„Of course, there is freedom of speech. But there is no freedom after speech”

Der wichtigste Mitarbeiter an meinem temporären Arbeitsort ist zwar nie im Büro, er hat aber trotzdem am meisten Einfluss. Sein eingerahmtes Porträt hängt gleich zweimal im Sitzungszimmer der Redaktion. Es ist Emmerson Mnangagwa, der Präsident von Simbabwe.

Mein Praktikumsplatz ist bei den Zimpapers. Das staatliche Medienunternehmen gilt als Propagandatool der regierenden Partei ZANU-PF.

Am ersten Tag meines Praktikums sitze ich im Vorzimmer des CEO und warte darauf, ihm die Hand zu schütteln. Ich blättere in einem hauseigenen Magazin, das sich praktisch nur um aktuelle Regierungsprojekte dreht. Die Hauptstory liest sich stellenweise wie Satire: Ein Interview mit dem Präsidenten zu den Erfolgen seiner bisherigen Amtszeit. Emmerson Mnangagwa kann unwidersprochen sagen, Simbabwe sei wohl eine der besten Demokratien Afrikas, wenn nicht gar weltweit.

Das ist in etwa so richtig wie die Behauptung, das Binnenland Simbabwe verfüge über die schönsten Strände Afrikas, wenn nicht gar der Welt.

Steile Thesen bleiben unwidersprochen.

Ich verbringe mein Praktikum in der sogenannten „Human Interest“-Abteilung. Es geht um „weiche“ Themen: Digitalisierung, Alzheimer, Drogenprävention. Politische Ideologie spielt hier weniger eine Rolle.

„Und in der Schweiz …?“

Kolleginnen fragen mich immer wieder, wie es um den Journalismus in der Schweiz stehe.

Ich erzähle, dass die Pressefreiheit gewährleistet sei und dass ich die hohe Sicherheit für Journalist*innen schätze; niemand müsse die Staatsgewalt fürchten (wobei es hier Einschränkungen aufgrund des Bankengesetzes gibt). Ich erzähle von der Idee des Service Public als journalistische Grundversorgung und von neuen, kollektiven Rechercheprojekten, die der Medienkrise und ihren Begleiterscheinungen trotzen.

Ich erzähle aber auch von Druckversuchen gewisser Lobbygruppierungen auf Medienschaffende, von Bias, Denkfaulheit und Klick-Versessenheit. Wir sprechen über Boulevard, Ressentiment und Medienkonzentration.

Die Pressefreiheit ist in der Schweiz gewährleistet, Journalismus nicht.

Die Redefreiheit und die Freiheit nach der Rede

Manche Kolleginnen und Kollegen sprechen offen über die Zensur bei den Zimpapers. Ein Journalist sagt: „Of course there is freedom of speech, but there is no freedom after speech.“ Eine Kollegin ergänzt: „Propaganda is painful. Anna, you wear a black T-shirt today, everyone can see that. But we still need to say that you are wearing a white one.“

Ein Kollege erzählt von einem Journalisten, der über eine Veranstaltung der Ministergattin berichtete und sie in seinem Artikel als „Flop“ bezeichnete. Tags darauf wurde er ins Ministerium einbestellt. Vier Stunden lang saß ihm dort ein Mann in einem leeren Raum wortlos gegenüber. Danach durfte er das Gebäude wieder verlassen.

Von jenen Kollegen und Kolleginnen, mit denen ich näher zusammenarbeite, weiß ich, dass sie nicht viel von der aktuellen Regierung halten, die sich vor allem durch Misswirtschaft und Korruption auszeichnet. Die Leute wissen, dass sie letztlich mit ihrer Arbeit das Narrativ dieser Regierung verbreiten. In einem Land, in dem geschätzt bis zu 80 Prozent der Menschen im informellen Sektor arbeiten, mag das naheliegend sein.

Wie jene Journalisten ticken, die glühende Artikel rund um die Erfolge des Präsidenten schreiben, weiß ich nicht. Ihnen bin ich nie begegnet.

Einschüchterungen, Verhaftungen, Durchhaltewillen

Einschüchterungen erleben vor allem Journalist*innen, die unabhängig berichten: anonyme Telefonanrufe, dass dies der letzte Text gewesen sei, oder Verhaftungen. In diesem Jahr traf es Faith Zaba und Blessed Mhalanga, zwei prominente publizistische Stimmen im Land. Auf Kaution sind die beiden wieder frei, die Prozesse sind noch hängig.

Faith Zaba und Blessed Mhalanga gehören zu knapp einem Dutzend Journalist*innen aus Zimbabwe, die bekannt sind für ihre kritische, investigative und furchtlose Arbeit. Manche von ihnen, wie zum Beispiel Hopewell Chin’ono, mussten das Land verlassen. Er lebt und arbeitet in Südafrika.

Einblick und Skepsis

In meiner Freizeit bin ich vor allem mit Leuten ausserhalb der Arbeit unterwegs: Musikerinnen, der Queercommunity und Nonnen (ich habe ein Zimmer in einem Kloster gemietet).

Alle waren zunächst erstaunt bis skeptisch, als sie hörten, wo ich mein Praktikum absolvieren würde. Sie misstrauen den Regierungsmedien ebenso wie der Regierung selbst. Die berechtigte Skepsis konnte ich jedoch zerstreuen, sobald ich erklärte, worum es bei dem Auslandspraktikum geht und welche Idee dahintersteht. Aus der Skepsis wurde bald Neugier: „Wie funktioniert das bei den Zimpapers? Was erlebst du dort?“ Und erzähle ich von meinem 45-Quadratmeter-Einblick im zweiten Stock des größten Medienunternehmens Simbabwes.

* Einige Details wurden verändert, um Rückschlüsse auf Personen zu vermeiden.

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