Wenn die Hälfte der Männer im Ausland ist – Mit dem Deza auf Projektbesuch in Janakpur

Frauen vor dem Hindu-Tempel Janaki Mandir in Janakpur.
 
Kathmandu Diaries #4
 
Mein Ausland-Stage in Nepal ist ein Projekt vom MAZ und dem Deza. Grund genug, mir die Arbeit des Dezas in Nepal etwas genauer anzuschauen. Bereits im Vorfeld meines Aufenthalts habe ich mich mit der Nepal-Verantwortlichen in Bern getroffen und von ihr einen Einblick in die verschiedenen Einsatzbereiche des Dezas in Nepal erhalten. In Nepal selber hatte ich nicht nur die Gelegenheit mit Diplomatin Elisabeth von Capeller über Nepal zu sprechen, sondern durfte sogar eine Delegation bei einem Projektbesuch zu einem Thema, das mich besonders interessiert, begleiten.
 
Und so habe ich Ende September einen kleinen Inlandflieger in den Süden genommen, nach Janakpur im flachen Terrai, wo Palmen und weitläufige Reisfelder Dschungelbuch-Stimmung aufkommen lassen, wo es drückend heiss ist, der Monsun sich täglich in sintflutartigen Regengüssen entlädt, wo die Menschen in verglichen mit dem Kathmandu-Tal noch einmal viel ärmeren und einfacheren Verhältnissen leben.
Mit der Buddha Air von Kathmandu nach Janakpur und zurück.
 
In Janakpur, im District Danusha, arbeitet das Deza im Bereich Migration im Rahmen seines “Safer Migration”-Projekts. 60 Prozent der nepalesischen Männer zwischen 18 und 45 arbeiten im Ausland, vorwiegend in Malaysia und in den Golfstaaten. Über die häufig prekären und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen dieser Arbeiter wurde besonders im Vorfeld der WM in Qatar auch in den Schweizer Medien berichtet. Das Deza arbeitet mit verschiedenen Partnern daran, dass sich die Situation dieser Arbeitsmigranten sowohl im Ausland wie auch vor Ort in Nepal verbessert. Unter anderem haben sie eine Infostelle lanciert, welche die Auswanderungswilligen über ihre Rechte aufklärt und auf mögliche Gefahren aufmerksam macht, aber auch juristische Beratung anbietet, wenn es doch zu einem Streit mit dem Arbeitsnehmer kommt. Als wir das Zentrum an einem monsunigen Vormittag im September besuchen, berät die Angestellte eben zwei junge Männer. Deren Anliegen: Der Vater, respektive Onkel der Männer ist auf der Arbeit in Qatar bei einem Unfall verstorben. Die Rückführung des Toten nach Nepal zieht sich nun allerdings hin, es fehlen offenbar entsprechende Dokumente und Unterschriften. Im Beratungsbüro erfahren die Männer, was sie von Nepal aus dazu beitragen können, um den Prozess zu beschleunigen, und an welche Instanzen sie sich wenden können.
Das Beratungsbüro des „Sami“-Projekts in Janakpur.
 
Die Männer im Ausland sind aber nur eine Seite der Arbeitsmigrations-Medaille. Die andere sind zurückgelassene Ehefrauen, Kinder und pflegebedürftige Eltern. Gerade auf den Ehefrauen, die nun als quasi-Alleinstehende den Alltag meistern müssen, lastet häufig ein grosser sozialer Druck von der Dorfgemeinschaft und von den Schwiegereltern. Auch hier hat das Deza verschiedene Massnahmen lanciert. Wir besuchen ein einfaches Dorf ausserhalb von Janakpur und sprechen mit einer Psychotherapeutin und drei ihrer Patientinnen. Die Frauen können sich in Gruppentherapien über ihre Schicksale austauschen und erfahren, wie andere mit der schwierigen sozialen Situation klarkommen. Für Frauen in besonders schweren Situationen bietet die Therapeutin auch Einzelberatung an. Wie eben für die drei Frauen, welche uns mit leisen Stimmen aus ihrem Leben erzählen. Die eine erzählt, wie ihr Mann im Ausland weniger verdiente als versprochen, so dass die Schulden zu Hause immer grösser werden. Die andere, dass sie bei der Schwiegerfamilie lebt und vom Bruder ihres Ehemannes missbraucht und geschlagen wird. Und die junge Mutter von fünf Töchtern erzählt, wie ihr Mann bis nach Kathmandu gelangt ist und seither verschollen ist. Ob er je ins Ausland abgereist ist und ob er überhaupt noch lebt, weiss niemand.
 
Der Besuch bei den Projekten des DEZA gehört für mich zu den Highlights meines MAZ-Stages. Es war eindrücklich zu sehen, unter welch schwierigen Bedingungen die Deza-Mitarbeiter aus der Schweiz und die nepalesischen Angestellten hier arbeiten, wie viel Geduld und Fingerspitzengefühl die Mitarbeitenden mitbringen und wie langwierig Prozesse und langsam Fortschritte hier sind. 
 
Und es wurde mir wieder einmal nachdrücklich bewusst, wie wichtig es für uns Journalisten ist, vor Ort und im Feld zu recherchieren. Klar wusste ich, dass der Alltag der zurückgelassenen Frauen unter den sozialen sehr strikten Normen nicht einfach war. Klar wusste ich, dass die Leute sehr arm und ungebildet sind und über ihre Rechte als Gastarbeiter oder zurückgelassene Frau kaum Bescheid wussten. Was dies aber für eine einzelne Frau oder eine einzene Familie konkret bedeutet konnte ich mir kaum im konkreten Detail vorstellen. Durch den Projektbesuch und durch die Möglichkeitt, mit diesen direkt betroffenen Frauen sprechen zu können und indem sie mir ihre persönlichen Geschichten in ihren eigenen Worten haben erzählen können, hat sich mir die Komplexität der Thematik noch einmal auf eine neue, nähere Weise eröffnet. 
Janaki Mandir
Strasse in Janakpur

 

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