Mittelalter trifft auf 21. Jahrhundert

Obwohl jeder dritte Tansanier weder lesen noch schreiben kann, müssen sich die Macher von Mwananchi Gedanken machen, wie sie die Digitalisierung meistern und der Regierung Paroli bieten können.


Eine gute Geschichte ist in der Schweiz und in Tansania dann gut, wenn sie lokalen Bezug hat, Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit abholen kann, Emotionen weckt, begeistert, fesselt, aufregt, informiert. Eine gute Geschichte ist hüben wie drüben spannend.

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Die Mobile Ansicht der Webseite von The Citizen Einfach und schlicht.

Die Wege, wie diese Geschichten entstehen, sind aber unterschiedlich, das steht fest. Der Arbeitsrhythmus ist ein anderer. Und auch die Art und Weise, wie die Redakteure hier in Tansania zu Informationen kommen. Das Internet und das Telefon sind zwar wichtige Kommunikationsmittel, aber fast noch wichtiger seien die Besuche, Treffen mit wichtigen oder gut informierten Menschen vor Ort. So herrscht auch in der grossen Redaktionsstube ein stetiges kommen und gehen.

Am Donnerstag (6. Oktober) war es aber ungewöhnlich ruhig, obwohl die Redaktionsstube voll besetzt war:
Die Redakteure von „Mwananchi“, einer der wichtigsten Zeitung in Tansania, die auf Swahili herausgegeben und damit dem lokalen Gegenstück zu „The Citizen“ entspricht, mussten zur internen Weiterbildung antraben.

Im Kern der Sitzung, der ich dank den Englischsprachigen Folien etwas folgen konnte, ging es um die Frage, wie sich Print gegenüber den Onlinemedien behaupten kann. Es ging um Herausforderungen und Chancen, und es ging darum, wie man als Printmedium den „Day Two-Journalism“ umsetzen kann. Das vorgestellte Rezept kommt mir, als Schreiberling eines wöchentlich erscheinenden Fachblatts, sehr bekannt vor:

  • In der Zeitung müssten mehr Hintergrundinformationen und Details enthalten sein, als auf dem Newsportal
  • In der Zeitung müssten Ereignisse auch eingeordnet und interpretiert werden.
  • Die Verwendung von Bildern und Infografiken in der Zeitung sei zu unterstützen und zu verbessern.
  • Die Verbindung zwischen Online- und Offlinemedien sei zu verbessern.

An und für sich hört sich das ja vernünftig an. Verwirrend ist aber für mich die Tatsache, dass gemäss dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, ein Drittel der Bevölkerung weder lesen noch schreiben können (1). Während man sich in Dar Es Salaam bereits mit der Digitalisierung der Medien auseinandersetzen muss, kann jeder Dritte nur den Inhalten folgen, die als Bild, Film oder Audiodatei zur Verfügung gestellt werden. Gemäss Unicef können ausserdem 23% der Knaben und 27% der Mädchen zwischen 15 und 24 Jahren weder lesen noch schreiben. Die Digitalisierung der Medien könnte vielleicht helfen, dass auch diese Menschen besser informiert werden können. Bedingung dafür ist aber, dass der Zugang zum Internet verbessert wird: nur 13% der Bevölkerung nutzen das Internet (alle Zahlen für 2012). Noch kenne ich die Lebenswelten der Menschen zu wenig, um mir eine Meinung über die Strategie und deren Wirksamkeit zu bilden. Aber es ist, als ob Mittelalter und das 21. Jahrhundert direkt aufeinanderprallen.

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Um die Redakteure überhaupt für die Diskussion zu gewinnen, hielt einer von ihnen ein Plädoyer für die tägliche Verbesserung der Arbeit. Hindernisse seien als Chancen zu begreifen, um selbst immer besser zu werden. Auf einer der Folien stand sinngemäss, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter mit der Art von Herausforderung konfrontiert sei, die sie oder er meistern könne und damit auch begründe, warum man überhaupt eine Arbeit habe. Gäbe es die Herausforderung nicht, bräuchte es auch den entsprechenden Mitarbeiter nicht, der daran arbeitet.

„Die Amerikaner hätten Freude an den vielen Schlagworten“, denke ich mir. Und ich frage mich, wie die schönen Worte in die Tat umgesetzt werden. Was ich weiss, ist, das jeden Tag eine Zeitung mit Inhalt gefüllt, gedruckt und für ca. 1000 Tansanische Schilling (etwa 50 Rappen) verkauft werden kann. Und was ich bisher gelernt habe: Die Redakteure wollen und können einen Beitrag leisten. Sie wollen über Probleme berichten und auf Missstände aufmerksam machen. Sie wollen schöne und weniger schöne Geschichten von Menschen in ihrem Land erzählen. Und sie wollen mithelfen, das Land zu entwickeln.

Demgegenüber steht eine Regierung, die sich ebenfalls um die Qualität der Medien Sorgen macht. So arbeitet man an einer Gesetzesvorlage, die eigentlich die Qualität der (Print-)Medien stärken will. Dazu soll ein 7-köpfiges Gremium geschaffen werden, das nicht nur die Pressekarte vergibt (bisher war das Aufgabe des Direktors des Ministeriums für Information), sondern auch darüber entscheidet, wer als Journalist zugelassen wird, und wer nicht. Das Board soll Strafen für journalistisch Fehlleistungen verhängen dürfen und die Akkreditierung wieder entziehen können (Was genau aber als Fehlleistung angesehen wird, ist bis jetzt nicht genauer definiert worden). Ausserdem sollen die akkreditierten Journalisten einen unabhängigen Medienrat mit dem 7-Köpfigen „Journalist Accreditation Board“ gemeinsam die Standards und Ethischen Leitlinien für die Medienarbeit festlegen (2).

Die Kritik an diesem Vorschlag liess nicht lange auf sich warten, wie im Citizen diese Woche am Montag geschrieben wurde:

Editor Ndimara Tegambwage bezweifelt, dass das neue Gesetzt die Qualität des Journalismus in Tansania tatsächlich verbessern wird (The Citizen vom Montag, 3. Oktober)
Editor Ndimara Tegambwage bezweifelt, dass das neue Gesetz die Qualität des Journalismus in Tansania tatsächlich verbessern wird (The Citizen vom Montag, 3. Oktober)

Weitere Aspekte, die im neuen Gesetz geregelt werden sollen, stossen auf weitaus weniger Kritik; so etwa die Stärkung der Anstellungsbedingungen für festangestellte und freischaffende Journalisten. Denn auch hier trifft das Mittelalter irgendwie auf das 21. Jahrhundert. Denn während ich in meinem Berner Büro einen Schreibtisch mit einem höhenverstellbaren Stuhl und genügend Ablagefläche habe, um ergonomisch arbeiten zu können, ist hier ein funktionierender und ganzer Stuhl insbesondere den Chefs vorbehalten. Der Tisch ist klein, der PC langsam. Ausserdem erschliesst sich mir nicht, ob jeder Mitarbeitender einen festen Arbeitsplatz hat. So zügeln meine Kollegen ihre Stühle oder auch ihren Arbeitsplatz je nach Bedarf; so kommt es, dass manchmal jemand anderes an meinem Platz sitzt, der Stuhl fehlt oder am nächsten Morgen ein ganz anderer Stuhl da ist – aber das ist höchstens amüsant, wenn man bedenkt, dass die Regierung Journalisten künftig mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestrafen könnte, wenn sie einen Fehler machen und falsche Informationen verbreiten.

(1) UNICEF
(2) AllAfrica

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