Selbsterkenntnis am «Amman Jazz Festival»

Rajeef ist ein ruhiger Mensch. Seit rund 20 Jahren ist der gebürtige Inder Journalist bei der Jordan Times (JT). Ich kenne ihn erst seit ein paar Tagen. Doch ich habe rasch gemerkt, dass er, kurz bevor er eine Entscheidung trifft, oft für einen kurzen Moment die Augen schliesst. Mir scheint, als ob er nochmals rasch abwägen möchte, ob sein Entschluss stimmig ist.

Oudistin Sarra Douik (links) und Victoria Kirilova von Halaqat bei der Eröffnung des Amman Jazz Festivals. (foto: Pascal Studer)

Ich kenne Rajeef erst seit einigen Tagen, denn erst vergangenen Montag habe ich meine Stage bei der JT, wie die einzige englischsprachige Tageszeitung hier in der jordanischen Hauptstadt Amman oft genannt wird, angefangen. Vor meinem Start hatte ich wenig Kontakt zur Redaktion und ich wusste nicht wirklich, worauf ich mich einlassen werde. „Wird schon gut gehen“, dachte ich mir.

Tatsächlich gefällt es mir hier bisher sehr gut. Auch deshalb, weil Rajeef an meinem zweiten Tag auf der Redaktion kurz innehielt, um mich zu fragen, ob ich über ein kulturelles Event berichten möchte. „Of course“, sagte ich, ohne genau den Auftrag zu kennen. Meine Reporternase witterte Lokaljournalismus, eine Rückkehr zu meinen Anfangszeiten im Journalismus. Nur diesmal in einer Millionenstadt ohne Kapellbrücke, KKL oder Gütsch.

«It’s the Amman Jazz Festival»

„It’s the Amman Jazz Festival“, erklärte Rajeef, was mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte, ist Musik doch seit Kindesbeinen eine Passion für mich (meine Instrumente allerdings sind leider in der Schweiz geblieben, nur die Stimme reiste mit).

Und doch schweiften meine Gedanken beim Weg zum Festival nicht zu den Stahlsaiten meiner Akustikgitarre, sondern zurück an meine Zeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), wo ich Journalismus studierte. Drei Jahre lang hatten wir dort auch Englisch-Unterricht. Dabei wurde ich nicht müde, bei jedem Text, den wir auf Englisch schreiben mussten, zumindest eine gewisse Sinnlosigkeit der Aufgabe anzudeuten. Nie würde ich einen journalistischen Text auf Englisch verfassen – meine unumstössliche Meinung. Nie würde mein Englisch gut genug sein dafür.

Und doch sass ich, viele Jahre später, hier im Taxi auf dem Weg zur Konzerthalle in Amman, grandios scheiternd, eine Konversation auf Arabisch mit meinem Fahrer zu führen, um Material für meinen ersten journalistischen Text auf Englisch zu sammeln.

Musik, die berührt und vergeht

Das Wichtigste zuerst: Die beiden Konzerte waren wunderbar. Tatsächlich haben mich wenige musikalische Darbietungen in den vergangenen Jahren derart berührt. Relativ unerfahren im Kulturjournalismus versuchte ich, diese von der Musik transportierten Gefühle in meinen Text einfliessen zu lassen. In der Pause sprach ich mit ein paar Leuten, auch mit der Sängerin und Oudistin Sarra Douik. Die Tunesierin war Teil von Halaqat, einer Projektgruppe von Musikerinnen und Musikern, die sich erst ein paar Tage vor ihrem Auftritt kennengelernt haben. Ihre Arrangements waren für diesen Abend gedacht. Wahrscheinlich werden wir die Musik in dieser Form nie mehr hören.

Diese Flüchtigkeit liess die ohnehin wunderschöne Musik noch wertvoller erscheinen. Und ich vergass mein jüngeres Ich an der ZHAW, das an seinen eigenen Fähigkeiten gezweifelt hatte. Auch wenn mir natürlich bewusst ist, dass die JT nicht der Guardian, BBC oder die New York Times ist und mein erster journalistischer Text in einer Fremdsprache alles andere als ein Meisterwerk ist: Das wohlwollende Verdikt von Rajeef, nachdem er am darauffolgenden Tag meinen Text gelesen hatte, war irgendwie wohltuend. Genauso wie die Lektion, die ich gelernt habe: Nämlich dass wir unsere inneren Kritikerinnen und Kritiker manchmal nicht allzu ernst nehmen sollten – und mehr in uns steckt, als wir uns selbst zutrauen.

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