Stitch by Stitch

Ach, damnit, ich habs lange versucht, aber irgendwie scheint es unmöglich: Adventsstimmung aufkommen zu lassen, wenn man bei 26 Grad mit einer frisch geknackten Kokosnuss auf der Dachterrasse in der Sonne sitzt und in den erbarmungslos blauen Himmel über der Stadt hinaufblickt. Doch, sei’s drum, Advent wird’s ja auch nächstes Jahr wieder. Wer weiss, wo ich dann sitzen werde. Vielleicht irgendwo mit Schnee und Kerzen und heissem Tee. Wär mal wieder was.

Vorläufig aber sitze ich noch in Kathmandu, dem lieblichen südasiatischen Moloch, in dem nach den Wahlen letzte Woche noch immer niemand so recht weiss, wie’s jetzt weitergeht und wohin das Land in den nächsten Jahren steuern wird. Doch, an Adventssonntagen sollte man die Politik Politik sein lassen und sich auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentrieren. Daher, enough with politics,

Vom Säufer zum Näher

Spannend war mein Besuch bei den Kirtipur Hosiery Industries (KHI) in der südlich an Kathmandu angegliederten Stadt Kirtipur am vergangenen Mittwoch. Meine Kollegin Aria Florant hat die Kleider-Manufaktur für ihr “women empowerment”-Projekt besucht und mich auf die Besichtigungstour mitgenommen. Empfangen wurden wir von Sabita Maharjan, die das Unternehmen vor vier Jahren aus eigenem Antrieb gegründet hatte. Sabita’s Geschichte ist eindrücklich. Jahrelang wurde sie von ihrem alkohol- und drogensüchtigen Mann verprügelt und durfte das Haus, in dem sie gemeinsam mit ihren Schwiegereltern wohnte, kaum verlassen. Die junge Frau wurde in den schwiegerelterlichen vier Wänden als Hausmädchen “gehalten” und hatte praktisch keine Möglichkeiten, sich selber zu verwirklichen. Vor sechs Jahren dann wagte Sabita, was sich in Nepal kaum eine Frau wagt: Sie trennte sich (vorübergehend) von ihrem prügelnden Mann und entfloh den Klauen des schwiegerelterlichen Albtraums. Sie begann, gemeinsam mit anderen Frauen aus ihrem Dorf zu stricken und zu nähen, verdiente sich ihren Lebensunterhalt selbst und sagte der häuslichen Gewalt den Kampf an. Sie sprach ihre Kolleginnen auf das verschwiegene Thema an, organisierte Diskussionsrunden und engagierte sich in ihrem Heimatdorf Panga für Frauenbildung. Sie organisierte abendliche Lesekurse und erteilte freiwillig Strickunterricht. Vier vier Jahren dann bezog sie im Stadtzentrum von Kirtipur zwei grosse, helle Räume und gründete KHI.

Heute beschäftigt Sabita in ihrem Unternehmen gut 170 Frauen. Viele von ihnen arbeiten von zuhause aus und haben nebenher Zeit, sich um Familie und Haushalt zu kümmern. Sabita zahlt faire Löhne, ermöglicht jährlich hunderten Frauen den Zugang zu Abendschulen und schickt regelmässig kleine Teams von Frauen in die Dörfer des Distrikts, um Abfall einzusammeln und mit der lokalen Bevölkerung über Umweltprobleme und nachhaltige Lebensformen zu disktutieren. Sabita verkörpert alles, was eine Powerfrau wohl auszeichnet, und sie scheint sich nicht von ihrem Weg abbringen zu lassen. Ihr Mann, übrigens, hat von ihr eine zweite Chance gekriegt. Sie hat ihn mit ihrem eigenen Geld in eine Reha-Klinik geschickt und ihn danach als Näher eingestellt. Dank ihr hat der einstige Säufer heute einen geregelten Tagesablauf und ein regelmässiges Einkommen. Er sah zufrieden aus, als ich mich mit ihm über seine Nähmaschine hinweg kurz unterhielt.

Ich habe meinen “on saturday”-Kollegen von Sabita erzählt und erhielt kurzerhand Platz für eine kleine Reportage. “Stitch by Stitch”, here you go:

"Stitch by Stitch", Kathmandu Post, 30. November 2013.
„Stitch by Stitch“, Kathmandu Post, 30. November 2013.

500’000 Dollar und zwei Riesennachbarn

What else? Die Kathmandu Post hat letzte Woche zwei spannende Artikel zur Entwicklungshilfe in Nepal veröffentlicht. Die beiden Autoren scheinen dem “project aid” durchaus kritisch gegenüberzustehen. In “How effective is foreign aid” fragt sich Maina Dhital, wer denn hier eigentlich von wem abhänge: Braucht Nepal die Entwicklungshilfe, oder braucht die Entwicklungshilfe Nepal? Dhital lässt die Frage offen, kommt aber zum doch recht ernüchternden Schluss: “If’s been more than 60 years since Nepal started receiving foreign aid, but there is no significant change in the nation’s economic development.” Nächste Woche werde ich gemeinsam mit einer DEZA Delegation an einem fünftägigen Workshop in Okhaldhunga im Osten Nepals teilnehmen. Ich bin gespannt, inwieweit dieser Ausflug mein persönlichen Eindrücke von der Ineffizienz gewisser Hilfsprojekte in Nepal verändern / korrigieren wird. Der zweite Artikel (“Money grows on trees” von Rajesh Sigdel) bespricht die Problematik des C02-Handels im Zusammenhang mit dem gerade für Nepal verheerenden Klimawandel. Nepal verursacht laut der nationalen Climate Change Policy 2011 gerade mal 0.025 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses. Aufgrund seiner beiden energietechnisch nicht unbedingt sehr sparsamen Riesennachbarn zeigt sich der Klimawandel im Land dennoch von seiner bösen Seite. Gletscher schmelzen, Flüsse versiegen, Wälder sterben. Und Nepal erhält jährlich 500’000 US Dollar aus dem CO2-Zertifikat-Handel. Ob diese Rechnung aufgeht?

Ich melde mich aus Okhaldhunga. Euch allne e fiirleche Adväntsstart!

 

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