Warum ich plötzlich Unterschriften und Interviews geben musste

Am Poesiefestival in Granada zeigt sich besonders eindrücklich: Dichter werden in Nicaragua verehrt – auch solche, die gar keine sind.

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In einem der ersten Kapitel jedes Lonely Planets gibt es eine Übersicht über die wichtigsten Ereignisse jedes Monats. In der Nicaragua-Ausgabe steht da für den Februar, notabene als einziger Eintrag: Internationales Poesie-Festival in Granada. Als der Chefredaktor des „Nuevo Diario“ irgendwann Ende Januar davon erzählte, konnte ich also wenigstens so tun, als wüsste ich bereits Bescheid.

Als jene Woche näherkam und es darum ging, wie wir dieses Ereignis journalistisch abdecken wollen (aufgrund einer Weisung von oben nämlich massiv zurückhaltender als letztes Jahr), wurde ich in die Planungen einbezogen. Sie wollten dem Ausländer auf der Redaktion dieses für hiesige Verhältnisse grosse Ereignis „zeigen“, zudem wussten sie, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt bewusst darauf verzichtet hatte, mir Granada – ein Fixpunkt auf der Route jedes Nicaragua-Reisenden – näher anzuschauen.

Eines Montags Mitte Februar reiste ich also, zusammen mit einem Fotografen, in die Kolonialstadt. Das Poesiefestival wurde an jenem Tag offiziell eröffnet (kleine Randbemerkung: Zum Zeitpunkt, in dem laut Programm als erster Festakt eine Statue zu Ehren eines Dichters hätte eingeweiht werden sollen, waren die Gärtner gerade daran, im Beet rundherum die Blumen zu pflanzen). Literaten aus allen Herren Ländern, darunter auch rund zwei Dutzend aus Europa, waren eingeladen worden, um eine Auswahl ihrer Werke dem Publikum zu präsentieren.

Begeisterte Zuschauer, obwohl sie nichts verstehen

Sie taten dies an den folgenden Tagen teilweise erhellend, teilweise schwer verständlich, immer aber mit einer Ernsthaftigkeit ihrer eigenen Kunstform gegenüber. Das waren sie den Zuhörern, den ungefähr tausend Personen, die sich auf den Plastikstühlen im Halbrund um die Bühne versammelten, auch schuldig. Denn wie diese den Poeten, die ihre Poesie auf Deutsch, Französisch, ja gar Litauisch vortrugen, horchten, war bewundernswert. Die allermeisten Zuschauer waren Einheimische, die – bevor die Gedichte jeweils auf Spanisch übersetzt wurden – wohl sogar auf Englisch kaum ein Wort verstanden.

Ich merkte, dass das Klischee durchaus seine Berechtigung hat: Nicaraguaner bringen für Poesie jeglicher Art besonders viel Respekt, ja gar Bewunderung, auf (ob dies auch dazu führt, dass sie selbst in grösserem Ausmass gehaltvolle Dichtkunst produzieren, ist allerdings ein anderes Kapitel). Ruben Darío, der Begründer des Modernismo, wird hier als Halbgott verehrt. Kein Schulkind, das nicht mindestens ein paar Zeilen eines seiner wichtigsten Gedichte auswendig aufsagen könnte.

Während der folgenden Tage – das Festival, in dessen Rahmen es auch jeden Abend Konzerte auf dem Hauptplatz gab, gefiel mir so, dass ich gleich die ganze Woche blieb und regelmässig Artikel nach Managua schickte – erlebte ich dies aber auch am eigenen Leib: Als akkreditierter Journalist lief ich jeweils mit einem Badge auf der Brust herum. Damit hatte ich fast überall Zugang.

Hautfarbe und Badge

Nun, dieser Badge sah demjenigen, den die Dutzenden eingeladenen Dichter trugen, zum Verwechseln ähnlich. Man musste schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass bei mir der Namen meiner Zeitung und nicht derjenige meines Landes stand. Das taten die meisten Leute natürlich nicht: Schnell merkte ich, dass mir die Leute im Kiosk, im Café, aber auch einfach auf der Strasse wohlwollender als sonst begegneten. Wenn ich nicht darauf angesprochen wurde, so musterte man mich zumindest neugierig. Die Kombination von weisser Hautfarbe und weinrotem Badge genügte.

Als ich am Mittwoch gerade vom Mittagessen kam, umstellte mich plötzlich eine Gruppe von vielleicht 15-jährigen Schülern: In ihren weissen Uniformen streckten mir ihre Schulhefte unter die Nase und riefen „una firma, por favooor!“ In den Heftern erkannte ich bereits weitere Unterschriften. Selbstverständlich klärte ich die Jugendlichen auf, dass ich nur Journalist und keinesfalls Dichter sei, aber das war ihnen egal. Also kritzelte ich meine Signatur wohl etwa zehn Mal neben diejenige der echten Poeten – und natürlich wollten einige auch noch ein Erinnerungsfoto (ich auch, siehe unten).

Verkehrte Welt

Den Vogel schoss allerdings eine Gruppe von erstsemestrigen Kommunikationstudenten am nächsten Tag ab: Offenbar ist dieses Fach bei Frauen beliebter, jedenfalls waren von den rund zwanzig Personen am langgezogenen Tisch nur gerade drei Männer, inklusive Dozent. Als ich vorbeilief, pfiff plötzlich eine, ein paar andere riefen irgendwas, das ich nicht verstand. Das passiert mir sonst nicht. Ich stoppte – und hatte gleich die Aufmerksamkeit des ganzen Tisches.

Sie wollten wissen, in welchem Land ich denn Dichter sei. Ich dachte, dass sie grossartig enttäuscht sein werden, wenn ich mich „oute“. Doch wiederum lag ich falsch. Sie liessen nicht locker und eine Studentin – die „Miss UCC 2015“, wie ich später via Facebook erfuhr – interviewte mich gar, während ihre Kollegin mit dem Handy draufhielt. Ein Glück, dass dieses Video nicht für eine grössere Öffentlichkeit bestimmt war. Denn das, was ich da auf Spanisch über die Bedeutung des Festivals in die Kamera stammelte, war wohl vieles – Poesie jedoch bestimmt nicht.

Diese Schüler wollten meine Unterschrift - weil sie dachten, ich sei ein Dichter.
Diese Schüler wollten meine Unterschrift – weil sie dachten, ich sei ein Dichter.

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