Eine Wahl ohne Wahl

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Geschieht kein Wunder, wird Daniel Ortega auch dieses Jahr wieder zum Präsidenten Nicaraguas gewählt. Er institutionalisiert den Familien-Klientelismus immer weiter – ähnlich demjenigen, den er als Revolutionär einst selbst bekämpft hatte.

Die spektakuläre Vulkaninsel Ometepe im grössten Süsswasserreservoirs Zentralamerikas, dem Lago de Nicaragua, zieht jedes Jahr unzählige Touristen aus aller Welt an. Nicht alle Einheimischen können sich die Reise und die auf der Insel höheren Preise leisten. Offenbar nehmen aber doch noch genügend Nicaraguaner die Fähre, denn das, was im Hafen von San Jorge an der Betonmauer prangt, ist kaum an die US-Amerikaner, die Europäer oder die Russen gerichtet: „Daniel Presidente 2016“ steht da auf einem mindestens zwanzig Meter langen Spruchband.

Man muss allerdings nicht nach Ometepe kommen, um von der Staatspropaganda berieselt zu werden: In der Hauptstadt Managua gibt es kaum eine Hauptstrasse, kaum einen grösseren Platz, kaum einen Ort von Bedeutung, an dem nicht ein zumeist rosarotes Plakat des „Frente Sandinista de Liberación Nacional“, der Regierungspartei, hängt. Immer darauf: Präsident Ortega, oftmals begleitet von seiner Frau Rosario Murilla, der Regierungssprecherin und eigentlich starken Frau im Land. Es ist sie, die nie von der Bevölkerung gewählt wurde, die via ihren Mann Minister absetzt, die Institutionen kontrolliert, die über öffentliche Gelder verfügt (und diese nicht immer zweckmässig einsetzt, wie die hunderten „arboles de la vida“ – Metallbäume mit Lichterketten – in Managua zeigen). Kurz: Sie hat für eine First Lady durchaus unübliche Entscheidungskompetenzen.

Dieses Spruchband präsentiert sich den Passagieren, die mit dem Schiff von Ometepe zurückkommen.
Dieses Spruchband präsentiert sich den Passagieren, die mit dem Schiff von Ometepe zurückkommen.

Die Plakate hängen schon seit Jahren dort, seit 2006 genauer gesagt, als der einstige Revolutionspräsident Ortega unter umstrittenen Umständen gewählt wurde. Schon damals wurden Unregelmässigkeiten beim Urnengang gemeldet, die sich 2011 noch verstärkten. Aber dieses Jahr ist die Indoktrinierung der Bevölkerung besonders heftig, denn im November finden wiederum Präsidentschaftswahlen statt.

Es wird eine Wahl ohne richtige Wahl werden: Denn wer auch immer gegen Ortega antreten wird, er oder sie wird wie 2011 ohne Chance bleiben. Es gibt zwar durchaus Oppositionsbewegungen, etwa die liberale Partei oder das „Movimiento de Renovación Sandinista“, aber deren Angehörige nimmt man kaum wahr. Wie auch: Die TV-Stationen sind grösstenteils staatlich kontrolliert – etwa, in dem sie von Söhnen Ortegas geleitet werden. In der Printlandschaft gibt es nur die „La Prensa“, welche nicht regierungstreu berichtet (im „Nuevo Diario“, für den ich gearbeitet hab, gibt es niemals eine kritische Zeile zu lesen – und wenn, wie es vor meinen Augen passiert ist, wird nicht vor einer fristlosen Kündigung des „fehlbaren“ Mitarbeiters zurückgeschreckt). Und auf Strassen sind wie erwähnt nur die übergrossen Plakate mit dem fahl lächelnden Präsidentenpaar zu sehen.

Was gleichzeitig auffällt: Die Poltikverdrossenheit in der aufgrund der turbulenten Geschichte eigentlich hochpolitisierten Bevölkerung ist allgegenwärtig. Da schimpft der Taxifahrer hemmungslos über die „korrupte Politikerkaste“, da erzählt der Bekannte vom populären Ex-Bürgermeister Managuas, der bei der letzten Präsidentschaftswahl gute Aussichten hatte und plötzlich auf sonderbare Weise starb. Vor allem aber sprach ich viel mit Redaktionskollegen – und erschrak: Obwohl sie publizistisch ja alle der Regierung die Wünsche von den Lippen ablesen (müssen), fand ich keine wirklichen Anhänger von Ortega und Co. Im Gegenteil: Zahlreiche Bürokollegen gehen gar nicht wählen, da sie fürchten, dass ihre Stimme letztlich dem anderen Lager zugezählt wird. Oder sie legen – als Ausdruck des Protests – einen leeren Wahlzettel ein. In ärmeren Bevölkerungsschichten, denjenigen, die am meisten von kostenlosen Krankenhäusern und Schulen profitieren, hat Ortega allerdings weiterhin eine verlässliche Anhängerschaft.

Es sind das Ausdrücke einer Politlandschaft, die autokratische Züge angenommen hat. Daniel Ortega, der Ende der Siebzigerjahre mitgeholfen hatte, einen Caudillo aus dem Amt zu jagen, ist – zusammen mit seiner Familie – längst selbst zu einem geworden. Nur schon seine Wiederwahl 2011 war eigentlich verfassungswidrig (weshalb „La Prensa“ ihn bei jeder Gelegenheit so nennt), aber mithilfe des hörigen Parlaments ist eine Verfassung schnell abgeändert. Damit sich das Verfassungsgericht nicht dagegen auflehnen wird, hat Ortega die Anzahl der Richter erhöht und die neuen Posten mit Gefolgsleuten besetzt. Auch in der oberste Wahlbehörde sitzen seine Freunde. Kein Wunder stellen diese keine Unregelmässigkeiten fest. Diejenigen, die wohl besser hingeschaut hätten, ausländische Wahlbeobachter, wurden bei den letzten Präsidentschaftswahlen gemäss eigener Aussage in der Ausübung ihrer Tätigkeit stark behindert. Zudem wurde Ortega 2011 mit gerade mal 38 Prozent der Stimmen gewählt – nachdem er zuvor die fürs Amt notwendige Schwelle bei 35 Prozent festgesetzt hatte.

Manche Politbeobachter schliessen nicht aus, dass allenfalls in letzter Sekunde Ortegas Frau an seiner Stelle kandidiert (und gewählt wird). Es würde allerdings nicht viel ändern, ist sie ja ohnehin schon, obwohl nicht legitimiert, Teil der Regierung. Dora María Téllez, eine ehemaligen Weggefährtin Ortegas, die sich enttäuscht abgewendet hat, geht allerdings davon aus, dass Nicaragua noch einige Jahre von „Danielismo“ bevorstehen – bevor dann Rosario Murillo auf den Plan tritt. Gegenüber der spanischen Zeitung „El País“ sagte sie: „Daniel Ortega wird sein Amt nur tot verlassen. Aber längst ist er daran, seine familieninterne Nachfolge zu institutionalisieren.“

Von diesen "arboles de la vida" gibt es Managua hunderte - First Lady Rosario Murillo liess sie errichten. Für die Bevölkerung sind sie ein Symbol für die Misswirtschaft der Regierung.
Von diesen „arboles de la vida“ gibt es Managua hunderte – First Lady Rosario Murillo liess sie errichten. Für die Bevölkerung sind sie ein Symbol für die Misswirtschaft der Regierung.

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