Joy Bangla

Gestern Nacht wurde in Dhaka Abdul Quader Mollah, der wegen Kriegsverbrechen während des bangladeschischen Unabhängigkeitskriegs von 1971 verurteilt wurde, hingerichtet. Quader Mollah, der wegen seiner grausamen Taten auch der «Schlächter von Mirpur» (Mirpur ist ein Stadtteil von Dhaka) genannt wird, war stellvertretender Generalsekretär der oppositionellen Jamaat-e-Islami Partei. Er ist der erste von sieben zum Tode verurteilten Oppositionsführern, der hingerichtet wurde.

Quader Mollah wurde im Februar 2013 ursprünglich zu lebenslanger Haft verurteilt. Tausende von Bürgern gingen danach auf die Strasse und forderten die Todesstrafe, da sie eine Haftstrafe als zu mild empfanden. Der Oberste Gerichtshof ging der Forderung schliesslich nach. Die Hinrichtung wurde auf Dienstagnacht angesetzt. Die Anhänger von Quader Mollah und seiner Partei kündigten Rache an, sollte das Todesurteil tatsächlich ausgeführt werden.

Alle Fotografen des Daily Star werden am Dienstabend angehalten, im Büro zu bleiben und bei allfälligen Ausschreitungen auszurücken. Die Anspannung ist förmlich spürbar. Von allen Seiten werde ich gewarnt und auf kritische Lage aufmerksam gemacht. «Heute Nacht kann alles passieren» sagt auch Amran. Er und Enam raten mir, dass ich so früh als möglich nach Hause gehe. Doch ich denke nicht daran. Auch wenn ich nicht mit darf, wenn die Fotografen ausrücken, will ich zumindest dabei sein, wenn sie mit Bildern und Neuigkeiten auf die Redaktion zurückkehren. Doch noch ist es ruhig und wir vertreiben uns die Zeit mit singen, Pingpong spielen, Film schauen und schwatzen. Die Fotografen kehren auch alle nochmals nach Hause zurück, um sich eine warme Jacke zu holen. Nachts kühlt es inzwischen relativ stark ab, was natürlich auf dem Motorrad besonders spürbar ist.

Und dann… nur wenige Stunden vor der Hinrichtung wird die Vollstreckung plötzlich aufgeschoben. Es gibt also doch noch Feierabend. Nach einem gemeinsamen Nachtessen (Biryani) aller Fotografen in der Kantine, nimmt mich Amran mit zu sich nach Hause. Es ist nach Mitternacht und seiner Ansicht nach wäre es unverantwortlich, mich um diese Uhrzeit alleine nach Hause zu schicken. Obwohl mich seine Frau kennt, habe ich ein wenig ein schlechtes Gewissen, als ich so unverhofft mitten in der Nacht mit Amran vor der Türe stehe. Sie spricht kein Englisch und weiss deshalb nicht, worüber Amran und ich uns jeweils unterhalten und lachen. Zudem habe ich in den letzten Tagen mehr Zeit mit ihrem Mann verbracht als sie. Ich war fast täglich mit Amran unterwegs. Wir treffen uns jeweils bei ihm zu Hause, wo ich erst mal Frühstück und Tee serviert bekomme, bevor es mit dem Motorrad auf die Piste geht. Selten kehren wir vor zehn Uhr abends zurück. Amran rät mir deshalb von einem Job bei einer Zeitung ab. «Als Newsfotograf hast du kein Privatleben. Du kannst dir vorstellen, was das für eine Ehe bedeutet.»

Auch am Donnerstagmorgen bin ich wieder mit Amran unterwegs. Wir fahren zum Supreme Court in Dhaka. Die Richter und Anwälte werden in Kürze bekanntgeben, ob und wann Quader Mollah hingerichtet wird. Unzählige Journalisten und Fotografen haben sich auf der schmalen Brücke versammelt, über die die Richter gehen müssen. Es herrscht eine lockere Stimmung. Reporter und Fotografen tauschen Informationen aus und machen Witze. Mir fällt auf, dass ausser mir kaum weibliche und schon gar nicht westliche Journalisten anwesend sind.

Sobald die Richter und Anwälte erscheinen, ändert sich die Stimmung schlagartig. Plötzlich kämpft jeder für sich. Von allen Seiten werde ich gestossen, geschoben und getreten. Der Lärmpegel ist immens. Joy Bangla Rufe übertönen das Gekeife zwischen den Anhängern und Gegnern von Quader Mollah und die Anweisungen der Fotojournalisten. Erlöste, erschöpfte und wütende Gesichter sowie zum Vicotry-Zeichen geformte oder zu Fäusten geballte Hände schieben sich an mir vorbei. Ich halte die Kamera in die Luft und drücke den Auslöser. Es macht riesig Spass. Erst als ich mich aus dem Mob befreie, merke ich, dass mein Herzschlag erhöht ist. Wow!

Nach getaner Arbeit kurve ich mit Amran noch ein wenig durch die Stadt. Wir besuchen seinen Bruder bei der Arbeit auf der Bank und haben Lunch im Press Club. Beim Ramna Park zeigt mir Amran die Fledermäuse, die hoch oben in den Bäumen hängen und bei Shahbag malen mir ein paar Jugendliche Joy Bangla Slogans auf die Arme. In diesem Moment kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass mein Visum nächste Woche abläuft und ich eigentlich ausreisen müsste…

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