Erwachen aus der Plastikwelt

Wir müssen zum Flughafen. Die Sängerin Yameiry Infante Honoret aus Panama kommt um 11.30 Uhr in Managua an. Sie nennt sich «La Materialista», ist 29 Jahre alt und sie ist mit einem Hit gekommen. Mit «La Chapa Que Vibran» (in etwa «Die vibrierenden Hintern») wird sie die Mengen in den Städten Nicaraguas zum Kochen bringen. Ihre Fangemeinde wachse schnell, erklärt mir die Journalistin von der Zeitung «El Nuevo Diario». Dennoch ist man sich auf der Redaktion nicht ganz einig, ob sie überhaupt schon genügend bekannt ist, um über sie zu berichten.

«La Materialista» aus Panamá bei der Ankunft im Flughafen von Managua. (Bild: Bismarck Picado)
«La Materialista» aus Panamá bei der Ankunft im Flughafen von Managua. (Bild: Bismarck Picado)

Als sie mit einer Stunde Verspätung endlich in die Empfangshalle tritt, drängen sich mehrere Journalistinnen, Fotografen und ein Kameramann auf. Die junge Frau, die sich selbst als «sexy» bezeichnet, lächelt gekonnt in die Kameras und zeigt in lasziven Posen ihren Hintern. «Ganz passend zu ihrer Musik», wie ein Redaktionskollege meint, der ihren Reggaeton-Stil als «wahnsinnig sexistisch» bezeichnet.

Ebola für den Moment vergessen

Und ihre Anziehungskraft ist enorm. Die (männlichen) Angstellten des Flughafens strömen herbei und wollen ein Foto von ihr machen, oder gar eines zu zweit. Dafür legen sie ausnahmsweise die Ebola-Schutzmaske ab, die sie im Auftrag der Regierung aus Sicherheitsgründen bei der Arbeit tragen müssen. Die Journalistin, der Fotograf und ich steigen nach einem kurzen Spektakel wieder ins Auto und fahren zurück in Richtung Redaktion. Doch auf halbem Weg erhält der Fotograf die Nachricht, dass es einen bewaffneten Überfall in einem Quartier ganz in der Nähe gegeben habe. Wir fahren hin. Vor einem kleinen Laden, einer «Pulpería», liegt ein Mann verletzt am Boden. Ein Anderer hält ihm seine Hand auf die Brust und dahinter stehen sechs weitere Personen.

Die Ambulanz (Cruz Roja) bringt den Verletzten ins Spital. (Bild: Bismarck Picado)
Die Ambulanz (Cruz Roja) bringt den Verletzten ins Spital. (Bild: Bismarck Picado)

Der 26-jährige Mann verkaufte im Quartier Telefonkarten und wollte gerade auf sein Motorrad steigen, als er von zwei Personen angehalten und mit einer Waffe bedroht wurde. Er solle das Geld rausrücken, hätten sie ihm befohlen. Er gab ihnen alles, was er auf sich hatte, was nicht viel war, denn er hatte seine Einkünfte kurz zuvor bei der Bank deponiert. Die beiden Männer verpassten ihm mit der Pistole zunächst einen Schlag in den Hals, worauf es ihm schwindlig wurde. Darauf folgte gemäss seinen Schilderungen ein heftiger Hieb in die Brust. Wenige Blocks weiter fiel er von seinem Motorrad. «Sie drohten, zu schiessen, wenn ich nicht sofort wegfahren würde», sagt er, mit Schmerzen am Boden liegend.

Der Fotograf macht einige Bilder und spricht kurz mit den anderen anwesenden Personen. Inzwischen ist auch die Ambulanz gekommen. Als wir zurück fahren, unterhalten sich meine BegleiterInnen noch kurz über den Vorfall. Es sei komisch, dass so etwas in diesem Quartier passiere, die Zone sei eigentlich sicher, sind sie sich einig. Zurück auf der Redaktion höre – und vor allem schaue – ich mir auf Youtube den Hit der «Materialista» an und sofort befinde ich mich wieder in ihrer Plastikwelt. Dennoch werde ich mich an solche Szenenwechsel erst noch gewöhnen müssen.

La Chapa Que Vibran – La Materialista

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