Kriselnder Journalismus und motivierte Journalist:innen
Kündigungen passieren von heute auf morgen, Interviews beschmutzen den sonst schon schwierigen Stand des Journalismus in Peru und der Redaktion von La República wird jetzt mal ein Kränzchen gewunden.

«Leute, ich habe gekündigt», sagt Dax. Sie ist auf unsere Seite der Tischreihe gekommen. Ich drehe mich um: «Was? Wann gehst du?» «Nächsten Montag.» So läuft das in Peru. Es gibt keine monatelangen Kündigungsfristen wie in der Schweiz. Beziehungsweise gibt es theoretisch gesehen solche Fristen, aber die Unternehmen lassen die Mitarbeitenden gehen, wenn sie anderswo eine Stelle gefunden haben, damit sie sich weiterentwickeln können. So wurde mir das erklärt.
Dax’ Abgang ist ein Verlust für La República. Sie ist 23 Jahre alt, sehr smart, motiviert und voller Energie. Das hat wohl auch El Comercio gemerkt, sie haben Dax abgeworben. Für Dax ist das eine Chance, denn El Comercio ist die grösste und eine der angesehensten Zeitungen in Peru, auch wenn ein Interview dort kürzlich für viel negative Kritik gesorgt hat.
Zustand der Presse
Die Journalistin Magaly Medina führt in einer TV-Streaming-Sendung ein Gespräch mit dem Präsidenten José Jerí – ein Politinterview in einem seriösen Setting. Die ganze Show dauert fast zwei Stunden, es geht um alle möglichen Themen, Probleme gibt es zuhauf im Land, in vier Monaten sind Wahlen. Medina spricht Jerí aber auch auf persönlicheres an, konkret auf zwei prominente Frauen. Sie fragt ihn, welche der beiden er attraktiver fände. Auch wollte sie Jerí in der Sendung dazu motivieren, «La Machina» zu tanzen – ein Dance-Move, mit dem der Präsident zuvor viral ging. Meine Arbeitskollegin Estefanie sagte zu diesem Interview bloss: «Das ist der Untergang des Comercio.»

Ob es gleich das Ende der traditionsreichen Zeitung ist oder was dieses eine Interview über den Zustand der Presse in Peru aussagt, sei dahingestellt. Sicher ist: Der Journalismus hier hat in den vergangenen Jahren massiv gelitten. La República hatte im Jahr 2020 noch 800 Mitarbeitende, jetzt sind es rund 500. Die meisten Journalist:innen sind in Lima, Aussenbüros gibt es kaum noch. Vor allem die Pandemie hat der Zeitung zugesetzt, aber natürlich auch die Medienkrise, die auf der ganzen Welt passiert.
Peru schneidet auch bei der Rangliste für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen schlecht ab und ist auf Platz 130 von 180. Im Jahr 2022 ist Peru 53 Plätze zurückgefallen, wegen «der juristischen Verfolgung von Journalisten, Desinformationskampagnen und dem zunehmenden Druck auf unabhängige Medien». Der Demokratie, die Peru gerne sein möchte, hilft das nicht.
Westliche Stereotype
Eine Freundin fragte mich kürzlich, wie die Journalist:innen in Peru arbeiten. Sie sagte: «Ich weiss, das ist doof, aber ich habe aus irgendeinem Grund das Vorurteil, dass sie das dort weniger gut machen.» Dieses Bild, dass Leute in der südlichen Hemisphäre weniger, langsamer, nicht so gut arbeiten, hat nicht nur meine Freundin. Ich würde behaupten, das ist ein verbreiteter Stereotyp im Westen. Funktioniert etwas nicht wie geplant, wird auf den Faktor Mensch reduziert, ohne die äusseren Umstände zu beachten, die Strassenbedingungen, die Internetverbindung, die Energieversorgung.

Umgekehrt denken die Menschen hier zwar, alle Leute in Europa hätten Herzen so kalt wie Eis. Aber was den Arbeitskontext angeht, da wird glorifiziert. Alles ist geordnet, sauber und funktioniert. Dieses Bild wird dann automatisch auf die Fähigkeiten der Menschen übertragen. Eine Anekdote dazu: Eine ältere Frau sagte mir kürzlich: «Wenn ich mich entspannen will, dann tippe ich auf Youtube ‹Schweiz› ein und schaue mir Videos von Landschaften, sauberen Städten und fahrenden Zügen an.»
Zurück zur Arbeit der Peruaner:innen: Ich kann keine Analyse der gesamten Medienlandschaft in Peru machen und ein umfassendes Urteil zur journalistischen Arbeit fällen. Aber was ich auf der Redaktion sehe und erlebe, ist viel Engagement, Können und Leidenschaft für den Journalismus. Es wird nach Prinzipien gearbeitet, wie sie auch in der Schweiz gelten. Zudem unterstützen die Kolleg:innen einander. Man tauscht Kontakte und Informationen aus, hilft sich bei Projekten. Als ich mit einer Geschichte zum Kakaomarkt auf Aaron zugegangen bin, hat er ohne zu zögern seine Unterstützung zugesichert. Auch Fios Lieblingssatz an mich ist: «Wenn du irgendetwas brauchst, sag mir einfach Bescheid.»



Mikrokosmos Redaktion
Was ich bis jetzt auf jeder Redaktion, auf der ich gearbeitet habe, immer spannend fand, ist dieser Mikrokosmos. Der lässt sich auch bei La República beobachten. Es gibt diese sehr unterschiedlichen Charaktere, die ihre Felder beackern und sind, wie sie eben sind, je nachdem, in welchem Ressort sie arbeiten. Mit den Zahlen, den Menschen, den Politiker:innen, der Kultur, den investigativen Recherchen im Kopf. Es gibt die alten, erfahrenen Hasen, jene Leute inmitten ihrer Karriere und die ganz Jungen, die gerade Fuss fassen. Alle arbeiten über Stunden konzentriert an ihren Stücken, und dann gibt es immer wieder die Pausen und Mittagessen, bei denen ich mich vor Lachen krümme, weil diese Leute einfach Humor haben.
Zum Abschied von Dax gehen wir zum Mittagessen in ein Restaurant. Irgendwann sagt Fio: «Aaron, du als Ressortkollege von Dax, magst du die Abschiedsworte eröffnen?» Und Aaron holt, wortgewandt, herzlich und seriös, wie er ist, zu einer grossen Rede aus. Ich denke mir: «Ach, er spricht jetzt im Namen von allen.» Aber: Jede einzelne Person am Tisch, und wir sind neun Leute, richtet einige Abschiedsworte an Dax. Auch ich hatte meine Momente mit ihr auf der Redaktion, rekapituliere das kurz und richte meine besten Wünsche aus.

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