Schicht-Journalismus in der Staub-Stadt

20. September 2013 – Gut 500 Meter sind es von meinem Zimmer in Ekantakuna bis zur Bus- und Taxihaltestelle Jawalakhel. Ich gehe die Strecke jeden Morgen, vorbei an kleinen Läden mit allerlei Alltagsramsch, vorbei an Gemüsehändlern, Apfelverkäufern, Schneidereien und Schlachthöfen. Ich steige über Steinhaufen und am Boden liegende Leitungen, wechsle vom aufgebrochenen Gehsteig immer mal wieder auf die Dirtroad und muss aufpassen, dass ich nicht von einem vorbeirauschenden Tuktuk erfasst und mitgeschleift werde. Es dröhnt und hupt und gackert von allen Seiten. Die Luft ist staubig und dick. Die meisten Menschen laufen mit Schutzmasken umher. Die uniformierten Kinder der nahen Mahendra Bhrikuti Secondary School pressen sich ihre Krawatten vor Mund und Nase. Es ist heiss, trocken. Der Geruch von Abgasen und verbranntem Gummi hängt in der Luft.

Ich werde nicht recht schlau aus der Gegend, weiss nicht, was Fassade ist und was echt. Hinter den rostigen Händlerbaracken ragen immer wieder frischpolierte Glasgebäude in die Höhe. Alte Frauen schleppen unglaublich grosse Körbe voller Salat und Früchte an von Polizisten bewachten Bankeingängen vorbei. Die gut gekleideten jungen Herren des Administrative Staff College schauen stur auf ihre Smartphones, wenn sie aus dem Schulungsgebäude auf die staubige Strasse treten. Bildung, Banken, Hochbetrieb. Es geht was in Ekantakuna, und doch sind es die deutlichen Zeichen der Armut, die mich jeden Tag von neuem beschäftigen, wenn ich von meinem Zimmer nach Jawalakhel stolpere. Die dreckigen Welpen, die halb verhungert am Strassenrand liegen. Der alte Schuhflicker, der neben dem Eingang zur Schweizer Botschaft sitzt und mit seiner rostigen Zange Grashalme zupft, während er mit verlorenem Blick auf Kundschaft wartet. Oder die beiden kleinen Mädchen am grossen Kreisel, deren einziges Spielzeug die blecherne Bettelbox ist, die sie sich lachend gegenseitig aus den Händen reissen. Sie verstehen noch nicht, was sie tun. Zum Glück, denke ich, und verurteile mich danach selbst für meine Ignoranz.

Darwin’s Law in Kathmandu’s Gassen

In Jawalakhel beuge ich mich zu einem der Mini-Taxis hinunter, “Nameste. Tinkune, 200″ – “Oh, no sir, 500.” – “250.” – “Oh, gazoline. 400.” – “300.” – “Tinkune? Ok.” Und dann geht die Fahrt los, hupend, ohne Rücksicht rein ins Verkehrsgetümmel der nepalesischen Strassen. Es herrscht Darwin’s Law in Kathmandus Gassen. Der Stärkste gewinnt. Die anderen zählen nicht. Als Taxi ist man irgendwo im Mittelfeld der blechernen Nahrungskette. Trucks, Busse und Tuktuks fressen einen. Motorräder, Fahrradfahrer und Fussgänger werden gefressen. Seit ich den Taxifahrern keine Fantasiepreise mehr zahle (was ich am Anfang aus Unerfahrenheit noch machte) und mich damit nicht mehr jedesmal als verwirrten Touristen oute, hat der Smalltalk aufgehört. Kein “WhereareyoufromsirohSwitzerlandnicecountrysnowandmountainlikeNepalbutNepalmoredustyoulikeit?” mehr. Nur noch laute Musik, Gehupe und ruppige Manöver. Ich erinnere mich daran, wie ich mich vor einigen Monaten durch die Blogbeiträge meiner “Vorgänger” auf derMAZ-Homepage geklickt habe. Fast alle zeigten sich beeindruckt vom Verkehrschaos in ihren jeweiligen asiatischen Austauschländern. Ich reihe mich nun ein in die Garde der staunenden Blogger. Der Verkehr hier ist ganz einfach unfassbar. No rules, keine Mittellinien, wer nicht hupt und drängt, hat keine Chance.

Schicht-Journalismus

Blick aus dem Fenster hinter meinem Arbeitsplatz. Innenhof des Kantipur-Komplexes.

Rund 20 Minuten dauert die Fahrt von Jawalakhel bis zur Redaktion der Kathmandu Post. Es geht durch labyrinthartige Gassen, über mörderische Kreisel und entlang der breiten, staubigen “Ring Road”, die die ganze Stadt wie eine Schlinge umzingelt. Die Redaktion liegt im Osten Kathmandus, in “Tinkune”, dem “Drei-Strassen-Eck” gleich beim Flughafen. Wer Zutritt zum sechsstöckigen weissen Redaktionsgebäude des Kantipur-Verlages haben will, muss sich erst einmal den bewaffneten Security-Leuten erklären, die mit verschränkten Armen vor dem hohen Metalltor am Eingang zum Kantipur-Gelände stehen. Im Gebäude selbst lächeln zwei Empfangsdamen jedem Eintretenden entgegen, fragen, wohin man wolle und winken dann die zweite Security-Garde her. Es wird salutiert, ein pro forma-Blick in die FREITAG-Tasche geworfen und der Lift bestellt. Ein nettes Lächeln, ein Badge, ein “good day, sir”. Und dann keucht der Lift langsam in den fünften Stock.

Pranaya und Darshan, meine beiden Betreuer bei der Kathmandu Post, haben mich erwartet und waren – genau wie ich – sichtlich nervös, als ich mich durch die niedrige Tür duckte und mit einem verlegenen “Namaste” ins Grossraumbüro trat. “Man, you never wrote how huge you are”, lachte Pranaya, mit dem ich seit April regelmässig gemailt hatte und flitzte aufgeregt durch die noch leeren Bürotischreihen auf der Suche nach einem aufgeräumten Platz, den er mir anbieten könnte.

Mein Arbeitsplatz bei der Kathmandu Post.

Bei der Kathmandu Post gibt es keine fixe Sitzordnung. Jeder setzt sich einfach irgendwohin, wos grad noch Platz hat. Gearbeitet wird in zwei Schichten, da nicht genügend Computer für alle Journalisten vorhanden sind. Die erste Schicht beginnt um 12 und dauert bis 18 Uhr. Um 17 Uhr kommenden die “Zweitschichtler” und schleichen ungeduldig durch die Gänge, bis irgendwo ein PC frei wird.

Pranaya und Darshan teilten mir einen Platz zuhinterst im Büro zu und wussten nicht so recht, was sie jetzt mit diesem Praktikanten eigentlich anfangen könnten. Darshan brachte mir einen Ordner mit alten Zeitungsartikeln, die ich lesen und mir ein Bild über die hiesige Schreibkultur machen könne. Und Pranaya meinte freundlich lächelnd, ich könne einfach machen was ich will.

Schulterklopfen und Kopfschütteln

Die Grossraumredaktion der Kathmandu Post. Gearbeitet wird im Schicht-Betrieb.

Pranaya, Darshan und seit Mittwoch auch ich sind das Op-Ed-Team der Kathmandu Post. Wir betreuen jeden Tag eine Doppelseite mit Meinungsartikeln, Kolumnen und Essays von Gastautoren und Journalisten aus den eigenen Reihen. Die Hauptaufgabe besteht darin, die eingegangenen Beiträge auszusortieren, zu editieren, neue Titel und Leadtexte zu formulieren und die Texte auf 1000, bzw. 800 oder 500 Wörter zu kürzen. Eine Seite wird gefüllt mit Nepal-spezifischen Beiträgen. Auf der anderen Seite druckt die Kathmandu Post – je nach Wochentag – Texte aus der New York Times, dem Economist oder dem Project Syndicate ab. Daneben schreiben wir jeden Tag einen “Editorial”-Text zu einem aktuellen oder sonst irgendwie relevanten Thema. Zudem habe ich Gelegenheit, Texte für die “Kathmandu Post On Saturday” – die Wochenendausgabe – zu schreiben. Worüber, das ist mir völlig freigestellt. Journalistische Texte, Gedichte, Essays. Ich freue mich drauf! Vor allem, weil Tiku – der “On Saturday”-Chef – meine beiden ersten Themenvorschläge mit kräftigem Schulterklopfen und Kopfschütteln (das ist hier üblich, dass man den Kopf schüttelt, wenn man jemandem zustimmt) angenommen hat. “Great stories man!” Das ist Balsam für die unsichere Praktikantenseele, die eine anfänglich noch schüchterne Existenz voller Motivation, aber ohne wirklich konkreten Auftrag fristet. Ich freue mich auf die nächsten elf Wochen als nepalesischer Journalist.

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