Arabian Nights

Santosh Rai steht auf der steil abfallenden Kieselstrasse in den Outskirts von Okhaldhunga und fragt mich, was er mit den Händen machen solle. Ich senke die Kamera, überlege, sage ihm, er soll eine “hampfele” der trockenen Erde zwischen seinen Händen zerreiben und in die Kamera schauen. Santosh lächelt, macht, was ich sage, zerreibt Erde zwischen seinen Händen. Ich knippse ab, zoome auf die Hände. Sie sehen jugendlich aus, gepflegt. Doch sie haben schwer geschuftet in den vergangenen Jahren. Und Santosh, der 28-jährige Bauer aus dem kleinen Dorf Diktel, ist gottenfroh, dass er diese Zeit lebend überstanden hat.

Santosh RaiSantosh war 22, frisch verheiratet, wurde Vater einer kleinen Tochter. Seine Frau und er arbeiteten hart, bestellten das Reisfeld vor dem elterlichen Bauernhof. Doch die sieben Ropani Land (ca. 0.3 Hektaren) warfen nicht genug ab, um die Familie zu ernähren. Santosh suchte Arbeit, erfolglos. Er gärte einen Teil seines Reises, verkaufte das “Roxy”, das bitter-saure Reisbier. Und noch immer reichte das Einkommen nirgendwohin. Santosh hatte von Nachbarn gehört, dass es im Ausland gutes Geld zu verdienen gäbe. Er fasste einen Entschluss, verabschiedete sich von Frau und Tochter und nahm die lange, holprige Reise nach Kathmandu auf sich, um sich nach diesen vermeintlich guten Stellen im Ausland zu erkundigen. In einer Zeitung wurde er fündig, meldete sich auf das Inserat eines saudischen Arbeits-Agenten und unterschrieb einen Vertrag. Er nahm bei ihm ein Darlehen über 100’000 Rupien (knapp 1000 Franken) auf und wurde mit dem Flugzeug ins ferne Königreich verfrachtet. Seine Abmachung mit dem saudischen Agenten: zwei Jahre in Saudi Arabien als Elektriker arbeiten, 750 Riyal (rund 190 Franken) im Monat verdienen (Kost und Logie werden von der Firma bezahlt), sein Darlehen zurückerstatten, so viel Geld wie möglich sparen und dann zurückkommen nach Diktel, mit Cash, Erfahrung und neuen Perspektiven.

140 Franken Monatslohn

Doch, die arabische Fantasie wurde rasch zum saudischen Fiebertraum. Santosh lernte bereits am ersten Tag, dass er nicht als Elektriker arbeiten wird, sondern als Gehilfe auf dem Strassenbau krampfen werden muss. Er arbeitete nachts, 70 Stunden pro Woche, schleppte Steine und schob Schubkarren hin und her. Er arbeitete mit Arabern, die ihn nicht verstanden und die er nicht verstehen konnte. Er wurde ausgelacht, angeschrien und weinte sich frühmorgens im engen Achterschlag in den unruhigen Schlaf. Er wurde im ganzen Land herumgeschickt, schleppte Steine in Khobar, grub Löcher in Dammam, hievte Zementsäcke in Jeddah. Dann kam der erste Zahltag. Die versprochenen 750 Riyals erhielt er ausbezahlt, doch die Firma wollte nichts wissen von gratis Essen und Logie. 200 Riyals musste er umgehend zurückerstatten. Sein Lohn nach 30 Tagen Arbeit: umgerechnet 140 Franken.

Santosh begann, an seiner Flucht herumzuplanen. Er hielt es nicht mehr aus, und hatte noch immer 23 Monate dieses Horrors vor sich. Er überlegte, plante, träumte von der Flucht. Doch immer wieder wurde er versetzt, und immer wieder rechnete man ihm vor, wie viel Geld er der Firma für sein aufgenommenes Darlehen noch schulde. Irgendwann gab Santosh auf, liess sich treiben, schuftete Nacht für Nacht durch, ohne Pause, ohne Wochenende, ohne Ferien. Nach einem Jahr hatte er genug Geld zusammen, um sich ein Telefon zu kaufen. Einmal pro Woche rief er zuhause an, für ein paar Minuten, verschwieg sein Schicksal, schluckte leer, wenn er seine kleine Tochter hörte. Santosh wollte nach Hause, unbedingt.

Im Nirvana

Okhaldhunga (4)Am Ende des zweiten Jahres hatte er sein Darlehen zurückbezahlt. Geblieben von über 700 Tagen harter Arbeit sind ihm danach knapp 10’000 Nepali Rupees, nicht mal 100 Franken. Santosh war das egal. Sein Vertrag war vorbei, er wollte nur noch raus hier. Doch, die Firma hatte andere Pläne für Santosh, den stillen Arbeiter. Sie wollte ihn behalten, hielt seinen Pass zurück. Er konnte nicht ausreisen, sass zwei Monate lang in einem Raum fest, ein Gefangener seiner Arbeitgeber. Sie gaben ihm nichts zu Essen, keine Entschädigung für die lange Wartezeit. Santosh hungerte, doch irgendwann konnte er nicht mehr. Er begann, von seinem Ersparten Brot zu kaufen. Er hatte keine Möglichkeit, seine Familie zu kontaktieren, wartete hungernd im Nirvana zwischen dem saudischen Fiebertraum und der fernen Heimat. Einem indischen Mitgefangenen gelang es, nach knapp zwei Monaten Kontakt mit einem Anwalt aufzunehmen. Der Anwalt informierte die saudische Migrationsbehörde, und zu Santosh’ grossem Erstaunen stand eine Woche später die Polizei in dem engen Raum und händigte ihm und seinen Mitgefangenen ihre Reisedokumente aus. Santosh flog nach Hause, nach Diktel im Osten Nepals. Mehr als zwei Jahre lang hat er in Saudi Arabien gelitten. Nur durch einen glücklichen Zufall hat er es wieder nach Hause geschafft. Von seinen ersparten 10’000 Rupien blieb im Nichts. Santosh weinte, als er durch das kleine Dorf zurück zum Hof seiner Eltern rannte. Vor Freude, und vor Scham.

Und jetzt steht er da, zerreibt die trockene Erde in seinen Händen und lächelt freundlich in die Kamera. Seine Frau hat in den zwei Jahren seiner Abwesenheit Unterstützung erhalten vom “Sustainable Soil Management Program” (SSMP) der DEZA. Sie hat gelernt, wie sie mit einfachen Bewässerungsmethoden und einem Gewächshaus aus Plastikblachen Tomaten, Zwiebeln und Blumenkohl anpflanzen kann. Sie weiss, wie man aus Geissenurin Schädlingsbekämpfungsmittel herstellt und sammelt den Mist ihres Büffels, um ihn als Dünger für die Tomatenstauden zu verwenden. Sie hat Santosh alles beigebracht. Kürzlich haben sie zusätzliches Land gemietet und ein zweites Gewächshaus aufgestellt. Im vergangenen Jahr haben sie knapp 100’000 Rupien (knapp 1000 Franken) verdient mit ihrem Stand auf dem Gemüsemarkt in Okhaldhunga. Santosh ist zufrieden. Das Leben habe es gut gemeint mit ihm, sagt er, und lächelt, noch lange, nachdem ich die Kamera in meiner FREITAG-Tasche verstaut habe.

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Tara und Sita Buniya hatten von Beginn weg mehr Glück als Santosh. Die beiden sahen sich bereits nach Migrationsmöglichkeiten ins Ausland um, da ihr Land nicht genügend Hirse und Mais abwarf, um damit Geld zu verdienen und Gemüse zu kaufen. Doch dann erfuhren sie vom “District Road Support Program” (DRSP) der DEZA, die rund um Okhaldhunga verschiedene Strassenbauprojekte geplant hatte. Sie erhielten Jobs als Strassenbauer und arbeiteten 2011 je hundert Tage auf dem Bau. Das brachte ihnen genügend Geld ein, um ein kleines Gewächshaus zu bauen und Tomaten-, Chilli- und Orangen-Samen zu kaufen. Letztes Jahr verdienten sie mit dem Verkauf ihres Gemüses rund 150’000 Rupien (1500 Franken). Ihre beiden Kinder schicken sie auf die Privatschule, die bessere der beiden Bildungsstätten im Dorf, und ihre Zukunft sehen sie hier im Okhaldhunga Distrikt. “Unser Leben ist noch immer dasselbe”, sagt Sita. “Wir arbeiten hart, jeden Tag. Aber, im Unterschied zu früher bleibt uns am Ende des Monats ein wenig Geld übrig, das wir in unseren Hof und die Ausbildung der Kinder investieren können.”

Das ist wunderbar, und tönte für mich fast ein wenig einstudiert. Talak, mein DEZA-Translator und Motorradchauffeur, wusste genau, wen er dem Journalisten zum wohlig stimmenden Schmaus vorwerfen konnte. Die Strassenbaugeschichte hat aber auch eine düstere Seite, wie ich kurz darauf erfahren sollte.

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