Der Raclette-Dieb und die Expat-Blase

Fünfzehn Personen sind für heute Abend eingeladen. Besonders die nepalesischen Gäste freuen sich auf die Raclette-Mahlzeit, welche ich ihnen versprochen habe. Einer meiner Arbeitskollegen spricht seit Tagen über nichts Anderes. Darum machte ich sich Panik in mir breit, als ich merkte, dass ein halbes Kilo Raclette-Käse aus dem Tiefkühlfach meiner Unterkunft verschwunden war. Mehrere Freunde hatten mir den Käse im Reisegepäck aus der Schweiz mitgebracht.

Camembert und Genossen warten auf kaufkräftige Kundschaft.

Den Verlust bemerkte ich vor zwei Tagen. Eine minutiöse Befragung des Personals und der anderen Gäste im Haus hat das Verbrechen nicht aufklären können. „Wie soll ich innert zwei Tagen Raclette-Käse in Nepal auftreiben?“, fragte ich mich. Unmöglich. Doch ich hatte nicht mit der wundersamen „Expat-Blase“ gerechnet, in welcher ich hier in Kathmandu lebe.

Calzone und Quiche

Ich wohne im Quartier Sanepa und hier wimmelt es von Ausländern. Die norwegische Botschaft ist ein paar Häuser weiter, die Nordkoreaner haben ein Prunkgebäude um die Ecke gebaut. Und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sind hier. Und mit den vielen Expats hat sich eine Art Parallelwirtschaft in Sanepa breitgemacht. Da gibt es zum Beispiel die „Secret Bakery“, betrieben von einem Nepali, der in seiner privaten Küche jeden Morgen den Holzofen einfeuert. Er verkauft Zimtschnecken, Calzone, Quiches und Kuchen. Es gibt kein Schild und keine Homepage, aber jeder im Quartier kennt die geheime Bäckerei.

Wenige Meter weiter folgt der Nina & Hager Grocer, ein luxuriöser Lebensmittelladen mit Parmaschinken und Parmesan im Angebot und allem was das westliche Herz sonst noch so begehrt. Noch einmal um die Ecke und man befindet sich vor einem Bioladen, wo man unter anderem reife Avocados bekommt. Auch das Café Soma ist hier, wo der Chicken-Burger das Vierfache kostet wie sonst wo in der Stadt, aber dafür ist er köstlich. Das Café Soma ist stets gefüllt mit weissen Menschen, welche ihre Cappucinos schlürfen und auf ihren Laptops ihrer Entwicklungsarbeit nachgehen. Die Liste geht unendlich weiter: Restaurants, Boutiquen und Fitness-Studios sind engmaschig verteilt in Sanepa.

Die Expat-Blase führt dazu, dass man mit einem mitteleuropäischen Lohn wie ein Fürst in Kathmandu leben kann. Ein Nachtessen beim Italiener, eine zweistündige Massage oder ein Yoga-Kurs nach Feierabend: alles kein Problem. Natürlich gibt es auch Nepalis, welche Luxusartikel kaufen. Falls sie einen hohen Posten in der Regierung haben oder sonst wie reich geworden sind. Aber ohne die riesige Entwicklungsarbeits-Maschinerie in Nepal wäre die Nachfrage nach solchen, meist westlichen Produkten, verschwindend klein.

Französischer Käse zu Schweizer Preisen

Was mich zu François Driard und meinem Raclette-Problem bringt. Driard ist Franzose und mit seinem in Nepal hergestellten Käse hat er den Luxus-Käse-Markt quasi für sich alleine. Er beliefert Hotels und Restaurants und verlangt Schweizer Preise für seine Produkte. In seinem Laden Himalayan French Cheese habe ich mir schliesslich je ein Kilo Tomme und Raclette-Käse gekauft. Und so meine kleine Schweizer Party retten können.

Raclette-Käse und Tomme – hergestellt in Nepal.

Die Expat-Blase ist dekadent und problematisch und trotzdem ist sie verständlich. Wer lange Zeit im Ausland lebt, sehnt sich nach heimischen Luxus. Aber dieser lässt auch einfach vergessen, dass man sich in einem Entwicklungsland befindet, in dem die meisten Menschen von solchem Überfluss nur träumen können.

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