Meine Begegnung mit Evo
Die Redaktion schickt mich in die Wüste. Genauer nach Uyuni. Die Kleinstadt mit rund 20 000 Einwohnern liegt im Südwesten des Landes und ist Ausgangspunkt für den Salar de Uyuni, den grössten Salzsee der Welt, ein eindrückliches Naturwunder. Der Salar ist aber mehr eine Salzwüste als ein Salzsee, nur während der Regenzeit liegt hier Wasser. Am 12. und 13. Januar führt zum ersten Mal die «Dakar Rallye» durch den Salar, das berühmteste Motorsportrennen abseits der Strasse. Der Grund für die Pressereise ist die Einweihung der Flughafen-Beleuchtung von Uyuni. Rechtzeitig zu diesem Mega-Event und der Chance Boliviens, sich international in einem guten Licht zu zeigen, ist die Beleuchtung fertig gestellt worden. Es soll sich dabei laut Regierung um die modernste Technologie Lateinamerikas halten. Der Flughafen ist zwar schon seit zwei Jahren in Betrieb, aber er konnte bisher nur tagsüber angeflogen werden. Jetzt mit der neuen Beleuchtung operiert der Flughafen im 24-Stunden-Betrieb. Einmal als die Maschine des Präsidenten landen sollte, war die Landepiste voller Lamas, die zuerst durch das Militär verscheucht werden mussten. Der Flughafen liegt zwei Kilometer ausserhalb von Uyuni, mitten im Nirgendwo. Mit dem neuen Kommunikationssystem und den getroffenen Vorkehrungen soll das nicht mehr passieren können.
Für die Einweihung der neuen Flughafen-Beleuchtung hat die Regierung extra ein Flugzeug gechartert für die Journalisten aus La Paz. So fliege ich also zusammen mit unzähligen Fernseh-, Radio-, und Zeitungsjournalisten, die meisten arbeiten in der Sportredaktion, nach Uyuni. Die Flugzeit beträgt eine knappe Stunde. Wir landen noch bei Tageslicht. Gespannt warten wir auf die Maschine des Präsidenten. Ich bin ziemlich aufgeregt, da ich Evo Morales, diese umstrittene politische Figur, zum ersten Mal persönlich sehen werde.
Während wir auf den Präsidenten warten, bleibt Zeit für ein kurzes Interview mit dem Vizeminister für Tourismus, der ebenfalls anwesend ist. Marko Machicao ist etwa 30 Jahre alt und somit der jüngste hohe Politiker Boliviens. Ein sympathischer, intelligenter junger Mann und ausgesprochen eloquent.
Layla Hasler: Was bedeutet die Modernisierung des Flughafens für den Tourismus?
Marko Machicao: Sie ist eine grosse Chance. In den letzten fünf Jahren kamen immer mehr Touristen in diese Region vor allem wegen dem Salar, einem einzigartiges Naturwunder. Jetzt ist der Flughafen 24-Stunden in Betrieb, was die Kapazität für den Touristenstrom erhöht. Dieser Flughafen hat die längste Landebahn des Landes, somit kann jeder Flugzeugtyp hier landen. In Zukunft wird es ein internationaler Flughafen sein, Flugzeuge aus dem Ausland werden Uyuni direkt anfliegen können.
L.H: Der zunehmende Tourismus hat aber auch seine Schattenseiten. Er kann das sensible Ökosystem des Salars gefährden.
M.M: Das ist ein Risiko, das wir unter Kontrolle haben müssen. Wir dürfen keinen Raubbau betreiben an unserer Natur. Wir arbeiten derzeit an Studien, um die Kapazität für einen vernünftigen, täglichen Touristenstrom zu berechnen. Die Natur, die Tiere, wie die Vikunjas und die Flamingos sowie die Menschen in den Dörfern sollen nicht beeinträchtigt werden. Bis jetzt haben wir aber noch nicht einmal 50 Prozent der Kapazität erreicht, die vertretbar ist. Wir wollen in Bolivien kein «Galapagos» oder «Cusco». Diese haben unter einem aggressiven Tourismus gelitten, weil sie ihn nicht von Anfang an kontrolliert haben. Wir sind noch sehr jung, was die touristischen Aktivitäten angeht. Wir können von Ecuador und Peru lernen.
L.H: Ist Bolivien bereit für die «Dakar Rallye»?
M.M: Es fehlen noch ein paar Details. Nächste Woche werden wir die neuen Trinkwasser-Leitungen in den Dörfern einweihen und bis Ende Jahr wird Uyuni an das Hauptstromnetz angeschlossen, um die Energieversorgung zu gewährleisten.
L.H: Wie viele Leute werden erwartet?
M.M: Wir erwarten etwa 60 000 Besucher. Uyuni hat rund 20 000 Einwohner. Es werden also dreimal so viele Leute hier sein.
L.H: Wie wird das Abfallproblem angegangen?
M.M: Es wurde eine neue Abfallhalde eröffnet. Drei Müllfahrzeuge wurden angeschafft und 3000 Freiwillige stehen als «Abfall-Polizei» im Einsatz, welche die Leute mahnen, den Abfall dort zu entsorgen, wo er hingehört.
L.H: Was erhoffen Sie sich nachträglich von der «Dakar Rallye»?
M.M: Die Veranstaltung ist eine gute Sache im Bezug auf die Sichtbarkeit Boliviens. Die «Dakar Rallye» kann einen nachhaltigen Effekt auf den Tourismus in Bolivien haben. Die Herausforderung für ein gutes Gelingen ist, dass wir die Probleme vorwegnehmen und die Umwelt-, sowie die sozialen und archäologischen Aspekte berücksichtigen.
Laut Kulturministerium bereisen jährlich rund 900 000 Touristen Bolivien, davon besuchen rund 150 000 Uyuni und den Salar. Der Flughafen in Uyuni kostete rund 11,5 Millionen Franken und das Kommunikations- und Beleuchtungssystem nochmals zwei Millionen Franken. Mit der «Dakar Rallye» erhofft sich die Regierung die Wiedergewinnung von 500 Prozent der Investition von diesen zwei Millionen.
Meine Kollegen von «Página Siete» rufen mich aus der Redaktion an, um zu erfahren, was gerade passiert in Uyuni. Es ist bereits dunkel, da landet schliesslich die Maschine des Präsidenten und demonstriert damit gleich das Funktionieren der neuen Beleuchtungsanlage. Ein Journalist des Staatsfernsehsenders Bolivia TV, alle nennen in «Zapato» (Schuh), bekommt eine Ausnahmebewilligung und darf sich mit seiner Kamera vor der Absperrung der Polizei positionieren. Die anderen Journalisten protestieren lautstark: «Das ist Diskriminierung!» Alle drängeln sich um den Präsidenten. Ich drängle nicht, finde mich aber zufällig auf einem «Logenplatz» wieder. Ich stehe zwei Meter vor dem Präsidenten. Es ist schon eindrücklich Evo Morales, diese umstrittene politische Figur, persönlich zu sehen und zu hören. Die Einweihung selbst ist eine völlige Inszenierung. Bauern sind gekommen und haben eine Fahne in die Hand gedrückt erhalten. Der Moderator gibt die Regieanweisungen. «Und jetzt schwingt eure Fahnen und ruft mir nach: Es lebe Evo!». Ich komme mir vor wie auf einem Filmset. Die Reden sind voller Pathos und nach jedem Redner folgt ein: «Que viva, el presidente.»
Morales verspricht in seiner Rede gleich die nächsten Bauarbeiten. «Wir hätten nicht gedacht, dass so schnell, so viele Touristen nach Uyuni kommen würden.» Das Terminal platze aus allen Nähten und deshalb würde es bald vergrössert werden. Mit der internationalen Öffnung von Uyuni warnt der Präsident gleichzeitig vor dem internationalen Schmuggel. Der Schmuggel würde viel Schaden anrichten für die nationale Wirtschaft.
Am Anfang seiner Regierungszeit habe er viele Klagen der Botschafter erhalten, das Landsleute ausgeraubt oder gar verschwunden seien. Die Bürger würden aber heute selber Verantwortung übernehmen, so dass dies nicht mehr passiere. Heute erhalte er keine Klagen mehr. Morales appelliert an das Verhalten der Bürger, die Besucher gastfreundlich zu empfangen. «Wir sind bereit, um die Dakar Rallye zu empfangen», schliesst er seine Rede.
Morales spricht in einer einfachen, klaren Sprache. Es fehlt ihm auch nicht an Humor in seinen Reden.
Eine Indígena nähert sich dem Präsidenten und überreicht ihm eine Mütze und ein Plüsch-Lama. Er fragt sie direkt: «Haben Sie das selbst gemacht, Señora oder gekauft?» – «Selbstgemacht natürlich», entgegnet die ältere Frau. Und wenn man die strahlenden Gesichter der Bauern sieht, die «ihren Evo» fast wie einen Gott verehren, wird klar, dass er hier für seinen Wahlkampf auf eine grosse Unterstützung zählen kann.
Als die Einweihung der technischen Zentrale erfolgt, kann ich leider nichts sehen. Die Fernsehjournalisten mit ihren riesigen Kameras nehmen den kleinen Platz am Eingang ein und verdecken mir die Sicht. Der Präfekt von Potosí, Félix González (vergleichbar mit einem Regierungsrat) steht ebenfalls in der ersten Reihe, kurzerhand frage ich ihn, ob er nicht mit meiner Kamera die Fotos schiessen kann. «Klar», meint er und macht mir ein paar gute Bilder.
Nach etwa zwei Stunden ist die Show vorbei und wir fliegen zurück nach La Paz. Ich bin skeptisch, was die «Dakar Rallye» angeht. Ich kann nicht verstehen, dass man ein Motorsportrennen durch ein solches sensibles Ökosystem führen kann. Erwartet werden rund dreimal so viele Besucher, wie Uyuni Einwohner hat, zirka 60 000 Personen. Zurückbleiben wird wohl vor allem eine Menge Abfall. Mit meiner Kritik stosse ich bei den mitgereisten Sportjournalisten-Kollegen auf taube Ohren. Sie sind hell begeistert. Ich wechsle das Thema zu Fussball. Da ich mich unter Sportjournalisten befinde, kennen sie sogar meinen Lieblingsklub den FC Basel und diesen nicht nur dem Namen nach. Sie sind informiert über die letzten Spiele der «Champions League» und die Spieler. So «fachsimpeln» wir über internationalen Fussball. Das geht einfacher als Kritik an der Regierung.
Am nächsten Tag erscheint ein kurzer Artikel von mir in «Página Siete». Dass darüber mein Name steht, ist fast ein bisschen übertrieben. Ich habe lediglich die Informationen per Telefon durchgeben. Geschrieben hat ihn ein diensthabender Redaktor im Büro in La Paz. Das Bild stammt leider auch nicht von mir, obwohl ich gute Bilder habe und sie gleich nach der Einweihnung noch vom Flughafen Uyuni (der über ein ausgezeichnetes, schnelles Wifi verfügt) in die Redaktion übermittelt habe. Es war bereits spät und nach Redaktionsschluss. So erscheint das Foto einer Agentur.
In dieser Sonntagsausgabe ist auch die Reportage über den bolivianisch-schweizerischen Vater der konkreten Poesie, Eugen Gomringer, erschienen. Ich erhielt vier Seiten und die Titelgeschichte.
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