Konfrontationen

16. September 2013 – Wieso tu’ ich mir das eigentlich an? Da die reichste Stadt der Welt, der nahe Uniabschluss, das tiptop aufgeräumte Zimmer, Freunde und Familie. Dort eines der ärmsten, korruptesten und kaputtesten Länder der Welt, weit weg von allem, was ich kenne. Ungewissheit, Dreck, Staub und Stress. Die Schweiz ist seit den 60er Jahren aktiv in diesem Land, zieht Hilfsprojekte auf, baut Brücken, Strassen und Spitäler, sensibilisiert die Menschen hier für Umweltschutz und Demokratie und möchte dazu beitragen, der nach zehnjährigem Bürgerkrieg derzeit ohne Verfassung dastehenden Nation wieder auf politisch stabile Beine zu helfen. Obs was bringt? Es ist nicht an mir, das zu beurteilen. Einen gewagten ersten Eindruck nach einem Tag in Nepals Hauptstadt möchte ich euch dennoch schildern. Natürlich im Bewusstsein darum, wie schnell sich erste Eindrücke ändern, wie schnell Ansichten und Perspektiven wechseln können. 99 Tage lang habe ich Gelegenheit, Kathmandu und Nepal kennen zu lernen. Genug Zeit, um mir selber immer wieder heftig zu widersprechen.

Flugverbot und Händchenhalten

18 Stunden lang habe ich seit gestern Morgen im Flugzeug und zwischendurch in edlen türkischen Wartehallen zugebracht. Ich habe mir dabei überlegt, was ich mir von diesem Trip erhoffe. Klar, es geht nicht um mich. Es geht um die Sache. Darum, dass ein Journalist sich in die Hilfsthematik einarbeiten, sich für bestimmte Ideen sensibilisieren kann. Es geht um die Frage: Was kann Entwicklungshilfe im 21. Jahrhundert leisten? Und, wie funktioniert der Journalismus an jenen Orten, an denen sonst nicht viel funktioniert? Ich werde mich als Schreiber bei der Kathmandu Post auf die Suche nach Antworten machen. Am Mittwoch steht mein erster Arbeitstag bevor.

Für mich persönlich – so mein Fazit nach 18 Stunden – soll das Projekt zu einer Konfrontationsphase werden. Keine Rücksicht auf die comfort zone, keine Ansprüche. Nehmen was kommt, sich mit den Lebensrealitäten dieser anderen Welt konfrontieren. Ich bin gespannt, inwieweit ich das schaffe.

Die Konfrontation beginnt in Nepal schon bei der Landung auf dem Tribhuvan International Airport. Die Landepiste wurde Ende August von den nepalesischen Behörden offiziell für alle “Grossflugzeuge” gesperrt. Zu gefährlich sei die Landung auf der löchrigen, bröckelnden Piste. Die meisten betroffenen Fluggesellschaften haben das müde lächelnd zur Kenntnis genommen. Ans Verbot halten tut sich allerdings niemand. Und durchgesetzt wird es erst recht nicht. Anfang Oktober beginnt die touristische Hauptsaison im Himalaya-Staat. Nepal kann es sich nicht leisten, den touristischen Massenstrom wegen ein paar Schlaglöchern versickern zu lassen. Die Schlaglöcher allerdings, die erinnern mit voller Wucht daran, dass sie da sind. Die erste Konfrontation mit der nepalesischen Realität rüttelt einen heftig durch.

Weil der Vermieter meines Zimmers mich erst am Nachmittag empfangen konnte, habe ich die ersten fünf Stunden in Nepal in der kleinen, warmen Wartehalle am Flughafen verbracht. Hunderte Menschen drängten sich an den mannshohen Scheiben und spienzelten ins Innere des Flughafens nach den ankommenden Verwandten und Bekannten. Ein beeindruckender Menschenauflauf, und doch blieb es unglaublich ruhig. Nur wenige sprachen überhaupt, und wenn, dann in leisem, fast beschämtem Tonfall. Aufgefallen sind mir die vielen Männer, die  händehaltend und sich in den Armen liegend in der Wartehalle umherstanden. Das sei in Nepal so üblich, habe ich irgendwo gelesen. Dennoch ist es ein spezielles Bild, wenn sich beispielsweise zwei streng blickende Polizisten händchenhaltend in die Wartehalle stellen und – aus mir unbekannten Gründen – zweimal schrill in ihre Pfeifen trällern.

Die Flughafenpolizei, übrigens, sorgt sich um ihren guten Ruf. An mehreren Orten im Flughafen hängen Plakate, auf denen steht, dass sich die Polizei hier nicht bestechen lasse. Wie das ausserhalb des Flughafengeländes aussieht, werde ich zwar hoffentlich nie herausfinden. Wenn man Transparency International glaubt, ist Nepal aber eines der korruptesten nicht-afrikanischen Länder der Welt. Wohl nicht zuletzt wegen der gern gut dazuverdienenden Polizei.

De Buddha esch eine vo eus!

Auf dem Weg vom Flughafen zu meinem Zimmer (www.9roomsnepal.com) in der südlich an Kathmandu angrenzenden Stadt Lalitpur habe ich aus dem engen Taxi-Kabäuschen heraus in das chaotische Gewirr rundum gestarrt und erstmals erahnen können, wie anders die hiesige Lebensrealität von meinem wohlbehüteten helvetischen Studentendasein wohl ist. Abfall, Autos, Bettler, Strassenkinder, eingefallenene Häuser, kaputte Strassen: Kathmandu, bzw. Lalitpur wirken auf den ersten Blick nicht so, als ob sich die millionenschwere Entwicklungshilfe hier irgendwie ausbezahlt hätte. Das Leben hier ist anders, als alles, was sich der weichgebettete Westler wohl ausdenken kann. Das liegt spürbar in der abgasgeschwängerten, gräulich-dicken Luft.

Diese Luft wurde umso unerträglicher, als ich mich auf einen ersten Erkundungsspaziergang durch “mein” Quartier begab. Armut, allgegenwärtig. Dreck, Staub, Abgase. Ich habe mir eine nepalesische SIM-Karte und die Montagsausgabe der Kathmandu Post gekauft, mich in eine kleines Roadside-Restaurant gesetzt und für 90 Rappen fantastisch gute Momos gegessen. Die Post berichtet von Morden, Vergewaltigungen, Bandenkriegen und dem Besuch der indischen Aussenministerin in Kathmandu. Das Spitzentreffen wurde überschattet von einer wahrhaft dramatischen Geschichte. Letzte Woche erfrechte sich ein indischer TV-Reporter, die nepalesische Herkunft Buddhas in Frage zu stellen. Buddha, so der Reporter, sei eigentlich in Indien zur Welt gekommen. Nepal zeigte sich auf verschiedensten Kanälen entrüstet über die Frechheit des riesigen südlichen Bruderstaates. Das indische Aussenministerium hat sich offiziell entschuldigt mit dem Statement, natürlich sei Buddha Nepalese. Damit wäre das wirklich Wichtige jetzt geklärt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert