Dem Tod entronnen

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Die Laguna de Apoyo in Nicaragua: Traumhaft – und tückisch.

Um Haaresbreite entkam ein junger Nicaraguaner dem Ertrinkungstod – vor den Augen von dutzenden Touristen, darunter mir. Eine verstörende Erfahrung, die einen auch mit sich selbst hadern lässt.

Seit langem wollte ich wieder mal einen Blogeintrag schreiben, das Thema war bereits ausgewählt. Doch das, was ich gestern Nachmittag erleben musste, hat mich so nachhaltig geprägt, dass ich es nun zuerst loswerden muss.

Auf dem Rückweg vom Poesie-Festival in Granada legte ich einen Zwischenhalt an der Laguna de Apoyo ein, einem beeindruckend grossen und schönen Kratersee eines erloschenen Vulkans. Ermattet von der Hitze und einem anstrengenden Gespräch mit einem amerikanischen Touristen schlief ich auf dem Liegestuhl ein. Die Sonne stand bereits merklich tiefer, als ich, wie vom Blitz getroffen, aufschreckte. Rund um mich herum schrien Leute, vor allem Frauen. Noch völlig benebelt von der Siesta realisierte ich erst gar nicht, was los war. Dann sah ich, wie im See – in vielleicht 15 Metern Entfernung – ein Mann wild mit den Armen fuchtelte. Auch er schrie, was allerdings im Stimmengewirr des Strandes fast unterging. Nur knapp konnte er sich über Wasser halten. Erst dann war mir klar: Was hier jetzt gerade abgeht, das ist so richtig ernst.

Ich bin auch ein Gaffer

In dieser Sekunde stürzte sich ein bärtiger Mann ins Wasser, ein zweiter folgte sogleich mit einem Kajak. Der Vordere – wie sich später herausstellte ein ehemaliger Rettungsschwimmer aus den USA – erreichte den Ertrinkenden keine halbe Minute später. Auch der Kajak-Fahrer traf kurz darauf ein. Sie konnten den Mann, einen ungefähr 25-jährigen Einheimischen, über Wasser halten und langsam ans Land bringen. Dort angekommen, konnte er sich nur mit Mühe aufrecht halten, immer wieder sackte er zusammen. Die Retter setzten ihn auf einen Liegestuhl, die soeben erlittene Todesangst war ihm auch aus Entfernung aus dem Gesicht zu lesen. Ziemlich lange blieb er sitzen und nahm dann dankend die Wasserflasche an, welche die Kellner des Restaurants vorbeibrachten. Weil sich keiner der Touristen um ihn herum – sei es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, sei es wegen Überforderung – um ihn kümmerte, ging ich hinüber und fragte ihn, ob wir medizinische Hilfe organisieren sollen. Er lehnte ab und lief wenig später dem Strand entlang weg.

Die ganze Rettungsaktion als Zuschauer miterleben zu müssen, war ziemlich verstörend. Ich wusste nicht, ob ich – wie praktisch alle der rund 50 anwesenden Strandgäste – auf den See schauen sollte oder nicht. Ich wollte kein Gaffer eines „Spektakels“ sein, das etwas Morbides hatte. Gleichzeitig wollte ich natürlich sehen, ob alles gut ausging. Vor allem aber fragte ich mich während und auch nach dem Geschehen, ob ich anders hätte reagieren sollen. Ich fühlte mich, alleine auf meinem bequemen Liegestuhl, so richtig nutzlos. Und irgendwie auch feige, obwohl ich mir eigentlich nichts vorzuwerfen habe. Als ich die Situation erfasste, waren die Retter schon unterwegs. Mehr Leute im Wasser hätten kaum etwas gebracht, im Gegenteil. Dennoch blieb mir den ganzen Abend ein ungutes Gefühl und ich schlief letzte Nacht, betrunken von den Eindrücken, so tief wie schon lange nicht mehr. Nie in meinem Leben habe ich einen (jungen) Menschen so nahe am Tod gesehen wie gestern Nachmittag.

Es wäre nicht das erste Mal gewesen

Denn dass es zur Tragödie gekommen wäre, hätten die Touristen nicht beherzt eingegriffen, steht für mich ausser Frage. Genau genommen weiss ich das seit dem Sonntag drei Wochen zuvor: Völlig verstört damals kamen meine WG-Kollegen nach Hause. Sie hatten soeben miterlebt, wie jemand ertrunken war. Ebenfalls an der Laguna de Apoya, an der exakt gleichen Stelle gar. Auch damals war es ein junger Nicaraguaner, nur hatte er – wohl weil niemand rechtzeitig auf ihn aufmerksam wurde – weniger Glück als der Mann von gestern. Als sie ihn nach etwa zwanzig Minuten am Grund des Sees entdeckten, war er bereits tot. Und – weil von Wasser gefüllt – schwer, wie ein Kollege erzählte. Er hatte ihn, zusammen mit anderen Touristen, aus dem Wasser gezogen.

Man sagt, dass das Wasser der Laguna de Apoyo wegen Wirbeln und Strömungen trügerisch sein kann. Hinzu kommt wahrscheinlich der Übermut von ein paar lokalen Jungen: Sie sehen, wie sich Heerscharen von Touristen im Wasser vergnügen – und wollen es ihnen nachmachen. Nur können sie oftmals nicht richtig schwimmen, zumal die Bedingungen schwierig sind. Zwischen Spass und Tragödie liegen da manchmal nur ein paar Augenblicke. Diesmal kippte die Waage auf die glückliche Seite.

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