Den Blick hinter die Fassade wagen

Halb 10 Uhr abends und noch immer über 20 Grad. Eine Woche vor Beginn des Stages spuckt mich die Air-France-Maschine aus in die schwülwarme Septembernacht Cotonous, dem wirtschaftlichen Zentrum Benins. Nach 12 Stunden Reise ist Schlaf angesagt. Zunächst aber die Einreisekontrolle.

Wer aus der Schweiz nach Benin einreisen will, braucht ein Visum. Das ist online schnell bestellt, wenn man denn die richtige Adresse kennt. Richtige Adresse will heissen offizielle Adresse. Denn es gibt verschiedene private Anbieter, die das Formular für einen Aufpreis bei der Behörde einreichen. Eine Dienstleistung mit fragwürdigem Nutzen, etwa so wie vor einem Jahr in der Schweiz bei der Einführung der E-Vignette.

Erstmal ankommen

Der Transport zur Unterkunft ist organisiert. Drei Minuten dauere die Fahrt, sagt die Gastgeberin. Ich solle sie anrufen, sobald ich mein Gepäck gefasst hätte. Kein Problem, das geht auch ohne lokale Nummer, per Whatsapp über das Flughafen-Wlan. Bloss will das an diesem Abend nicht ganz funktionieren. Also erstmal vorbei an den Taxifahrern, die auf ein gutes Geschäft warten, und jemanden um einen Gefallen bitten. Klar!, sagt der hochgewachsene Mann und drückt mir sein Telefon in die Hand. Wenig später kommt der weisse Suzuki, darin meine Gastgeberin mit dem gelben Schal.

Eine Woche Eingewöhnung in Cotonou gönne ich mir. Akklimatisieren, Sprache auffrischen, den Magen an das Essen gewöhnen. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Der Empfang ist herzlich, doch gewartet hat hier niemand auf mich. Also erstmal die Kontakte abklappern, die ich von der Schweiz aus aufgebaut habe über Freunde, Wissenschafterinnen, Medienberichte. Durchs Band kommt das Angebot, mich in meiner Unterkunft zu besuchen, pas de soucis! Der Weg zu ihnen eine Zumutung? Dankend lehne ich ab. Für den Blick hinter die Fassade habe ich das Abenteuer angetreten und dafür muss man rausgehen.

Sich den Schwierigkeiten stellen

Öffentlicher Verkehr? Fehlanzeige. Hier funktioniert alles per Mototaxi, den sogenannten Zémidjans, kurz Zéms. Loric Lehmann, vor einem Jahr Stagiaire in Benin, hat in einem Blogeintrag dem Transportmittel eine Eloge geschrieben. In Cotonou wurde das abenteuerliche Fortbewegungsvehikel gar per Graffito verewigt (siehe Bild). Über mehrere Kilometer erstreckt sich die kunstvoll geschmückte Wand entlang der Hafenpromenade.

Am sichersten ist ein Zém per App organisiert, dafür benötigt es Internetempfang. Zum Glück bekomme ich eine SIM-Karte von einem meiner Kontakte und spare mir so das Anstehen in einem Geschäft.

«Le pays entier est en chantier»

Der Stadtbummel zeigt die Vielfalt Cotonous: Imposante Statuen, grosse Plätze, gepflegte Grünflächen, kilometerlange Graffitiwände und Baustellen. Überall Baustellen. «Le pays entier est en chantier», dazu der lakonische Kommentar eines Bauarbeiters. Das ganze Land sei eine Baustelle und das ist positiv gemeint. Laut Zahlen der Weltbank wies Benin vergangenes Jahr ein Wachstum von 7.5 Prozent des Bruttoinlandprodukts auf. Die politische Lage ist stabil, regelmässig finden Wahlen statt. So auch kommendes Jahr.

Wie ein Presslufthammer ballern die neuen Eindrücke auf mich ein. Unmöglich die Flut an Erlebnissen von hier auf jetzt zu verarbeiten, doch dafür ist neben einer guten Portion Neugier auch genügend Zeit im Gepäck. Die Vorbereitungswoche sollte sich als goldrichtig herausstellen. So konnte ich vor Ort die Reise nach Parakou vorbereiten, wo sich mein Einsatzort befindet – das Community-Radio Deeman FM. Eigentlich hätte ich gerne den Zug dorthin genommen, doch der fährt seit Langem nicht mehr. Mit beheizten Zugwaggons der Zentralbahn wollte die französische Firma Bolloré vor 10 Jahren die Strecke reaktivieren. Doch daraus wurde nichts.  

Die Gleise bestehen noch, der Zug fährt jedoch nicht mehr.

Nächstes Mal lest ihr hier über den Alltag auf der Redaktion. À la prochaine! N Kua N Sossi!

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