen. Während der Wiedereinzug der Opposition in die Nationalversammlung nach der Parlamentswahl 2023 diese kurzzeitig aufatmen liess, ist die Stimmung derzeit getrübt. Die Nichtteilnahme an der Präsidentschafts- und der Parlamentswahl, lässt viele hier im Norden verzweifeln. Gespannt wird der Entscheid der Wahlbehörde über die Zulassung an den Kommunalwahlen erwartet.


In der Küstenstadt Ouidah im Süden des Landes erinnert die Porte du Non-Retour an die Verschleppung von Millionen von Gefangenen in die Kolonien jenseits des Atlantiks. Derzeit wird gleich daneben ein Schiff für den Transport von versklavten Menschen nachgebaut.
Politik bedeutet in Benin nicht nur das Verhandeln von Interessen. Bis heute beeinflussen die Auswirkungen der Kolonialzeit und des transatlantischen Sklavenhandels die Zugehörigkeit zu einem politischen Lager. Sozialwissenschaftler sprechen von sogenannten Erinnerungsblöcken. Die Unterscheidung liegt zwischen jenen, die zur Kolonialzeit Beihilfe zur Sklaverei geleistet haben und jenen, die gefangen genommen wurden, um verkauft zu werden. Politische Gegner hatten Talon schon vorgeworfen, seine Familie habe zu ersterer Gruppe gehört. Die historische Forschung zeigt zudem, dass französische Kolonialbeamte Menschen bewusst ethnische Identitäten zuschrieben, mit dem Ziel, sie voneinander abzugrenzen und gegeneinander auszuspielen.
Der Kampf um Benins Zukunft erfordert nicht nur Versöhnung in der Gegenwart, sondern ebenso mit der Vergangenheit. Den Radiostationen, verteilt über das ganze Land, kommt dabei eine zentrale Aufgabe zu. Deeman Radio gehört mit derzeit 53 anderen Sendern zu einem Verband, der von der Deza finanzielle Unterstützung erhält. Die Radios sehen sich im Dienst der lokalen Bevölkerung und setzen sich für das Recht auf Information, Frieden und den sozialen Zusammenhalt ein.
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